Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay") - Ausschlussfristen - Erledigungsklausel
Gesetze: § 9 Nr 2 AÜG, § 10 Abs 4 AÜG, § 307 Abs 1 Nr 2 BGB
Instanzenzug: Az: 3 Ca 4531/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 8 Sa 126/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten - soweit für die Revision von Belang - über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.
2Der 1978 geborene Kläger war - nach vorhergehender Arbeitslosigkeit - seit dem bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Helfer beschäftigt und im Streitzeitraum bis der O GmbH in H überlassen. Zum wurde er von der Entleiherin in ein befristetes Arbeitsverhältnis übernommen.
3Der Kläger erhielt ursprünglich einen Bruttostundenlohn von 6,65 Euro nebst einer sog. einsatzbezogenen Zulage iHv. 0,35 Euro brutto, ab Juli 2010 einen Bruttostundenlohn von 7,35 Euro und seit Oktober 2010 einen solchen von 7,60 Euro. Außerdem gewährte die Beklagte einen Überstundenzuschlag iHv. 25 %. Vergleichbaren Stammarbeitnehmern zahlte die Entleiherin im Streitzeitraum einen Bruttostundenlohn von 9,50 Euro.
4Dem Arbeitsverhältnis lag zunächst ein Formulararbeitsvertrag vom (im Folgenden: Arbeitsvertrag 2010) zugrunde, in dem es ua. heißt:
5Am schlossen die Parteien mit Wirkung vom einen neuen Formulararbeitsvertrag (im Folgenden: Arbeitsvertrag 2011), der auszugsweise lautet:
6In einem Schreiben der Beklagten vom , das vom Kläger gegengezeichnet ist, heißt es:
7Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom hat der Kläger mit der am beim Arbeitsgericht eingereichten Klage zuletzt für den Zeitraum bis unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt. Er hat geltend gemacht, die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag 2010 sei intransparent und daher unwirksam. Ausschlussfristen habe er nicht beachten müssen.
8Der Kläger hat zuletzt beantragt,
9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, aufgrund der Inbezugnahme des mehrgliedrigen Tarifvertrags zwischen dem AMP, der CGZP und einer Reihe von christlichen Arbeitnehmervereinigungen habe sie von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichen dürfen. Zudem seien Ansprüche des Klägers wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung nach der vertraglichen Ausschlussfristenregelung bis auf den Monat März 2011 verfallen. Schließlich seien mögliche Ansprüche auch durch die Vereinbarung vom erledigt.
10Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Gründe
11Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährte. Der Kläger war weder gehalten, Ausschlussfristen einzuhalten, noch hat das Schreiben der Beklagten vom zum Untergang des Anspruchs geführt. In welcher Höhe dem Kläger Differenzvergütung zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12I. Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an die O GmbH Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Die Bezugnahmeklausel des Arbeitsvertrags 2010, mit der die Geltung der vom Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP), der CGZP und einer Reihe von christlichen Arbeitnehmervereinigungen geschlossenen Tarifverträge vom (AMP-TV 2010) vereinbart werden sollte, ist mangels Kollisionsregelung intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl. - Rn. 26 ff., BAGE 144, 306). Ob die Bezugnahme auf von DGB-Gewerkschaften geschlossene Tarifverträge im Arbeitsvertrag 2011 die Beklagte von dem Gebot der Gleichbehandlung entbinden konnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Diese Vereinbarung galt - wie im Arbeitsvertrag 2011 und im Schreiben vom auch ausdrücklich festgehalten - erst ab dem und damit nach dem streitgegenständlichen Zeitraum.
13II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.
141. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der CGZP oder aus dem nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen AMP-TV 2010 einzuhalten. Derartige „tarifliche“ Ausschlussfristenregelungen sind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (vgl. - Rn. 34 f., BAGE 144, 306; - 5 AZR 1046/12 - Rn. 19).
152. Der Kläger musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in Nr. 19.2 Arbeitsvertrag 2010 nicht beachten. Das ergibt sich zwar - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht schon aus Nr. 19.2 Abs. 2 Satz 2 Arbeitsvertrag 2010. Der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ist kein solcher, der auf eine unerlaubte Handlung gestützt werden könnte ( - Rn. 56, BAGE 144, 306). Die Klausel enthält jedoch keine eigenständige arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung.
16a) Zwar kann - trotz der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag, der eine Ausschlussfristenregelung enthält - eine eigenständige arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung vereinbart werden. Das folgt aus dem grundsätzlichen Vorrang einer ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel vor einer nur durch die pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung ( - Rn. 40, BAGE 144, 306; - 5 AZR 778/12 - Rn. 14). Belassen es nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien nicht dabei, ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem bestimmten Tarifregime zu unterwerfen, sondern vereinbaren zu einzelnen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsvertrag ausformulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zum Ausdruck, dass unabhängig von dem in Bezug genommenen Tarifwerk, jedenfalls die in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollen ( - Rn. 14).
17Davon können die Arbeitsvertragsparteien abweichen, indem sie etwa einer ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel eine nur „deklaratorische“, den Wortlaut des in Bezug genommenen Tarifwerks wiedergebende Bedeutung beimessen und damit gleichsam die Bezugnahme „ausformulieren“ ( - Rn. 15).
