Inkongruente Deckung - Zahlung über Konto der Ehefrau
Gesetze: § 204 Abs 1 Nr 3 BGB, § 199 Abs 1 BGB, § 195 BGB, § 131 Abs 1 Nr 2 InsO, § 142 InsO, § 146 InsO, § 167 ZPO, § 169 S 1 SGB 3, § 165 Abs 1 S 1 SGB 3, § 324 Abs 3 S 2 SGB 3
Instanzenzug: Az: 12 Ca 276/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 10 Sa 1114/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Rückzahlung des der Beklagten im Wege einer mittelbaren Zuwendung über das Konto der Ehefrau des späteren Schuldners gezahlten Nettoentgelts für März 2008 im Wege der Insolvenzanfechtung.
2Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das auf Eigenantrag des Schuldners vom am eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das am in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Die Beklagte war Arbeitnehmerin des Schuldners, der im Frühjahr 2008 noch ca. 20 weitere Arbeitnehmer beschäftigte. Der Beklagten wurde nach ihrer zum erklärten Eigenkündigung mit Bescheid vom Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. bis bewilligt.
3Am leitete der frühere Geschäftspartner des Schuldners die Zwangsvollstreckung aus einem am geschlossenen Schuldanerkenntnis über 820.000,00 Euro, in dem sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatte, ein. Am wurde vom Geschäftskonto des Schuldners, das sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit mehr als 150.000,00 Euro im Soll befand, ein Betrag von 100.000,00 Euro mit dem Verwendungszweck „Löhne“ auf ein privates Girokonto seiner Ehefrau überwiesen. Der Schuldner war nie Inhaber dieses Kontos und hatte seit Eröffnung im Jahr 1995 zu keiner Zeit Vollmacht über dieses Konto. Am überwies die Ehefrau des Schuldners ua. das Nettoentgelt der Beklagten für März 2008 von 1.296,66 Euro, das ihr am Ende des Monats März 2008 mit der Angabe „W Architekten Lohn - Gehalt Abrechnung 3/2008“ gutgeschrieben wurde.
4Der Kläger erklärte mit Schreiben vom die Anfechtung der Zahlung des Entgelts für März 2008. Dieses Schreiben ging der Beklagten nicht zu. Am beantragte der Kläger bei dem Arbeitsgericht Hannover den Erlass eines Mahnbescheids. Den Anspruch bezeichnete er wie folgt:
5Der am erlassene Mahnbescheid konnte nicht zugestellt werden, weil die Beklagte unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Darauf wies das Arbeitsgericht den Kläger mit Schreiben vom hin. Dessen Anfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass die Beklagte nach Finnland verzogen war. Über die Deutsche Botschaft in Finnland erhielt der Kläger am die finnische Anschrift der Beklagten, die er mit Schreiben vom dem Arbeitsgericht mitteilte. Die am eingeleitete Auslandszustellung führte am zur Zustellung. Die Beklagte erhob vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids Widerspruch.
6Der Kläger hat beantragt,
7Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Zahlung habe keine inkongruente Deckung bewirkt. Der Anspruch sei zudem verjährt. Ohnehin sei Anfechtungsgegnerin allein die Bundesagentur für Arbeit, weil das angefochtene Entgelt insolvenzgeldfähig sei.
8Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Gründe
9Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob der Anfechtungstatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt ist. Dazu bedarf es noch der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, ob der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung zahlungsunfähig war. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
10I. Der Kläger hat die mittelbar über das Konto der Ehefrau des Schuldners bewirkte Erfüllung des (Netto-)Entgeltanspruchs für März 2008 und damit eine Rechtshandlung des Schuldners angefochten. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 12) ausgeführt.
11II. Entgegen der Auffassung der Beklagten richtet sich die Anfechtung ungeachtet des Umstands, dass sie Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. bis erhalten hat, gegen sie und nicht gegen die Bundesagentur für Arbeit.
121. Die Bundesagentur für Arbeit ist nur Anfechtungsgegnerin, soweit der Anspruch gemäß § 169 Satz 1 SGB III auf sie übergegangen ist ( - Rn. 13; aA Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung 4. Aufl. Einführung Rn. 391 zur wortgleichen Vorgängerbestimmung in § 187 Satz 2 SGB III). Das ergibt sich aus Systematik und Zweck des Insolvenzgeldanspruchs. Arbeitsentgelt- und Insolvenzgeldanspruch sind akzessorisch ausgestaltet. Insolvenzgeld wird nur geleistet, soweit ein Anspruchsübergang nach § 169 SGB III erfolgt. Darum ist es gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III nur zu gewähren, soweit „noch“ Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Hieran fehlt es, wenn der Anspruch wie vorliegend (zunächst) durch Erfüllung erloschen ist (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Oktober 2014 K § 165 Rn. 163). Der Insolvenzgeldanspruch bestand aufgrund dieser Systematik nach der Erfüllung des Entgeltanspruchs für März 2008 im Zeitpunkt des Antrags auf Insolvenzgeld im Jahr 2008 nicht und konnte darum auch nicht durch diesen Antrag auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen. Er entstünde allenfalls neu, wenn die Anfechtung Erfolg hat, die Ausschluss- bzw. Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB III gewahrt sind und der Insolvenzgeldzeitraum nicht ausgeschöpft ist ( - Rn. 33 f.).
