BAG Urteil v. - 8 AZR 776/13

Zwei Betriebsübergänge - Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Ersterwerber

Gesetze: § 613a Abs 6 S 2 BGB, § 613a Abs 6 S 1 BGB, EGRL 23/2001

Instanzenzug: ArbG Gera Az: 4 Ca 192/12 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 390/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten um die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis nach mehreren Betriebsübergängen und einem Widerspruch des Klägers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses besteht.

2Der Kläger war 1991 in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten getreten. Zuletzt arbeitete er bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Telekommunikationsunternehmen, im Callcenter G.

3Der Beschäftigungsbetrieb des Klägers ging am von der Beklagten auf die V GmbH (V) über. Darüber war der Kläger durch ein Unterrichtungsschreiben der V vom informiert worden. Der Kläger erhob damals keinen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Er arbeitete nach dem Betriebsübergang für die V weiter.

4Mit Schreiben vom wurde der Kläger darüber informiert, dass eine T G GmbH (T) den Betrieb des Callcenters G am übernehmen werde. Diesem weiteren Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die T widersprach der Kläger nicht. Er unterschrieb sodann am einen ihm von T vorgelegten neuen Arbeitsvertrag, demzufolge sich seine Arbeitsbedingungen ab dem verschlechterten.

5Mit Urteil vom (- 8 AZR 18/10 -) entschied der Senat zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben der V, ebenfalls vom , aber ein anderes Arbeitsverhältnis betreffend, dass die Unterrichtung fehlerhaft war.

6Mit Anwaltsschreiben vom ließ der Kläger gegenüber der Beklagten dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V, der am stattgefunden hatte, widersprechen.

7Mit einem weiteren Schreiben vom , gerichtet an die T, erklärte der Kläger die Anfechtung des Arbeitsvertrags vom .

8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, am noch dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die V im Sommer 2007 widersprechen gekonnt zu haben. Die damalige Unterrichtung über den Betriebsübergang sei fehlerhaft gewesen und habe die Monatsfrist zum Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt.

9Mit Schriftsatz vom hat der Kläger im Revisionsverfahren die Behauptung vortragen lassen, er habe dem zweiten Betriebsübergang wirksam widersprochen, bevor er den Widerspruch zum ersten Betriebsübergang erklärte. Insoweit behauptet er, dass auch bei der Unterrichtung zum zweiten Betriebsübergang Fehler gemacht worden seien. Er ist zudem der Auffassung, in Ansehung der EU-Richtlinie vom (RL 2001/23/EG) müsse der Senat den „Sachverhalt“ dem EuGH vorlegen.

10Der Kläger hat zuletzt beantragt

11Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass der Kläger jedenfalls ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch verwirkt habe. Von einem verwirklichten Zeitmoment sei unproblematisch auszugehen. Mit dem von dem Kläger bei T abgeschlossenen Arbeitsvertrag habe er zudem auch das Umstandsmoment verwirklicht.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Gründe

13Die zulässige Revision ist unbegründet. Einen wirksamen Widerspruch gegen den früheren Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die V konnte der Kläger, dessen Arbeitsverhältnis mittlerweile mit T bestand, nicht mehr einlegen, § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.

14A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein etwa noch bestehendes Recht zum Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf V habe der Kläger am verwirkt gehabt. Nach mehr als vier Jahren sei das Zeitmoment erfüllt. Durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrags mit T sei auch das Umstandsmoment erfüllt, da damit das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt worden sei. Auf die Anfechtung dieses Arbeitsvertrags könne sich der Kläger nicht berufen, da ihm ein Anfechtungsgrund nicht zur Verfügung stehe und der Vertrag einer Inhaltskontrolle standhalte. Das Wissen über den Vertragsabschluss sei der Beklagten zuzurechnen.

15B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

16I. Das Widerspruchsrecht gegen einen Übergang des Arbeitsverhältnisses bei Betriebsübergang ist in der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen (ABl. EG L 82 vom S. 16) nicht geregelt. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt (, C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 30 ff. mwN, Slg. 1992, I-6577). Der Inhalt dieses Rechts ist unionsrechtlich nicht ausgestaltet; die Rechtsfolgen eines Widerspruchs für das Arbeitsverhältnis richten sich nach nationalem Recht (, C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 37, aaO). Für die Voraussetzungen des Widerspruchsrechts ergibt sich nichts anderes. Zudem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten schon nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräußerer für den Fall vorzusehen, dass der Arbeitnehmer sich frei dafür entscheidet, den Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen (, C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, was in einem solchen Fall mit dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Widersprechenden geschieht ( und C-172/94 - [Merckx, Neuhuys] Rn. 35, Slg. 1996, I-1253; - C-132/91, C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 35, aaO). Geht es somit um die Frage eines möglichen Widerspruchs gegen frühere Betriebsübergänge oder um die Frage, ob ein Widerspruch nach Ablauf der Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB noch erklärt werden kann oder ob diese Frist überhaupt zu laufen begonnen hat, so geht es nicht um die Frage unionsrechtlich geregelter Unterrichtungen. Für ein an den EuGH zu richtendes Vorabentscheidungsersuchen besteht kein Anlass.