18b) Ausgehend von der vorzunehmenden objektiven Auslegung haben die Parteien im Streitfall keine eigenständige Ausschlussfrist geregelt.
19Ausgehend vom Wortlaut der Nr. 19.2 Arbeitsvertag 2010, der identisch mit dem Text der Nr. 19.2 bis Nr. 19.4 AMP-TV 2010 ist, darf der durchschnittliche Vertragspartner des Verwenders die Klausel als bloße Ausformulierung der nach der Bezugnahmeklausel anwendbar sein sollenden tariflichen Ausschlussfristenregelung verstehen. Die fehlende Eigenständigkeit der Regelung wird unterstrichen durch die Überschrift der Klausel - „Tarifliche Ausschlussfrist“ - und die dem Klauseltext in der Art eines Fundstellennachweises beigefügten Klammerzusätze mit den entsprechenden Nummern des AMP-TV 2010. Auch der Vergleich mit der Klausel der Nr. 19.1 Arbeitsvertrag 2010 bestätigt dem durchschnittlichen Vertragspartner des Verwenders dieses Verständnis. Dort ist ohne Hinweis auf den Tarifvertrag eine gegenüber diesem eigenständige Regelung getroffen, die sich in Nr. 19.1 AMP-TV 2010 nicht findet.
20III. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist nicht durch die Vereinbarung vom untergegangen.
21Unabhängig von der Frage, ob die dortige „Erledigungsklausel“ überhaupt rechtsgeschäftliche Erklärungen enthalten soll, hätte ein - zugunsten der Beklagten unterstellter - rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dieses Verbrauchervertrags (§ 310 Abs. 3 BGB) allenfalls die Bedeutung eines deklaratorischen negativen Schuldanerkenntnisses. Entsprechend ihrem Wortlaut hält die Klausel die übereinstimmende Auffassung der Parteien fest, dass mit der Vertragsänderung ab und der Abrechnung für diesen Monat alle finanziellen Ansprüche aus dem bisherigen Arbeitsvertrag „abgegolten und erledigt“ sind. Damit fixieren die Vertragsparteien typischerweise die von ihnen angenommene Rechtslage und dokumentieren das, wovon sie ausgingen: Es bestehen nach diesem Zeitpunkt keine Ansprüche aus dem „alten“ Arbeitsverhältnis mehr, weil auf dessen Grundlage ordnungsgemäß abgerechnet sein wird (vgl. - Rn. 16 ff., BAGE 146, 217).
22IV. Ob der Kläger für den auf den Monat März 2011 entfallenden Teil des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt, der am fällig wurde (Nr. 6.4 Arbeitsvertrag 2010), die Ausschlussfristen nach Nr. 20.2 Arbeitsvertrag 2011 beachten musste, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der Kläger hat mit Schreiben vom den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht. Damit wahrte er die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung. Das stellt die Beklagte ebenso wenig in Abrede wie die rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung dieses Teilanspruchs. Eine tarifvertragliche Ausschlussfrist findet daneben keine Anwendung.
23V. Über die Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat sich - aus seiner Sicht konsequent - mit der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt nicht befasst. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, dem Kläger in einem erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben.
241. In den Tatsacheninstanzen war unstreitig, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer einen Bruttostundenlohn von 9,50 Euro erhalten. Dies hat das Landesarbeitsgericht auch festgestellt, ohne dass die Beklagte einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestands (§ 320 ZPO) gestellt hätte. Außer Streit steht zwischen den Parteien ferner der - durch Abrechnungen der Beklagten belegte - Umfang der vom Kläger im Streitzeitraum geleisteten oder durch Feiertage ausgefallenen Arbeitsstunden sowie des genommenen Urlaubs.
25Die Berechnung der Klageforderung bedarf aber der Erläuterung, soweit der Kläger beim Vergleichsentgelt einen Überstundenzuschlag von 25 % berücksichtigt. Der Kläger hat - bislang - nicht vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Überstundenzuschlag in dieser Höhe.
262. Urlaub ist ein in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f, i der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit genannter Regelungsgegenstand und damit eine wesentliche, dem Gebot der Gleichbehandlung unterliegende Arbeitsbedingung iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Gewährt der Verleiher dem Leiharbeitnehmer während des Zeitraums einer Überlassung Urlaub, berechnet sich das Urlaubsentgelt nach den dafür beim Entleiher anzuwendenden Bestimmungen. Fehlt es an einschlägigen tariflichen Urlaubsregelungen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BUrlG) beim Entleiher, bleibt es bei der Bemessung des Urlaubsentgelts nach den Vorgaben des § 11 Abs. 1 BUrlG ( - Rn. 34).
27Der Kläger hat in seiner Klageforderung insgesamt 84 Stunden Urlaub zu dem Bruttostundenlohn vergleichbarer Stammarbeitnehmer (9,50 Euro) angesetzt. Er hat aber nicht vorgetragen, welche Bestimmungen zur Berechnung des Urlaubsentgelts beim Entleiher Anwendung finden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:280115.U.5AZR122.13.0
Fundstelle(n):
DStR 2015 S. 14 Nr. 23
WAAAE-87467