BGH Urteil v. - 2 StR 170/14

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Gefährlichkeitsprognose; Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten

Gesetze: § 62 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 115 KLs 12/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerweile chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formenkreis gemäß ICD-10 F 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.

4a) Als Folge seines Wahnerlebens bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit dem Messer und trat im Februar 2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im Sommer 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich beratene Strafkammer keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine Fähigkeit, das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.

5Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Angeklagte obdach- und mittellos. Am 8. sowie am entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe bereits bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.

6b) Zu den Anlasstaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:

7Am betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur Anprobe aushändigen, entfernte das Sicherungsetikett und zog sie an. Einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der ihn bat, die Schuhe wieder auszuziehen, begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter versuchte, ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte lautstark (Fall 1).

8Am hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm unbekannte Frau A.      habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K.       in M.        und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu bezahlen. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filialleiterin geschenkt worden (Fall 2).

9Am betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall 3).

102. Das Landgericht hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. versuchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt, da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.

113. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht bestehe.

12Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Diebstahlstaten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des §

63 StGB einzustufen.

13Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewalttaten, könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden. Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den Handtaschenraub im Jahr 2009 sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die - auch normalpsychologisch erklärbare - Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathandlungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben - selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichteten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.

II.

14Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

151. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. , juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 24).

162. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.

17a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 94/13; , jeweils mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (, juris Rn. 10; Beschluss vom - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Senat, Beschluss vom - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).

18b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.

19Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA 5. 48). Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.

20Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; , NStZ-RR 2012, 337, 338). Da der Angeklagte wiederholt auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosenheimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situationen (wie nach Entdecken seiner Diebstahlstaten) keine Person gezielt körperlich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwägung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich" seien. Damit fehlen Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. , NStZ-RR 2013, 145, 147; Beschluss vom - 5 StR 547/10; Senat, Urteil vom - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241).

21Soweit das Landgericht die von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Fischer                     Appl                          Eschelbach

                 Ott                         Zeng

Fundstelle(n):
GAAAE-83946