Strafverfahren wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Hinweispflicht bei unvollständiger Fassung der Anklageschrift und näherer Konkretisierung im Lauf der Hauptverhandlung
Gesetze: § 264 StPO, § 265 Abs 1 StPO
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 9 KLs 8/13
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen fuhr die gesondert verfolgte Zeugin K. in der Zeit von Anfang November 2011 bis zum auf Veranlassung des Angeklagten, ihres Ehemannes, in einem zweiwöchigen Rhythmus in die Niederlande, um dort zuvor von ihm bestellte Betäubungsmittel (Heroin und Kokain) abzuholen und anschließend versteckt in ihrem Pkw nach Deutschland zu verbringen. Das so beschaffte Kokain und jeweils 100 Gramm des Heroins behielten der Angeklagte und die Zeugin K. zum Eigenverbrauch zurück. Das restliche Heroin wurde von dem Angeklagten gestreckt und anschließend in Teilmengen verkauft. Die daraus erzielten Gewinne verwendete der Angeklagte zur Bezahlung der jeweils nachfolgend von ihm bestellten Drogenmenge und für den Lebensunterhalt. In der Zeit von November 2011 bis Mitte April 2012 verbrachte die Zeugin K. bei 10 Fahrten jeweils 300 Gramm Heroin und 75 Gramm Kokain auf das Bundesgebiet (Fälle 1 bis 10 der Urteilsgründe). Am 30. April, 8. und 22. Mai, 3., 14. und 28. Juni, sowie am 9. und kam es zu acht weiteren Fahrten, bei denen einmal 300 Gramm Heroin und 50 Gramm Kokain (Fahrt vom ) und im Übrigen jeweils 300 Gramm Heroin und 75 Gramm Kokain beschafft wurden (Fälle 11 bis 18 der Urteilsgründe). Das Heroin hatte jeweils einen Heroinhydrochlorid-Anteil von mindestens 20 %. Das Kokain wies in allen Fällen einen Kokainhydrochlorid-Anteil von mindestens 30 % auf. Am wurde die Zeugin K. bei ihrer Rückkehr von einer weiteren Beschaffungsfahrt festgenommen. Dabei konnten versteckt in ihrem Pkw 300,8 Gramm Heroin (62,5 Gramm Heroinhydrochlorid) und 74,9 Gramm Kokain (25,5 Gramm Kokainhydrochlorid) sichergestellt werden (Fall 19 der Urteilsgründe).
II.
3Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besteht kein Verfahrenshindernis.
4Die vom Landgericht unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom erfüllt die Anforderungen, die nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO bei Serientaten an die Umgrenzungsfunktion zu stellen sind (vgl. , NStZ 2014, 49; Urteil vom - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.). Der Verfahrensgegenstand wird im Anklagesatz durch die Angabe des Tatzeitraumes, der Tatfrequenz, die Nennung der Mindestzahl der innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten und die Schilderung des Tatablaufes (Mindestmenge, Einkaufs- und Verkaufspreise, Transportmodalitäten, Streckung des Heroins vor dem Verkauf etc.) hinreichend bezeichnet.
5Der anhand des in Bezug genommenen Antrages der Staatsanwaltschaft auszulegende mit dem das Verfahren teilweise nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, bezieht sich auf den Zeitraum bis einschließlich Oktober 2011 und stand daher der Aburteilung der verfahrensgegenständlichen Taten nicht entgegen (vgl. ).
6Der Umstand, dass das Landgericht in den Fällen 1 bis 10 von einer Übergabe der Betäubungsmittel in D. oder H. ausgegangen ist, während in der zugelassenen Anklage nur D. als Übergabeort benannt wird, hebt die Identität zwischen den angeklagten und den abgeurteilten Taten nicht auf. Die in der Anklage beschriebenen Taten sind durch weitere - von der Angabe des Übergabeortes unabhängige - Merkmale individualisiert. Die Hinzufügung eines zweiten lediglich alternativ in Betracht kommenden Übergabeortes stellt die „Nämlichkeit" der Tat daher nicht in Frage (vgl. , NStZ 2010, 346, 347 mwN).
III.
7Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
81. Die Rüge, das Landgericht habe gegen § 265 StPO verstoßen, weil der Angeklagte nicht darauf hingewiesen worden sei, dass in den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe als Übergabeort für die Betäubungsmittel in den Niederlanden neben dem in der Anklageschrift genannten D. auch H. in Betracht komme und sich hinsichtlich der Fälle 11 bis 18 der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung eine Konkretisierung der Tatzeiten ergeben habe, bleibt ohne Erfolg.
9a) Die Rüge entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sie sich nicht dazu verhält, ob der Angeklagte von den angeführten Veränderungen der Sachlage durch den Gang der Hauptverhandlung zuverlässig unterrichtet worden ist.
10aa) Wird - wie hier - die verletzte Hinweispflicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO hergeleitet, weil es in der Hauptverhandlung zu einer Veränderung der tatsächlichen Urteilsgrundlage oder zu einer Konkretisierung eines allgemein gefassten Anklagesatzes gekommen ist, muss die Revision auch zum Verlauf der die veränderten Punkte betreffenden Beweisaufnahme vortragen. Andernfalls vermag das Revisionsgericht nicht zu beurteilen, ob der Angeklagte bereits aus dem Gang der Verhandlung erfahren hat, dass das Gericht die Verurteilung auf eine andere tatsächliche Grundlage stellen will und der vermisste konkrete Hinweis deshalb nicht mehr erforderlich war (vgl. , S. 4 f.; Urteil vom - 1 StR 603/90, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Hinweispflicht 2; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 118).
