(Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen - zusätzlicher Barbetrag aufgrund der Übergangsregelung des § 133a SGB 12 - Bestandsschutzregelung - keine nachträgliche Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen durch rückwirkende Rentenbewilligung)
Leitsatz
Im Sozialhilferecht besteht auch dann kein Anspruch auf den zusätzlichen Barbetrag wegen Beteiligung an den Heimkosten nach der seit dem geltenden Bestandsschutzregelung, wenn die Kostenbeteiligung erst nach dem für die Zeit bis zum erfolgt ist.
Gesetze: § 19 Abs 1 S 1 SGB 12 vom , § 35 Abs 1 S 1 SGB 12 vom , § 35 Abs 2 S 1 SGB 12 vom , § 133a SGB 12, § 21 Abs 3 S 4 BSHG, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10
Instanzenzug: SG Stade Az: S 33 SO 84/07 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 8 SO 222/10 Urteil
Tatbestand
1Im Streit sind höhere Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom bis zum .
2Die 1953 geborene Klägerin war von März 2000 bis zum in einem psychiatrischen Wohnheim in V stationär untergebracht. Einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt (Bescheid vom ). Die Kosten der Unterbringung übernahm der Beklagte; an den Kosten war die Klägerin wegen fehlenden Einkommens zunächst nicht beteiligt. Für die Zeit ab bewilligte der Beklagte der Klägerin ua einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung in Höhe von monatlich 89,70 Euro (bestandskräftiger Bescheid vom ).
3Auf einen im Jahr 2006 gestellten Überprüfungsantrag bewilligte die DRV Bund der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem auf der Grundlage eines Versicherungsfalles am (Bescheid vom ). Der Nachzahlungsbetrag wurde auf Antrag des Beklagten an diesen gezahlt. Der Beklagte bewilligte der Klägerin ab dem einen höheren Barbetrag zur persönlichen Verfügung von nunmehr 93,15 Euro, lehnte den weitergehenden Antrag auf Zahlung eines Zusatzbarbetrages (vom ) für die Zeit ab dem jedoch ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom ).
4Das Sozialgericht (SG) Stade hat den Beklagten "verpflichtet, an die Klägerin den Zusatzbarbetrag gemäß § 21 Abs 3 S 4 BSHG für den Zeitraum vom bis zu zahlen"; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Die Berufung der Klägerin zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen blieb ohne Erfolg (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die nachträgliche Rentenbewilligung könne sich - unabhängig vom Zeitpunkt einer damit verbundenen Änderung - nicht auf die streitige Leistung auswirken. Durch die Zahlung der Rente an den Beklagten habe sich die Klägerin zwar nachträglich an den Kosten der Unterbringung beteiligt; diese Änderung führe aber nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 133a SGB XII. Es habe am kein fälliger Anspruch auf den zusätzlichen Barbetrag nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bestanden, wie dies das Gesetz verlange. Ein Vertrauensschutz nach § 133a SGB XII könne durch eine - wie hier - erst nach dem erfolgte Entstehung des Anspruchs auf den Zusatzbarbetrag grundsätzlich nicht ausgelöst werden.
5Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision und macht die Verletzung von § 133a SGB XII geltend. Ein Anspruch auf den Zusatzbarbetrag habe am bestanden; dass dieser erst nachträglich realisiert worden sei, könne angesichts des Wortlauts von § 133a SGB XII nicht entscheidend sein.
7Der Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
8Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Gründe
9Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
10Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) noch, soweit hier eine Änderung der vorangegangenen Bewilligung für die Zeit ab dem bis zum (Bescheid vom ) abgelehnt worden ist. Nach Abschluss eines sog Überprüfungsvergleichs wegen der im Klage- und Berufungsverfahren noch streitig gewesenen Zeiträume ab dem macht die Klägerin mit ihrer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG) im Revisionsverfahren nur noch höhere Leistungen für diese Zeit geltend; die Klage ist dabei zulässigerweise beschränkt auf die Zahlung eines höheren Barbetrags, dessen untrennbarer Bestandteil der zusätzliche Barbetrag nach § 133a SGB XII ist (vgl im Einzelnen dazu BSGE 101, 217 ff RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1). Zu Recht ist das LSG deshalb davon ausgegangen, dass eine weitere Beschränkung auf die Geltendmachung des zusätzlichen Barbetrags (§ 133a SGB XII) als alleinigen Streitgegenstand nicht möglich ist.
11Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom nach § 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) und eine nachträgliche Zahlung von (höheren) Leistungen des weiteren notwendigen Lebensunterhalts nach § 19 Abs 1 SGB XII (idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom - BGBl I 3022) iVm § 35 Abs 2 SGB XII (idF des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom - BGBl I 3305) liegen insoweit jedoch nicht vor. Der für die Leistungserbringung nach dem SGB XII in Verbindung mit den vom LSG im Einzelnen dargestellten Regelungen des Landesrechts früher wie heute sachlich und örtlich zuständige Beklagte hat deshalb höhere Leistungen nach § 35 Abs 2 Satz 2 SGB XII zu Recht abgelehnt. Der gewährte Barbetrag entspricht - wie im Gesetz vorgesehen - dem Mindestbetrag von 26 vom Hundert des (im streitigen Zeitraum) maßgeblichen Eckregelsatzes in Höhe von 345 Euro. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen keine besonderen Gesichtspunkte für eine von diesem pauschalierten Betrag abweichende höhere Bemessung des Barbetrags im Einzelfall vor (vgl zu diesem Gesichtspunkt BSGE 114, 147 ff RdNr 36 f = SozR 4-3500 § 92a Nr 1).
