Leitsatz
Leitsatz:
1. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er es nicht verbietet, dass der von den Zollbehörden nach dem nationalen Verfahrensrecht erbrachte Nachweis des Ursprungs der eingeführten Waren auf Ergebnissen von Untersuchungen beruht, die von einem Dritten durchgeführt wurden und die dieser Dritte weder den Zollbehörden noch dem Zollanmelder offenlegen will, wodurch es erschwert oder unmöglich gemacht wird, die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse zu überprüfen oder zu widerlegen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz gewahrt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.
2. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens sind dann, wenn die Zollbehörden die betreffenden Untersuchungen nicht offenlegen können, die Frage, ob sie einem Antrag des Abgabenschuldners, auf eigene Kosten Untersuchungen im angegebenen Ursprungsland durchführen zu lassen, stattgeben müssen, sowie die weiteren Fragen, ob es von Bedeutung ist, dass noch eine begrenzte Zeit lang Teile von Proben der Waren aufbewahrt wurden, die dem Abgabenschuldner für eine Untersuchung durch ein anderes Laboratorium hätten zur Verfügung gestellt werden können, und ob bejahendenfalls die Zollbehörden den Abgabenschuldner darauf hinweisen müssen, dass noch Zweitproben der Waren vorhanden sind und dass er diese Proben für eine solche Untersuchung anfordern kann, nach dem nationalen Verfahrensrecht zu beantworten.
Instanzenzug: Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) -
Entscheidungsgründe:
1Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta der Grundrechte).
2Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Unitrading Ltd (im Folgenden: Unitrading) und dem Staatssecretaris van Financiën wegen der Erhebung von Einfuhrabgaben.
Rechtlicher Rahmen
3Art. 243 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) bestimmt:
"(1) Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.
...
(2) Ein Rechtsbehelf kann eingelegt werden:
a) auf einer ersten Stufe bei der von den Mitgliedstaaten dafür bestimmten Zollbehörde;
b) auf einer zweiten Stufe bei einer unabhängigen Instanz; dabei kann es sich nach dem geltenden Recht der Mitgliedstaaten um ein Gericht oder eine gleichwertige spezielle Stelle handeln."
4Nach Art. 245 des Zollkodex gilt:
"Die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens werden von den Mitgliedstaaten erlassen."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
5Am meldete Unitrading, die ihren Sitz in Rickmansworth (Vereinigtes Königreich) hat, bei den niederländischen Zollbehörden 86 400 Kilogramm frische Knoblauchknollen (im Folgenden: die Ware) zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Die Anmeldung wurde von der F. V. de Groof's In- en Uitklaringsbedrijf BV, die ihr Gewerbe unter der Firma Comex betreibt (im Folgenden: Comex), in direkter Vertretung von Unitrading vorgenommen. In der Anmeldung war Pakistan als Ursprungsland der Ware angegeben. Ihr lag ein von der Karachi Chamber of Commerce and Industry (Handels- und Industriekammer Karatschi) ausgestelltes Ursprungszeugnis vom bei.
6Die niederländischen Zollbehörden entnahmen am Proben der Ware. Am selben Tag verlangten sie die Stellung einer zusätzlichen Sicherheit, weil sie Zweifel an der Richtigkeit des angegebenen Ursprungslands hatten. Nachdem Unitrading diese Sicherheit geleistet hatte, überließen die Zollbehörden die Ware am . Das Zolllaboratorium Amsterdam (Douanelaboratorium Amsterdam, Niederlande) ließ jedoch einen Teil jeder einzelnen Probe (im Folgenden zusammen: Zweitproben) von einem Laboratorium des US Department of Homeland Security, Customs and Border Protection (Ministerium für innere Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika, Abteilung Zoll und Grenzschutz, im Folgenden: amerikanisches Laboratorium) nach der hochauflösenden so genannten ICP/MS-Methode (Inductively coupled plasma mass spectroscopy, Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma) untersuchen. Dieses Laboratorium wies in einem Schreiben vom u. a. darauf hin, dass es sich bei der fraglichen Ware mit über 98%iger Wahrscheinlichkeit um chinesischen Knoblauch handele.