17II. Der Widerspruch vom gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am erfolgte nicht gemäß § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB gegenüber dem „neuen Inhaber“ (im Oktober 2011 T) oder „dem bisherigen Arbeitgeber“ (im Oktober 2011 V), sondern gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin. Eine solche Widerspruchsmöglichkeit besteht nach dem Gesetz nicht.

181. Nach dem Wortlaut des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB ist der Widerspruch gegenüber zwei Personen möglich: gegenüber dem „bisherigen Arbeitgeber“ oder dem „neuen Inhaber“. Ein Widerspruchsrecht gegenüber einem ehemaligen Arbeitgeber ist danach nicht gegeben (vgl. auch  -). „Bisheriger“ Arbeitgeber in der Situation, in der sich der Kläger im Oktober 2011 nach zwei Betriebsübergängen befand, wäre im Sinne des Gesetzes die V gewesen. „Bisher/ig“ bedeutet: „bis jetzt“ (Brockhaus-Wahrig Deutsches Wörterbuch S. 703 [1980]); „von einem unbestimmten Zeitpunkt an bis zum heutigen Tag“ (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. S. 607); „bislang/bis jetzt/bis heute/bis dato/bis zum heutigen Tage/bis zur jetzigen Stunde“ (Knaurs Lexikon der sinnverwandten Wörter S. 116). Bezogen auf einen Betriebsübergang ist der „bisherige Arbeitgeber“ derjenige, der vor dem aktuellen Arbeitgeber den Betrieb innehatte. Seit dem letzten Betriebsübergang ist die T „neue Inhaberin“ iSd. § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB, da sie bei diesem zweiten Betriebsübergang den Betrieb erworben hat. Zur Beklagten steht der Kläger im Zeitpunkt der Erklärung seines Widerspruchs nicht mehr in einer, auch nicht in einer durch § 613a Abs. 6 BGB vermittelten arbeitsrechtlichen oder sonstigen vertragsrechtlichen Beziehung. Die Beklagte war bei Zugang des Widerspruchs nicht „bisherige“ Arbeitgeberin, sondern hatte diese Eigenschaft am durch den Betriebsübergang von V auf T (an V) - also lange vor dem Widerspruch - verloren. V verlor durch diesen zweiten Betriebsübergang ihren Status als „neue Inhaberin“ und wurde zur „bisherigen Arbeitgeberin“. Die Erklärung im Oktober 2011 gegenüber der Beklagten als einer früheren Arbeitgeberin ging damit ins Leere.

19Auch systematische Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch nur gegenüber dem „bisherigen“ Arbeitgeber oder „dem neuen Inhaber“, den letzten Übergang des Arbeitsverhältnisses betreffend, erklärt werden kann (näher  - Rn. 19 ff.).

202. Dies entspricht der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7760 S. 20) für das Widerspruchsrecht. Mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2 und 12 GG) wäre es unvereinbar, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet würde, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat ( -; ebenso zu der Richtlinie 2001/23/EG: , C-138/91 und C-139/91 - [Katsikas ua.] Rn. 32, Slg. 1992, I-6577; vgl. auch Art. 1 und Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Bezogen auf den Widerspruch vom gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses am von der Beklagten zur V kann es insofern nur auf eine Arbeitspflicht des Klägers für die V ankommen. Eine solche bestand jedoch am nicht mehr, da das Arbeitsverhältnis infolge des weiteren Betriebsübergangs seit dem mit der T bestand.

21III. Der Kläger kann sich vorliegend auch nicht darauf berufen, auch „dem zweiten Betriebsübergang wirksam widersprochen (zu haben), bevor er den Widerspruch zum ersten Betriebsübergang erklärte“. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger dem erneuten Übergang seines Arbeitsverhältnisses von V auf die T nicht widersprochen hat. Diese Feststellung durch das Berufungsgericht hat der Kläger im Revisionsverfahren mit keiner Verfahrensrüge angegriffen, weswegen sie den Senat bindet (§ 559 Abs. 2 ZPO). Soweit der Kläger nunmehr - unsubstanziiert - das Gegenteil behauptet, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, den der Senat nicht berücksichtigen darf (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ebenso ist auch dem Vorbringen der Beklagten mit Hinweis auf den Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht G (- 7 Ca 203/12 -) nicht nachzugehen.

22IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
OAAAE-86356