132. Darüber hinaus hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass sie nicht nur für die Zeit vom 1. bis , sondern auch für März 2008 Insolvenzgeld beantragt hat.
14III. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Entgelt für März 2008 auf dem erfolgten Zahlungsweg beanspruchen können, weil nur eine geringfügige, die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Abweichung vorliege, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie trägt dem Grundgedanken des § 131 InsO nicht hinreichend Rechnung. Die Befriedigung erfolgte nicht in der geschuldeten Art und war damit inkongruent. Insbesondere erfordert entgegen der Auffassung der Beklagten eine inkongruente Deckung nicht, dass sie unter äußeren Umständen erfolgt ist, die für den Anfechtungsgegner die Verdächtigkeit der Leistung erkennen ließ. Die von der Beklagten insoweit herangezogenen Ausführungen in der Entscheidung des - IX ZR 58/10 - Rn. 17) beziehen sich nur auf die erforderliche objektive Verdächtigkeit der Zahlung. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine Ausführungen zur inkongruenten Deckung in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 14 bis 29).
15Die Beklagte hat auch erkannt, dass es sich bei der Zahlung des Nettoentgelts für März 2008 um eine Leistung des Schuldners handelte (vgl. zu diesem Erfordernis - Rn. 13, BAGE 146, 323). Die Zahlung erfolgte mit dem Zusatz „W Architekten Lohn - Gehalt Abrechnung 3/2008“, weswegen die Beklagte nach ihrem Vortrag davon ausging, das Entgelt sei durch den Schuldner als Arbeitgeber gezahlt worden.
16IV. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
171. Die Beklagte erlangte die inkongruente Deckung Ende März 2008 und damit im zweiten Monat vor dem am beim Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag. Auch die erforderliche Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 InsO liegt vor. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 32 bis 39).
182. Die Einrede der Verjährung (§ 146 Abs. 1 InsO iVm. § 214 Abs. 1, §§ 194 ff. BGB) hat keinen Erfolg.
19a) Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts ist der Anfechtungsanspruch nicht schon deshalb verjährt, weil der Beklagten vor Ablauf des Jahres 2011 keine Anfechtungserklärung zugegangen ist. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführungen in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 43 f.).
20b) Die gemäß § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB am eintretende Verjährung wurde durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
21aa) Der durch die unrichtige Adressierung des Mahnantrags erforderliche Schriftwechsel zwischen Mahngericht und dem Kläger führte nicht zu einer rechtserheblichen Verzögerung der Auslandszustellung. Zwar wurde der Mahnbescheid der Beklagten nicht mehr vor Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt. Die Zustellung erfolgte jedoch „demnächst“ iSd. § 167 ZPO. Die Verzögerung der Zustellung durch die Angabe der unzutreffenden Anschrift der Beklagten ist dem Kläger nicht zuzurechnen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 870/13 - Rn. 17 bis 19) ausgeführt und nimmt darauf Bezug. Die durch die erforderliche Auslandszustellung eingetretene Verzögerung fiel nicht in die Risikosphäre des Klägers. Die Verantwortung für die korrekte und effiziente Durchführung des Verfahrens bei Zustellungen im Ausland liegt nach der gesetzlichen Regelung allein bei den Justizbehörden ( - Rn. 40, BAGE 143, 50).
22bb) Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids war auch hinreichend individualisiert. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 48 bis 50) begründet.
233. Der Rückforderungsanspruch ist nicht verwirkt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom (- 6 AZR 869/13 - Rn. 52 f.) verwiesen.
24V. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen zu der für § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners iSv. § 17 Abs. 2 InsO im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung getroffen. Dies wird es unter Beachtung der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ( - Rn. 23 ff., BAGE 139, 235; - Rn. 11; - IX ZR 143/12 - Rn. 7 ff.) nachzuholen haben. Sollte es die Zahlungsunfähigkeit bejahen, wird es bei seiner Entscheidung über die Zinsen zu beachten haben, dass der Einwand des missbräuchlichen Verhaltens dem geltend gemachten Zinsanspruch nicht entgegensteht. Das bloße Ausschöpfen der Verjährungsfrist begründet keinen Rechtsmissbrauch (vgl. - Rn. 29, BAGE 128, 317). Es wird weiter berücksichtigen müssen, dass der Rückgewähranspruch ab Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist. Nach der geltenden Rechtslage entsteht das Anfechtungsrecht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und wird zugleich der Rückgewähranspruch fällig, weil die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf (vgl. - Rn. 20, BGHZ 171, 38). Der Zinslauf des Zinsanspruchs (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) beginnt darum am Tag nach der Insolvenzeröffnung (st. Rspr. seit - Rn. 39 f.).
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 372 Nr. 7
XAAAE-83239