7Auf Antrag von Comex wurde ein weiterer Teil jeder einzelnen Probe an das amerikanische Laboratorium gesandt, das nach erfolgter Untersuchung seine früheren Feststellungen bestätigte. Hingegen lehnten die Zollbehörden das Angebot von Comex ab, die Ware in Pakistan auf Kosten der Gesellschaft zu untersuchen, für die sie in die Niederlande eingeführt worden war.
8Das Zolllaboratorium Amsterdam teilte die Ergebnisse der neuerlichen Untersuchungen den Dienststellen der zuständigen niederländischen Zollstelle mit. Es unterrichtete diese weiter darüber, dass der Rest der untersuchten Proben nicht bei ihm aufbewahrt werde, sondern dass Gegenproben bis zum in einem Zentrallager aufbewahrt würden, wovon Unitrading am in Kenntnis gesetzt wurde. Am stellten die Zollbehörden als Ergebnis fest, dass die Ware aus China stamme.
9Am erging ein Abgabenbescheid mit der Aufforderung zur Zahlung von Zoll (im Folgenden: streitiger Abgabenbescheid) und wurde Unitrading übermittelt. In Anbetracht der Behauptung, dass die Ware aus China stamme, wurden zusätzliche Abgaben in Höhe von 1 200 EUR je 1 000 Kilogramm, d. h. von 98 870,40 Euro, erhoben.
10Gegen den streitigen Abgabenbescheid legte Unitrading einen Einspruch ein, mit dem sie sich gegen die Untersuchungen des amerikanischen Laboratoriums wandte. Auf Anfrage des Zolllaboratoriums Amsterdam wies das amerikanische Laboratorium mit E-Mail vom darauf hin, dass die Zweitproben mit den in seinen Datenbanken vorhandenen Daten zu dem angemeldeten Ursprungsland Pakistan und dem vermuteten Ursprungsland China verglichen worden seien. Im März 2009 teilte es dem Zolllaboratorium von Amsterdam weiter mit, dass in den Proben der Ware über 15 Spurenelemente nachgewiesen worden seien. Eine Offenlegung der Informationen über die Regionen Chinas und Pakistans, die miteinander verglichen worden waren, lehnte das amerikanische Laboratorium jedoch mit der Begründung ab, dass es sich um sensible Daten handele, zu denen der Zugang gesetzlich beschränkt sei.
11In einem Bericht vom über eine in China durchgeführte Untersuchung betreffend einige ins Vereinigte Königreich, in die Niederlande und nach Belgien verschickte Partien frischer Knoblauchknollen, für die als Ursprungsland zwar Pakistan angegeben worden war, jedoch China vermutet wurde, gelangte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zu dem Schluss, dass viel für die Annahme spreche, dass die Ware nicht aus Pakistan, sondern aus China stamme.
12Nachdem unter diesen Umständen der streitige Abgabenbescheid von den Zollbehörden bestätigt worden war, rief Unitrading die Rechtbank te Haarlem an, die die gegen diese Entscheidung gerichtete Klage mit Urteil vom für unbegründet erklärte. Unitrading legte gegen dieses Urteil Berufung zum Gerechtshof te Amsterdam ein, der das erstinstanzliche Urteil am u. a. unter Hinweis darauf bestätigte, dass die niederländischen Zollbehörden nachgewiesen hätten, dass die Ware nicht aus Pakistan, sondern aus China stamme. Der Gerechtshof te Amsterdam wies außerdem darauf hin, dass in Amsterdam am Tag der vor ihm stattfindenden Sitzung noch Zweitproben der Ware vorhanden seien, die für ein eventuelles Gegengutachten dienen könnten. Daraufhin legte Unitrading beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein.
13Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Führen die in Art. 47 der Charta der Grundrechte genannten Rechte dazu, dass, wenn sich die Zollbehörden im Rahmen des Nachweises des Ursprungs eingeführter Waren auf die Ergebnisse einer Untersuchung eines Dritten stützen wollen, die dieser Dritte weder den Zollbehörden noch dem Anmelder offengelegt hat, wodurch es der Verteidigung erschwert oder unmöglich gemacht wird, die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse zu überprüfen oder zu widerlegen, und dem Gericht die Erfüllung seiner Aufgabe erschwert wird, die Ergebnisse der Untersuchung zu würdigen, diese Untersuchungsergebnisse vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürfen? Macht es für die Beantwortung dieser Frage einen Unterschied, dass dieser Dritte den Zollbehörden und der Abgabenschuldnerin die diesbezüglichen Informationen mit der nicht näher erläuterten Begründung vorenthält, dass es sich um sicherheitspolitisch sensible Informationen ("law enforcement sensitive information") handele?
2. Führen die in Art. 47 der Charta der Grundrechte niedergelegten Rechte dazu, dass die Zollbehörden, soweit das billigerweise von ihnen verlangt werden kann, dann, wenn sie die durchgeführte Untersuchung, auf die sie ihre Annahme eines bestimmten Ursprungs der Waren gründen und deren Ergebnisse substantiiert in Zweifel gezogen werden, nicht offenlegen können, die Abgabenschuldnerin bei deren Antrag unterstützen müssen, auf eigene Kosten eine Überprüfung und/oder eine Probenentnahme in dem von ihr angegebenen Ursprungsland vorzunehmen?
3. Macht es für die Beantwortung der ersten und der zweiten Frage einen Unterschied, dass nach der Mitteilung des geschuldeten Zolls noch eine begrenzte Zeit lang Teile der Proben der Waren vorhanden waren, die der Abgabenschuldnerin für eine Untersuchung durch ein anderes Laboratorium zur Verfügung hätten gestellt werden können, auch wenn das Ergebnis einer solchen Untersuchung nichts daran ändert, dass die Ergebnisse des von den Zollbehörden eingeschalteten Laboratoriums nicht überprüft werden können, so dass es dann auch dem Gericht - falls das andere Laboratorium den von der Abgabenschuldnerin behaupteten Ursprung feststellt - unmöglich wäre, die Ergebnisse beider Laboratorien in Bezug auf ihre Zuverlässigkeit zu vergleichen? Wenn ja: Müssen die Zollbehörden die Abgabenschuldnerin darauf hinweisen, dass noch Teile der Proben der Waren vorhanden sind und dass sie diese Proben für eine solche Untersuchung anfordern kann?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
14Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen ist, dass er es verbietet, dass der von den Zollbehörden erbrachte Nachweis des Ursprungs der eingeführten Waren auf Ergebnissen von Untersuchungen beruht, die von einem Dritten durchgeführt wurden und die dieser Dritte weder den Zollbehörden noch dem Zollanmelder offenlegen will, wodurch es erschwert oder unmöglich gemacht wird, die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse zu überprüfen oder zu widerlegen.
15Nach Auffassung von Unitrading verlangt Art. 47 der Charta der Grundrechte, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen erhalten kann, auf denen eine ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht. Auch müssten die Verfahrensbeteiligten unter Berücksichtigung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens, der Bestandteil der Verteidigungsrechte sei, ein Recht auf Kenntnisnahme aller beim Gericht eingereichten Schriftstücke oder Erklärungen haben, um diese erörtern und die Entscheidung des Gerichts beeinflussen zu können. In seinem Urteil ZZ (C-300/11, EU:C:2013:363) habe der Gerichtshof bereits befunden, dass das nationale Gericht, wenn es sich, insbesondere aus zwingenden Gründen der Sicherheit des Staates, als notwendig erweisen sollte, bestimmte Informationen dem Betroffenen nicht mitzuteilen, verfahrensrechtliche Techniken und Regeln zu seiner Verfügung haben und anwenden müsse, die es ermöglichten, diese Erwägungen mit den in Art. 47 der Charta der Grundrechte verankerten Rechten in Einklang zu bringen.
