Gehörsverletzung im Berufungsverfahren: Anspruch auf mündliche Anhörung eines gerichtlichen Sachverständigen
Gesetze: § 397 ZPO, § 402 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 14 U 66/12vorgehend Az: 2 O 1387/09nachgehend OLG Frankfurt Az: 14 U 66/12 Urteil
Gründe
I.
1Der Kläger verlangt Schadensersatz für Strahlenschäden. Nach einer in der Universitätsklinik in M. gestellten Diagnose eines mäßig differenzierten Plattenepithelkarzinoms der Zunge am stellte sich der Kläger am in der HNO-Klinik der Beklagten vor. Dort wurde zunächst eine Induktionschemotherapie durchgeführt und am das Zungenkarzinom operativ entfernt. Bei der entnommenen Gewebeprobe wurden keine Metastasen festgestellt und der Nachweis für das vordiagnostizierte Plattenepithelkarzinom nicht geführt. Nach einer Tumorkonferenz am im Klinikum der Beklagten, an der auch Ärztinnen einer mit dem Klinikum kooperierenden strahlentherapeutischen Gemeinschaftspraxis teilnahmen, wurde dem Kläger die Durchführung einer adjuvanten Strahlentherapie in der Gemeinschaftspraxis empfohlen. Diese wurde sodann durchgeführt.
2Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Antrags auf Verurteilung zu einem angemessenen Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag des Klägers durch ein Teil-Grundurteil und Teil-Endurteil stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Deren Ärzte hätten bei der Anordnung der Strahlentherapie die Aufklärungspflicht verletzt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Eingriff nur relativ indiziert gewesen. Dem Kläger hätte vor der Durchführung der Strahlentherapie mitgeteilt werden müssen, dass nach herrschender Lehrmeinung eine postoperative Bestrahlung nicht notwendig gewesen sei und angesichts der schädigenden Wirkung der Strahlentherapie auch nur äußerst zurückhaltend angewendet werden sollte.
II.
3Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
41. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZR 275/08, VersR 2009, 1137 Rn. 2 mwN).
52. So verhält es sich im Streitfall. Das Berufungsgericht hat unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG davon abgesehen, den Sachverständigen auf Antrag der Beklagten zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören. In der mündlichen Verhandlung beim Landgericht am hat der Beklagtenvertreter beantragt, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zur Beweisaufnahme einzuräumen. Das Landgericht hat einen Schriftsatznachlass abgelehnt, weil die Voraussetzungen prozessual nicht vorlägen. Daraufhin hat die Beklagte - nach der zum Urteil führenden mündlichen Verhandlung - mit Schriftsatz vom unter anderem ausgeführt, der gerichtliche Sachverständige müsse angehört werden, und beantragt, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und den Sachverständigen zur Anhörung zu laden. In der Berufungsbegründung hat sie "nochmals die ergänzende Befragung des Sachverständigen" beantragt und zur Vermeidung von Wiederholungen auf den gesamten Vortrag aus erster Instanz, insbesondere auch auf den Schriftsatz vom , verwiesen und diesen "zum Gegenstand diesseitigen Vortrags" gemacht. Damit hat die Beklagte ihren Antrag auf Anhörung des Sachverständigen zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht.
6Nach ständiger Rechtsprechung hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. etwa Senatsurteil vom - VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555; vom - VI ZR 176/05, NJW-RR 2007, 212; vom - VI ZR 233/06, VersR 2007, 1713). Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welche Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 176/05, aaO). Im Hinblick darauf hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen.
Galke Wellner Pauge
Stöhr Oehler
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Fundstelle(n):
AAAAE-83922