Betriebliche Lohngestaltung - vereinbarte Arbeitsvergütung
Gesetze: § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 88 BetrVG, § 77 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: ArbG Mönchengladbach Az: 3 BV 27/12 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 TaBV 107/12 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über den Inhalt einer Gesamtbetriebsvereinbarung.
2Die nicht tarifgebundene Arbeitgeberin bietet Finanzdienstleistungen an. Sie beschäftigt ca. 3.600 Arbeitnehmer. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat.
3Am beschloss eine Einigungsstelle die „Gesamt-Betriebsvereinbarung über die Schaffung eines neuen Gehaltssystems“ (GBV Gehalt). In deren Anlagen ist eine betriebliche Vergütungsgruppenordnung geregelt und die Abstände zwischen den ausgebrachten 14 Vergütungsgruppen bestimmt. Nach § 9 Abs. 1 GBV Gehalt darf der Abstand zwischen den Vergütungsgruppen nur mit Zustimmung des Gesamtbetriebsrats geändert werden. § 3 einer als „Nachtrag 1 zur Gesamt-Betriebsvereinbarung vom “ bezeichneten Vereinbarung vom 17. November/ (VE Nachtrag) lautet:
4Die VE Nachtrag ist auf Arbeitnehmerseite vom Gesamtbetriebsrat und dem örtlichen Betriebsrat der Hauptverwaltung unterzeichnet worden.
5Die Arbeitgeberin beschäftigte ab dem im Bereich „Legal & Compliance“ den Mitarbeiter G als „Referent Level IV“ mit einer Vergütung iHv. 6.500,00 Euro. Der Betriebsrat der Hauptverwaltung verweigerte der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 12 der betrieblichen Entgeltordnung mit Schreiben vom seine Zustimmung. In dem Schreiben heißt es:
6Daraufhin beteiligte die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit Schreiben vom erneut zur Eingruppierung und gab an, dass Herr G nach Vergütungsgruppe 14 (seinerzeit: 6.033,00 Euro) mit einer Sonderzulage außerhalb des Vergütungssystems in Höhe von 467,00 Euro monatlich vergütet werden solle. Der Betriebsrat verweigerte am auch dieser Eingruppierung zunächst seine Zustimmung. Ein daraufhin von ihm eingeleitetes Beschlussverfahren endete durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs. In diesem stimmte der Betriebsrat der Eingruppierung von Herrn G in die Vergütungsgruppe 12 zu.
7Der Gesamtbetriebsrat hat geltend gemacht, die Zahlung von 6.500,00 Euro an Herrn G sei mit der GBV Gehalt iVm. § 3 Abs. 1 VE Nachtrag nicht vereinbar.
8Der Gesamtbetriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt,
9Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
10Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen. In der Anhörung vor dem Senat hat der Gesamtbetriebsrat seine Rechtsbeschwerde auf den zu 2. erhobenen Feststellungsantrag beschränkt.
11B. Die Rechtsbeschwerde ist in dem noch rechtshängigen Umfang unbegründet. Der Gesamtbetriebsrat hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung.
12I. Der Antrag ist zulässig.
131. Er ist nach seinem Wortlaut nur auf die Feststellung gerichtet, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, an den Arbeitnehmer G unabhängig von der mit diesem getroffenen Vereinbarung eine monatliche Vergütung auszuzahlen, die das Grundgehalt der Vergütungsgruppe 12 GBV Gehalt zuzüglich einer monatlichen Zulage in Höhe der Vergütungsdifferenz zwischen dieser Vergütungsgruppe und der Vergütungsgruppe 14 GBV Gehalt übersteigt. Entsprechend dem im Antrag angeführten Anlassfall geht es dem Gesamtbetriebsrat jedoch um die abstrakte Feststellung, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, eine mit Arbeitnehmern vereinbarte Vergütung auszuzahlen, soweit die in § 3 Abs. 1 VE Nachtrag für die Gewährung einer Zulage bestimmte Obergrenze überschritten wird.
142. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Die Beteiligten streiten über den Inhalt eines bestehenden feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses. Zwischen ihnen bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von § 3 Abs. 1 VE Nachtrag.
15II. Der Antrag ist unbegründet. § 3 Abs. 1 VE Nachtrag untersagt der Arbeitgeberin nicht die Auszahlung von vertraglich vereinbarten Vergütungsbestandteilen. Dies folgt aus der Auslegung der VE Nachtrag.
161. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge oder Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen sowie die von den Betriebsparteien praktizierte Handhabung der Betriebsvereinbarung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. - Rn. 12).
172. Die Arbeitgeberin ist nach § 3 Abs. 1 VE Nachtrag nicht gehindert, die mit einem Arbeitnehmer getroffene Vergütungsabrede zu erfüllen, selbst wenn die vereinbarte Vergütung die dort festgelegte Obergrenze übersteigt.
18a) Schon der Wortlaut von § 3 Abs. 1 VE Nachtrag spricht gegen ein solches Verbot. Danach kann die Arbeitgeberin nach eigenem Ermessen eine Zulage von bis zu zwei Vergütungsgruppen zahlen. Damit ist weder die höchstmögliche Zulagenhöhe bestimmt noch die Rechtsfolgen bei einem etwaigen Überschreiten der Differenz von zwei Vergütungsgruppen. Der Arbeitgeberin wird es auch nicht untersagt, eine günstigere Vergütungsabrede mit einem Arbeitnehmer abzuschließen und zu erfüllen.
19b) Der Gesamtzusammenhang ergibt keine Anhaltspunkte für die Auslegung von § 3 Abs. 1 VE Nachtrag. Lediglich in § 9 Abs. 1 GBV Gehalt, die durch die VE Nachtrag ergänzt wird, wird ausdrücklich bestimmt, dass die dort angeführten Abweichungen der Zustimmung des Gesamtbetriebsrats bedürfen. Eine vergleichbare Regelung haben die Beteiligten in § 3 Abs. 1 VE Nachtrag über die Erfüllung vertraglicher Abreden nicht getroffen.
20c) Der Normzweck der betrieblichen Vergütungsregelungen spricht gegen die Annahme, die Arbeitgeberin sei durch § 3 Abs. 1 VE Nachtrag an der Erfüllung einer vertraglichen Abrede gehindert. Dabei kann dahinstehen, ob es sich - wie vom Landesarbeitsgericht angenommen - bei der VE Nachtrag um die Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG handelt oder die Beteiligten eine freiwillige (Gesamt-)Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG abgeschlossen haben.
21aa) Sofern die Arbeitgeberin und der Gesamtbetriebsrat mit der VE Nachtrag ein dem Gesamtbetriebsrat ausnahmsweise ( - Rn. 14 ff., BAGE 133, 373) zustehendes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ausgeübt haben sollten, hätten diese die Befugnis der Arbeitgeberin zur Auszahlung der vereinbarten Vergütung nicht beschränken können. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erstreckt sich nicht auf die arbeitsvertraglich vereinbarten Entgelte der Arbeitnehmer. Solche Abreden betreffen die Entgelthöhe und sind daher der Regelungsmacht der Betriebsparteien entzogen. Eine Betriebsvereinbarung, nach der die Vereinbarung oder die Auszahlung eines einzelvertraglich vereinbarten Gehaltsbestandteils von der Zustimmung des Betriebsrats abhängt, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht zulässig ( - Rn. 26).
22bb) Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sich der Arbeitgeber in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrVG) verpflichten kann, mit Arbeitnehmern getroffene und gegenüber der betrieblichen Regelung günstigere vertragliche Verpflichtungen nicht (mehr) zu erfüllen. Eine solche, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit zumindest zweifelhafte und in der Praxis ungewöhnliche Verpflichtung muss in der getroffenen betrieblichen Regelung deutlich zum Ausdruck kommen, woran es vorliegend gerade fehlt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
MAAAE-83905