Betriebsvereinbarung - Betriebsratsbeschluss
Leitsatz
Der wirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung setzt einen darauf bezogenen Betriebsratsbeschluss voraus.
Gesetze: § 77 Abs 6 BetrVG, § 26 Abs 2 S 1 BetrVG, § 33 Abs 1 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 5 BV 1/11 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 16 TaBV 205/11 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung.
2Die antragstellenden Arbeitgeberinnen betreiben am Standort W ein Distributionscenter zum Vertrieb von Kosmetika und Parfums in der Form eines Gemeinschaftsbetriebs. In diesem ist der zu 3. beteiligte Betriebsrat im Februar 2010 gewählt worden (Betriebsrat). Zuvor war ein von Mitarbeitern der Standorte D und W gewählter Betriebsrat (Betriebsrat We) für den Gemeinschaftsbetrieb zuständig. Durch Tarifvertrag wurde dessen Übergangsmandat bis zum verlängert.
3Der stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats We unterzeichnete unter dem eine für den Standort W bezogene Betriebsvereinbarung über die Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte (BV Überwachung). Diese konnte erstmals mit einer Frist von drei Monaten zum gekündigt werden. Bei einer Kündigung sollte die Betriebsvereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung nachwirken (Nr. 7 BV Überwachung).
4Der Betriebsrat kündigte die BV Überwachung mit Schreiben vom fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise mit gesetzlicher Frist sowie hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
5Die Arbeitgeberinnen haben beantragt
6Der Betriebsrat hat die Abweisung des Antrags beantragt und behauptet, der Betriebsrat We habe dem Abschluss der BV Überwachung nicht zugestimmt.
7Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberinnen entsprochen. Dagegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt und im Wege des Widerantrags die Feststellung beantragt, dass die Betriebsvereinbarung über die Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte im Distributionscenter der W GmbH, Standort W, vom keine Rechtswirkungen entfaltet. Die Arbeitgeberinnen haben die Abweisung des Widerantrags beantragt. Das Landesarbeitsgericht hat der Beschwerde des Betriebsrats entsprochen und unter Abweisung des Antrags der Arbeitgeberinnen nach dem Widerantrag erkannt. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Arbeitgeberinnen ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.
8B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen ist unzulässig, soweit sich diese gegen die Abweisung ihres Sachantrags durch das Landesarbeitsgericht wenden. Im zulässigen Umfang ist sie unbegründet.
9I. Soweit sich die Arbeitgeberinnen gegen die Abweisung ihres Sachantrags wenden, ist ihre Rechtsbeschwerde unzulässig. Die Begründung der Rechtsbeschwerde genügt nicht den Anforderungen des § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberinnen mit der Begründung abgewiesen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts, dem , habe für den Feststellungsantrag das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gefehlt, weil Gegenstand des Antrags der Bestand der BV Überwachung bis zum Ablauf des gewesen sei. Mit dieser Begründung setzt sich die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen nicht auseinander.
10II. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Widerantrag des Betriebsrats zu Recht entsprochen. Die BV Überwachung ist unwirksam.
111. Der Widerantrag des Betriebsrats ist zulässig.
12a) Mit seinem Antrag begehrt der Betriebsrat die Feststellung, dass die BV Überwachung gegenwärtig im Gemeinschaftsbetrieb nicht kraft Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 BetrVG) anzuwenden ist. Die Geltung einer Betriebsvereinbarung kraft Nachwirkung betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, wenn sie die Rechtsbeziehungen der Betriebsparteien in Bezug auf eine dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegende Maßnahme des Arbeitgebers ausgestaltet. Diese Voraussetzungen liegen vor. Bei einem wirksamen Abschluss der BV Überwachung hätte der Betriebsrat sein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in Bezug auf die in der BV Überwachung geregelten Maßnahmen der Arbeitgeberinnen ausgeübt. Hieran wäre er bis zum Abschluss einer anderen, die Nachwirkung beendenden Abmachung gebunden.
13b) Für den so verstandenen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die BV Überwachung nach deren Kündigung durch den Betriebsrat über den im Gemeinschaftsbetrieb weiter anzuwenden ist. An der Klärung dieser Frage hat der Betriebsrat ein rechtliches Interesse. Eine die BV Überwachung ersetzende andere Abmachung, die eine etwaige Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG beenden würde, haben die Betriebsparteien bislang nicht getroffen.
142. Der Widerantrag des Betriebsrats ist begründet. Die BV Überwachung ist nicht wirksam zwischen den Arbeitgeberinnen und dem Betriebsrat vereinbart worden. Es fehlt an dem für ihren Abschluss erforderlichen Betriebsratsbeschluss. Die fehlende normative Geltung der BV Überwachung hindert auch den Eintritt ihrer Nachwirkung.
15a) Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 Abs. 1 BetrVG). Dieser ist beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Dazu muss der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 BetrVG sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des BetrVG in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche Willensbildung herbeigeführt haben ( [B] - Rn. 20). Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Allerdings können ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Vereinbarungen vom Betriebsrat durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung nach § 184 Abs. 1 BGB genehmigt werden ( - Rn. 37).
16b) Nach den von den Arbeitgeberinnen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat bindenden (§ 559 Abs. 1 ZPO) Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat W vor der Unterzeichnung der BV Überwachung durch seinen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden keinen entsprechenden Zustimmungsbeschluss gefasst. Weder er noch der antragstellende Betriebsrat als sein Funktionsnachfolger haben eine solche Beschlussfassung nachgeholt und dadurch das Handeln des damaligen stellvertretenden Vorsitzenden genehmigt. Danach fehlt es an dem für einen wirksamen Abschluss der BV Überwachung erforderlichen Betriebsratsbeschluss. Dieser Mangel steht nicht nur ihrer normativen Geltung, sondern auch ihrer Anwendung kraft Nachwirkung entgegen. Die Rechtswirkungen des § 77 Abs. 6 BetrVG setzen die Geltung der beendeten Betriebsvereinbarung voraus.
17c) Die fehlende Beschlussfassung des Betriebsrats W ist nicht deswegen unbeachtlich, weil die Arbeitgeberinnen von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ausgehen durften. Es kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine widerlegbare Vermutung besteht, wonach die vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärungen auf einem entsprechenden Beschluss des Gremiums beruhen (dafür - zu II 2 b der Gründe, BAGE 105, 311; - 8 AZR 180/99 - zu II 3 b der Gründe; - 1 AZR 290/78 - zu II 1 a aa der Gründe, BAGE 35, 80; demgegenüber zweifelnd - zu B I 3 der Gründe). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre eine solche Vermutung als widerlegt anzusehen. Der Betriebsrat hat schon keinen Zustimmungsbeschluss gefasst.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 628 Nr. 11
DB 2015 S. 6 Nr. 10
DB 2015 S. 752 Nr. 13
BAAAE-85491