16Die tschechische Regierung führt aus, wenn die Zollbehörden ihre Entscheidung darauf gründen wollten, dass die von einem Anmelder gemachte Angabe des Ursprungslands nicht den Tatsachen entspreche, trügen sie die Beweislast für diese Behauptung. Beweiskraft könne nur ein Untersuchungsbericht haben, aus dem die Informationen darüber, welches Verfahren angewandt worden sei und zu welchem Ergebnis die Untersuchung geführt habe, so klar hervorgingen, dass es den Zollbehörden möglich sei, die Glaubwürdigkeit und die Erheblichkeit der Ergebnisse zu beurteilen, und dem Betroffenen, zu diesen Ergebnissen sachgerecht Stellung zu nehmen.
17Die niederländische Regierung weist darauf hin, dass weder die Zollbehörden noch Unitrading, noch das vorlegende Gericht von allen Einzelheiten der vom amerikanischen Laboratorium durchgeführten Untersuchungen hätten Kenntnis nehmen können. Gleichwohl hätten die Zollbehörden angesichts der Zuverlässigkeit dieses Laboratoriums davon ausgehen dürfen, dass die Berichte über die Untersuchungsergebnisse einen ausreichenden Beweis lieferten. Die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta der Grundrechte gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle verlange insbesondere, dass der Betroffene die Gründe erfahren könne, auf denen die ihm gegenüber getroffene Entscheidung gestützt worden sei. Dieses Erfordernis sei allerdings im Ausgangsverfahren beachtet worden.
18Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität sei es nach Art. 245 des Zollkodex Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, das Verfahren für die Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs gegen eine für den Betroffenen ungünstige Entscheidung der nationalen Zollbehörde zu regeln. Der Gerichtshof habe in den Rn. 57 bis 66 des Urteils ZZ (EU:C:2013:363) zwischen den Gründen, auf die eine Verwaltungsentscheidung gestützt werde, und den diesen Gründen zugrunde liegenden Beweismitteln unterschieden und festgestellt, dass das nationale Gericht zu beurteilen habe, ob und gegebenenfalls in welchem Maß Einschränkungen der Verteidigungsrechte, die sich aus einer fehlenden Offenlegung von Beweismitteln ergäben, deren Beweiskraft beeinflussen könnten.
19Nach Ansicht der Europäischen Kommission sind, da der Begriff des Beweises unionsrechtlich nicht geregelt ist, grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in Verfahren zulassen, die dem des Art. 243 des Zollkodex vergleichbar sind. Aus den Rn. 62 bis 67 des Urteils ZZ (EU:C:2013:363) ergebe sich jedoch, dass den zuständigen Zollbehörden der Nachweis obliege, dass die Erreichung wichtiger im Allgemeininteresse des betreffenden Mitgliedstaats liegender Ziele durch eine Offenlegung konkreter und vollständiger Beweismittel, die die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidung untermauerten, gefährdet wäre.
20Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle zum einen erforderlich ist, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe erhalten kann, um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob eine Anrufung des zuständigen Gerichts für ihn von Nutzen ist. Zum anderen muss das zuständige Gericht befugt sein, von der betreffenden Behörde eine Mitteilung dieser Gründe zu verlangen, um vollständig in die Lage versetzt zu werden, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil ZZ, EU:C:2013:363, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist außerdem zu entnehmen, dass bei einem gerichtlichen Verfahren die Verfahrensbeteiligten angesichts des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens, der Bestandteil der Verteidigungsrechte nach Art. 47 der Charta der Grundrechte ist, das Recht darauf haben müssen, von allen beim Gericht eingereichten Schriftstücken oder Erklärungen Kenntnis zu nehmen, um diese erörtern und die Entscheidung des Gerichts beeinflussen zu können. Es würde nämlich gegen das Grundrecht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf verstoßen, wenn eine gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Schriftstücke gegründet würde, von denen die Parteien - oder eine von ihnen - keine Kenntnis nehmen und zu denen sie daher auch nicht Stellung nehmen konnten (Urteil ZZ, EU:C:2013:363, Rn. 55 und 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
22Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die in den vorstehenden Rn. 20 und 21 angeführten Grundsätze verletzt worden wären. Der Vorlageentscheidung ist vielmehr zu entnehmen, dass Unitrading die Gründe bekannt sind, auf denen die ihr gegenüber ergangene Entscheidung beruht, dass sie von allen dem Gericht eingereichten Schriftstücken und Erklärungen Kenntnis genommen hat, um die Entscheidung des Gerichts beeinflussen zu können, und dass sie diese Schriftstücke und Erklärungen vor dem Gericht erörtern konnte.
23Damit stellen die vom amerikanischen Laboratorium zur Verfügung gestellten Untersuchungsergebnisse ein schlichtes Beweismittel dar, das sowohl die Zollbehörden als auch die niederländischen Gerichte unter Berücksichtigung auch des Vorbringens von Unitrading und der von dieser beigebrachten Beweismittel als ausreichend ansehen konnten, um den wahren Ursprung der Ware festzustellen. Wie jedoch die Kommission zu Recht betont hat, sind, da der Begriff des Beweises unionsrechtlich nicht geregelt ist, grundsätzlich alle Beweismittel zulässig, die die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten in Verfahren, die dem des Art. 243 des Zollkodex vergleichbar sind, zulassen (Urteil Sony Supply Chain Solutions [Europe], C-153/10, EU:C:2011:224, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24Die Zulässigkeit eines solchen Beweismittels kann, auch wenn dieses für die Entscheidung des betreffenden Rechtsstreits wichtig, ja sogar entscheidend ist, nicht schon dadurch in Frage gestellt werden, dass es weder vom betroffenen Beteiligten noch vom angerufenen Gericht vollständig nachgeprüft werden kann, wie dies bei den Untersuchungsergebnissen des amerikanischen Laboratoriums im Ausgangsverfahren offenbar der Fall ist. Denn in diesem Fall kann der Betroffene zwar die Richtigkeit dieser Untersuchungsergebnisse nicht in vollem Umfang nachprüfen, doch befindet er sich gleichwohl nicht in einer Lage, die mit derjenigen vergleichbar wäre, um die es in der dem Urteil ZZ (EU:C:2013:363) zugrunde liegenden Rechtssache ging, in der sowohl die betreffende nationale Behörde als auch das Gericht, das mit einer Klage gegen die von dieser Behörde erlassene Entscheidung befasst worden war, es nach der in dieser Rechtssache einschlägigen nationalen Regelung ablehnten, dem Betroffenen die genauen und vollständigen Gründe mitzuteilen, die die Grundlage der ihm gegenüber ergangenen Entscheidung bildeten.
25Auch ist nicht ersichtlich, dass im Ausgangsverfahren das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt worden wäre, da die nacheinander angerufenen Gerichte nach dem nationalen Verfahrensrecht nicht an die von der Zollbehörde vorgenommene Würdigung der Tatsachen und insbesondere der Beweismittel gebunden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Wilson, C-506/04, EU:C:2006:587, Rn. 61).
