BGH Beschluss v. - 5 StR 310/13

Revision im Strafverfahren: Beruhen eines Urteils auf unterbliebener Negativmitteilung bei auszuschließendem Verständigungsgespräch

Gesetze: § 202a StPO, § 212 StPO, § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c StPO, § 337 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 2 KLs 11/12

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes sowie weiterer vier Sexualstraftaten zu dessen Nachteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat bereits durch Beschluss vom nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerde des Angeklagten aufgehoben, weil sie diesen in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt habe (BVerfG NStZ 2014, 592). Für die neuerliche Verwerfung der Revision sind folgende Gründe maßgeblich:

21. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht in den Fällen II.3. und 4. der Urteilsgründe jeweils einen strafbefreienden Rücktritt vom sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) angenommen hat.

32. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge, die § 250 Satz 1, § 255a StPO seien verletzt. Denn die Revision trägt entgegen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht vor, weshalb der Verteidiger, dessen "Ausschluss ... nicht ausdrücklich angeordnet worden sei" (RB S. 6), sein Mitwirkungsrecht (§ 255a Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht im Vernehmungszimmer wahrgenommen hat. Allein der sich aus dem beigefügten Verwertungswiderspruch vom ergebende Vortrag, „die Anwesenheit des Verteidigers im Vernehmungszimmer" sei „konkret nicht gewährt worden", ermöglicht dem Senat keine Prüfung allein anhand des Revisionsvorbringens.

43. Die Rüge, es sei wegen Fehlens der sogenannten Negativmitteilung gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verstoßen worden, ist jedenfalls unbegründet.

5a) Soweit die Revision vorträgt, eine mit dem Verfahren befasste Staatsanwältin habe in einem mit dem „Pflichtverteidiger" am geführten Telefonat auf die Prüfung hingewirkt, „ob ... nicht doch eine geständige Einlassung abgegeben werden könne", handelt es sich um ein Geschehen vor der Erhebung der Anklage und wird daher vom Anwendungsbereich des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht erfasst; dieser betrifft lediglich „Erörterungen nach den §§ 202a, 212" StPO.

6b) Aber auch eine insoweit fehlende Negativmitteilung würde nur dann zur Aufhebung des angegriffenen Urteils führen, wenn dieses auf dem Verfahrensfehler beruhte. Dies ist aber auszuschließen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hat (BVerfGE 133, 168, 223 Rn. 98; BVerfG NStZ 2014, 592, 594). So verhält es sich hier, wie das vom Senat durchgeführte Freibeweisverfahren ergeben hat. Weder die beiden an der Hauptverhandlung beteiligten Berufsrichter noch die staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreterin vermochten sich an auch nur ein Gespräch zu erinnern, das eine Verständigung zum Gegenstand gehabt hätte.

7Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der von den Verfahrensbeteiligten hierzu abgegebenen Erklärungen. Dies gilt - unter Berücksichtigung des dort geschilderten Gangs der Hauptverhandlung - zumal deshalb, weil die in Bezug genommene, im Urteil wiedergegebene Einlassung des Angeklagten keine Anknüpfungspunkte für eine Verständigung bot, wie die in der Hauptverhandlung tätige Oberstaatsanwältin unmittelbar nach deren Verlesung erklärt hat. Soweit einer der Instanzverteidiger sich erinnert, sie habe im Vorfeld der Erklärung in öffentlicher Sitzung gefragt, "ob es nicht sinnvoll sei, noch einmal in Verständigungsgespräche einzutreten", und er habe erwidert, „dass sich die Verteidigung Gesprächen nicht verschließe", ist nach dem geschilderten weiteren Gang der Dinge auszuschließen, dass diese Äußerungen noch in tatsächliche Gespräche über eine Verständigung gemündet sind, zumal das Gericht die staatsanwaltschaftliche Anregung nicht kommentiert hat.

8c) Es kommt daher nicht darauf an, ob der Senat einer Ansicht, die (allein) bei einer auf die Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützten Verfahrensrüge eine Ausnahme vom revisionsrechtlichen Grundsatz, ein Revisionsführer brauche zur Beruhensfrage nichts vorzutragen, zulassen möchte (vgl. BVerfG aaO; ), folgen könnte; einen tragenden Grund für eine derartige Handhabung vermag er jedenfalls nicht zu erkennen.

94. Abschließend bemerkt der Senat, dass es - anders als die Revision zu meinen scheint - nicht zu den Aufgaben des Bundesgerichtshofs zählt, die Tatgerichte zu "disziplinieren".

Sander                          Schneider                          Dölp

                  König                               Bellay

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 1260 Nr. 17
NJW 2015 S. 8 Nr. 11
JAAAE-85513