12Die Konstellation eines anfänglich rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, die nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zu beurteilen wäre, liegt insbesondere nicht vor, soweit die Klägerin geltend macht, ihr habe vom an eine höhere Leistung auf Grundlage des § 133a SGB XII zugestanden. Nach § 133a SGB XII wird Personen, die am einen Anspruch auf einen zusätzlichen Barbetrag nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG hatten, diese Leistung in der für den vollen Kalendermonat Dezember 2004 festgestellten Höhe weiter erbracht. Die genannte Regelung des BSHG sah einen zusätzlichen Barbetrag in Höhe von 5 vom Hundert seines Einkommens, höchstens jedoch in Höhe von 15 vom Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes, vor, wenn der Hilfeempfänger einen Teil der Kosten des Aufenthalts in der Einrichtung selbst trug. Zwar stand der Klägerin von Beginn des stationären Aufenthalts an bereits ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Dieser Sachverhalt ist aber für die Bewilligung des Zusatzbarbetrages nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG und damit zugleich für eine Leistung nach § 133a SGB XII (auch) in der Rückschau unerheblich (zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt im Überprüfungsverfahren betreffend bestandskräftige Verwaltungsakte nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 f), weil zum Zeitpunkt des Erlasses der bestandskräftig gewordenen Entscheidung die erforderliche Beteiligung an den Kosten noch nicht vorlag. Noch nicht realisierte Ansprüche, die im Falle ihres tatsächlichen Zuflusses eingesetzt werden müssten, sind also für die rechtliche Beurteilung des bestandskräftigen Bescheids nicht relevant. Entscheidungserheblich ist dies ohnehin nicht, weil die Voraussetzungen des § 133a SGB XII nicht erfüllt sind (dazu im Folgenden).
13Ein Anspruch auf Aufhebung der Bewilligung vom durch den Beklagten und Zahlung eines höheren zusätzlichen Barbetrages ergibt sich auch nicht aus § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist, wenn in den rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse zugunsten des Betroffenen eingetreten ist. Allein die im Jahr 2007 erfolgte Beteiligung der Klägerin an den Kosten der Unterbringung, die in der Sache mit der vollständigen Erstattung des Nachzahlungsbetrages der Rente an den Beklagten erfolgt ist und die § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG voraussetzt, bedeutet keine wesentliche Änderung zugunsten der Klägerin im Rahmen der Anwendung des § 133a SGB XII.
14Dieser setzt als Bestandsschutzregelung dem Sinn und Zweck nach nämlich voraus, dass der entsprechende Teil der Leistungen bereits am beansprucht werden konnte; ob insoweit ein Anspruch auf Korrektur einer früheren fehlerhaften Leistungsablehnung nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ausreichen würde oder im Anwendungsbereich des § 133a SGB XII der Zusatzbarbetrag am tatsächlich zur Verfügung stehen musste ("in festgestellter Höhe"), kann offen bleiben. Jedenfalls genügt es nicht, wenn der Anspruch nach § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG erst durch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach dem entsteht.
15So liegt es aber hier: Zwar wirkt die Erzielung von Einkommen als Folge der Rentenbewilligung wegen der (für die Klägerin im Grundsatz nachteiligen) Einkommensberücksichtigung auf den Beginn des Anrechnungszeitraums (also den ) zurück (vgl § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X). Selbst wenn dieser für eine Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X maßgebliche (fiktive) Zeitpunkt (der mit dem Zeitpunkt des Ereignisses, das die wesentliche Änderung herbeigeführt hat, nicht übereinstimmt) zugleich der maßgebliche Anknüpfungspunkt für einen Anspruch der Klägerin auf den zusätzlichen Barbetrag bis zum wäre - wovon das SG ausgegangen ist (anders W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl 2002, § 21 BSHG RdNr 43) -, konnte dieser Anspruch erst im Nachhinein durch die Zahlung der Rente an den Sozialhilfeträger entstehen.
16Damit fällt der vorliegende Fall nicht unter § 133a SGB XII, der nach der Rechtsprechung des Senats als Bestandsschutzregelung zu verstehen ist (im Einzelnen BSG SozR 4-3500 § 133a Nr 2 RdNr 13). Die in § 133a SGB XII vorgesehene Stichtagsregelung ist nur als Auslaufregelung zu verstehen (vgl auch BT-Drucks 15/3977, S 7); mit ihr sollte lediglich den Personen, die sich auf die bestehende Regelung bereits tatsächlich eingestellt hatten, der erhöhte Barbetrag weiterhin erhalten bleiben. Dies macht - entgegen der Auffassung der Klägerin - der Wortlaut des § 133a SGB XII auch insoweit deutlich, als der im Rahmen dieser Regelung geschützte Betrag sich nach der für Dezember 2004 "festgestellten" Höhe richtet.
17Bestand mithin am ein Anspruch auf den Zusatzbarbetrag noch nicht, scheidet ein Anspruch auf höhere Leistungen nach § 133a SGB XII auch für die Zeit ab dem aus (im Einzelnen bereits BSGE 101, 217 = SozR 4-3500 § 133a Nr 1 und SozR 4-3500 § 133a Nr 2). Andere maßgebliche Gesichtspunkte für eine höhere Bemessung des Barbetrags im Einzelfall (§ 35 Abs 2 Satz 2 SGB XII) sind nach dem nicht eingetreten.
18Dieses Ergebnis verletzt die Klägerin nicht in ihren Grundrechten. Weder das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) noch das Gebot des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs 3 GG) noch der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) sind verletzt, wie der Senat ausführlich in seiner Entscheidung vom (BSG SozR 4-3500 § 133a Nr 2 RdNr 17 f) dargelegt hat.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:171214UB8SO1813R0
Fundstelle(n):
AAAAE-85101