26Da die Stichhaltigkeit eines Beweismittels, das von allen Verfahrensbeteiligten sowie von dem mit dem Rechtsstreit befassten Gericht nicht in vollem Umfang nachprüfbar ist, wie dies bei den im Ausgangsverfahren fraglichen Untersuchungsergebnissen der Fall ist, vom betroffenen Verfahrensbeteiligten insbesondere dadurch wirksam in Frage gestellt werden kann, dass er zum einen geltend macht, dieses Beweismittel liefere nur einen mittelbaren Beweis für die behaupteten Tatsachen, und zum anderen weitere Gesichtspunkte vorträgt, die geeignet sind, seine abweichenden Behauptungen zu stützen, ist das Recht des Betroffenen auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 47 der Charta der Grundrechte grundsätzlich nicht verletzt. Wie aber aus der Vorlageentscheidung sowie den Ausführungen der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung hervorgeht, können die im Ausgangsverfahren nacheinander angerufenen Gerichte die Stichhaltigkeit der ihnen vorgelegten Beweismittel frei würdigen.
27Da Art. 245 des Zollkodex in diesem Zusammenhang vorsieht, dass die Einzelheiten des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 243 des Zollkodex von den Mitgliedstaaten erlassen werden, ist festzustellen, dass es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten für diese Rechtsbehelfe zu regeln, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Das gilt insbesondere auch für die Beweisvorschriften (vgl. in diesem Sinne Urteil Direct Parcel Distribution Belgium, C-264/08, EU:C:2010:43, Rn. 33 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
28Um die Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes sicherzustellen, muss ein nationaler Richter, wenn nach seinen Feststellungen die dem Zollschuldner obliegende Beweislast für den Ursprung der angemeldeten Waren, die sich daraus ergibt, dass der Zollschuldner die Stichhaltigkeit eines von den Zollbehörden herangezogenen mittelbaren Beweismittels zu widerlegen hat, die Führung dieses Beweises praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren kann, etwa weil dieser Daten betrifft, über die der Zollschuldner nicht verfügen kann, alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen, darunter die Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen, ausschöpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Direct Parcel Distribution Belgium, EU:C:2010:43, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29Kommt jedoch das nationale Gericht, nachdem es alle ihm nach dem nationalen Recht zu Gebote stehenden Verfahrensmaßnahmen ausgeschöpft hat, zu dem Ergebnis, dass der Ursprung der betroffenen Waren in Wirklichkeit ein anderer ist als der angemeldete Ursprung und ist deshalb die Erhebung zusätzlicher Zölle oder sogar die Verhängung einer Geldbuße gegen den Anmelder gerechtfertigt, steht Art. 47 der Charta der Grundrechte dem Erlass einer entsprechenden Entscheidung durch dieses Gericht nicht entgegen.
30Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen ist, dass er es nicht verbietet, dass der von den Zollbehörden nach dem nationalen Verfahrensrecht erbrachte Nachweis des Ursprungs der eingeführten Waren auf Ergebnissen von Untersuchungen beruht, die von einem Dritten durchgeführt wurden und die dieser Dritte weder den Zollbehörden noch dem Zollanmelder offenlegen will, wodurch es erschwert oder unmöglich gemacht wird, die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse zu überprüfen oder zu widerlegen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz gewahrt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
31Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens dann, wenn die Zollbehörden nicht in der Lage sind, die betreffenden Untersuchungen offenzulegen, Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen ist, dass die in ihm niedergelegten Rechte dazu führen, dass die Zollbehörden einem Antrag der Abgabenschuldnerin, auf eigene Kosten eine Untersuchung der betreffenden Ware im angegebenen Ursprungsland durchführen zu lassen, stattgeben müssen. Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es von Bedeutung ist, dass noch eine begrenzte Zeit lang Teile von Proben der Waren aufbewahrt wurden, die der Abgabenschuldnerin für eine Untersuchung durch ein anderes Laboratorium hätten zur Verfügung gestellt werden können, und, bejahendenfalls, ob die Zollbehörden die Abgabenschuldnerin darauf hinweisen müssen, dass noch Zweitproben der Waren vorhanden sind und dass sie diese Proben für eine solche Untersuchung anfordern kann.
32Im Hinblick auf eine Beantwortung der zweiten und der dritten Frage erscheint es angebracht, erstens daran zu erinnern, dass es nach Art. 47 der Charta der Grundrechte, sofern die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz gewahrt werden, grundsätzlich nicht unzulässig ist, dass der von den Zollbehörden nach dem nationalen Verfahrensrecht erbrachte Nachweis des Ursprungs der eingeführten Waren auf Ergebnissen von Untersuchungen beruht, die von einem Dritten durchgeführt wurden und deren Richtigkeit nicht überprüft werden kann.
33Zweitens ergibt sich aus Rn. 27 des vorliegenden Urteils zum einen, dass es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, die Verfahrensmodalitäten für die in Art. 243 des Zollkodex bezeichneten Rechtsbehelfe zu regeln, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz), und zum anderen, dass dies auch für die Beweisvorschriften gilt.
34Diese Erwägungen gelten in vollem Umfang für die zweite und die dritte Frage. Daher sind unbeschadet der Notwendigkeit, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz wahren, die Frage, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Zollbehörden einem Antrag des Abgabenschuldners, Untersuchungen in einem Drittland durchführen zu lassen, stattgeben müssen, die Frage, inwieweit es dabei von Bedeutung ist, dass Teile von Proben der Waren noch eine bestimmte Zeit aufbewahrt wurden, und bejahendenfalls die Frage, ob die Zollbehörden hiervon den Abgabenschuldner unterrichten müssen, nach dem nationalen Verfahrensrecht zu beantworten.
35Demgemäß ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens dann, wenn die Zollbehörden die betreffenden Untersuchungen nicht offenlegen können, die Frage, ob sie einem Antrag des Abgabenschuldners, auf eigene Kosten Untersuchungen im angegebenen Ursprungsland durchführen zu lassen, stattgeben müssen, sowie die weiteren Fragen, ob es von Bedeutung ist, dass noch eine begrenzte Zeit lang Teile von Proben der Waren aufbewahrt wurden, die dem Abgabenschuldner für eine Untersuchung durch ein anderes Laboratorium hätten zur Verfügung gestellt werden können, und ob bejahendenfalls die Zollbehörden den Abgabenschuldner darauf hinweisen müssen, dass noch Zweitproben der Waren vorhanden sind und dass er diese Proben für eine solche Untersuchung anfordern kann, nach dem nationalen Verfahrensrecht zu beantworten sind.
Kosten
36Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er es nicht verbietet, dass der von den Zollbehörden nach dem nationalen Verfahrensrecht erbrachte Nachweis des Ursprungs der eingeführten Waren auf Ergebnissen von Untersuchungen beruht, die von einem Dritten durchgeführt wurden und die dieser Dritte weder den Zollbehörden noch dem Zollanmelder offenlegen will, wodurch es erschwert oder unmöglich gemacht wird, die Richtigkeit der gezogenen Schlüsse zu überprüfen oder zu widerlegen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz gewahrt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.
2. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens sind dann, wenn die Zollbehörden die betreffenden Untersuchungen nicht offenlegen können, die Frage, ob sie einem Antrag des Abgabenschuldners, auf eigene Kosten Untersuchungen im angegebenen Ursprungsland durchführen zu lassen, stattgeben müssen, sowie die weiteren Fragen, ob es von Bedeutung ist, dass noch eine begrenzte Zeit lang Teile von Proben der Waren aufbewahrt wurden, die dem Abgabenschuldner für eine Untersuchung durch ein anderes Laboratorium hätten zur Verfügung gestellt werden können, und ob bejahendenfalls die Zollbehörden den Abgabenschuldner darauf hinweisen müssen, dass noch Zweitproben der Waren vorhanden sind und dass er diese Proben für eine solche Untersuchung anfordern kann, nach dem nationalen Verfahrensrecht zu beantworten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2014 S. 1137 Nr. 12
ZAAAE-82087