11bb) Diesen Anforderungen wird das Revisionsvorbringen nicht gerecht. Es beschränkt sich auf die Behauptung, zu keinem Zeitpunkt konkret darauf hingewiesen worden zu sein, dass die Strafkammer in den Fällen 1 bis 10 H. als weiteren Übergabeort in Betracht zieht und in den Fällen 11 bis 18 konkrete Tatzeitpunkte für feststellbar hält (S. 4 f. der Revisionsbegründung). Mit der die veränderten Umstände betreffenden Beweisaufnahme, wie der Verlesung der Protokolle der die Fälle 11 bis 18 betreffenden Telefongespräche sowie von Ziffer 3.8 des polizeilichen Abschlussberichts vom , der eine genaue Angabe der konkreten Tatzeiten enthielt (Bl. 50 f. des Protokollbandes, Bl. 321 ff. d.A.), setzt sich die Revision nicht auseinander. Danach können sowohl der zusätzliche Übergabeort, als auch die konkreten Tatzeiten mit ausreichender Deutlichkeit zur Sprache gekommen sein. Die Lücken im Vortrag werden auch nicht durch die Ausführungen der Strafkammer im angefochtenen Urteil geschlossen.
12b) Dessen ungeachtet wäre die Rüge auch unbegründet. Weder hinsichtlich des weiteren Übergabeortes in den Niederlanden bei den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe, noch in Bezug auf die Konkretisierung der Tatzeiten in den Fällen 11 bis 18 der Urteilsgründe war ein Hinweis geboten.
13aa) Ob die Veränderung eines tatsächlichen Umstandes zu einer Hinweispflicht in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO führt, hängt davon ab, ob sie in ihrem Gewicht der Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes gleichsteht, auf die sich § 265 Abs. 1 StPO unmittelbar bezieht (, BGHSt 19, 88, 89). Dabei kommt es auf den Einzelfall an (vgl. , BGHSt 56, 121, wesentliche Veränderung des dem gesetzlichen Straftatbestand zugeordneten Tatverhaltens durch Austausch der Bezugstat beim Verdeckungsmord; Beschluss vom - 2 StR 296/05, NStZ-RR 2006, 213, 214, Tatzeitveränderung bei Alibibehauptung für die in der Anklage bezeichnete Tatzeit; Urteil vom - 2 StR 456/78, BGHSt 28, 196, 197 f., Annahme einer anderen schuldhaften Handlung als Ursache für den tatbestandsmäßigen Erfolg). Bei einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung der Anklageschrift ist ein Hinweis entsprechend § 265 StPO grundsätzlich nicht vorgeschrieben, wenn im Laufe der Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen von Einzelfällen durch die genauere Beschreibung von Tatmodalitäten oder Begleitumständen ergeben. Ein Hinweis kann nur ausnahmsweise geboten sein, etwa um das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör oder den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu gewährleisten (, BGHSt 48, 221, 224 ff.; weiter gehend - aber nicht tragend entschieden - , BGHSt 44, 153, 157; Urteil vom - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 299; Urteil vom - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44; weitere Nachweise bei LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 78).
14bb) Daran gemessen kam dem Umstand, dass sich in der Hauptverhandlung in den Fällen 1 bis 10 der Urteilsgründe ein weiterer Übergabeort ergeben hat, kein eine Hinweispflicht auslösendes Gewicht zu. Die den gesetzlichen Straftatbeständen zugeordneten Tathandlungen des Angeklagten und der Zeugin K. sind von der Veränderung nicht betroffen. Auch wurde die Tatrichtung dadurch in keiner Weise verändert. Dass die bestellten Betäubungsmittel von der Zeugin K. bei ihren regelmäßigen Beschaffungsfahrten nicht nur in D. , sondern auch in H. übernommen wurden, liegt innerhalb der möglichen Variationsbreite des Geschehensbildes der Tat im weiteren Sinne und konnte den Angeklagten daher nicht überraschen (vgl. , BGHR StPO § 265 Abs. 4 Hinweispflicht 15).
15Auch in den Fällen 11 bis 18 der Urteilsgründe bestand keine Hinweispflicht. Die unverändert zugelassene Anklageschrift ging davon aus, dass die Zeugin K. im Einvernehmen mit dem Angeklagten in einem „14-Tage-Rhythmus" in die Niederlande gefahren ist, um dort Heroin für den gemeinsamen Eigenkonsum und den gewinnbringenden Weiterverkauf durch den Angeklagten zu beschaffen. Das Landgericht hat in den Fällen 11 bis 18 konkrete Tatzeiten festgestellt. Die sich dabei ergebenden Intervalle zwischen den einzelnen Fahrten weichen von dem in der Anklageschrift angeführten „14-Tage-Rhythmus" nur unwesentlich ab. Die hierzu von der Strafkammer als Beweisgrundlage herangezogenen Ergebnisse der Telefonüberwachung und der GPS-Ortung des Fahrzeugs der Zeugin K. wurden bereits in der Anklageschrift als Beweismittel für die Anzahl der Fahrten angeführt. Der Angeklagte und die Verteidigung konnten von den Urteilsfeststellungen mithin auch nicht überrascht sein. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom (4 StR 691/95, NStZ 1996, 295 f.) bei einer nachträglichen Konkretisierung einer nur ungenau gefassten Anklage einen Hinweis entsprechend § 265 StPO für erforderlich gehalten hat, betraf dies einen anderen Fall.
162. Die Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung des in der Hauptverhandlung vom gestellten Antrages auf Vernehmung des Zeugen POK R. zu belastenden Angaben des Zeugen Kr. im Rahmen eines neuen gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens gegen Verfahrensrecht verstoßen, hat weder als Beweisantragsrüge (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), noch als Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) Erfolg.
17a) Soweit ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO geltend gemacht wird, ist die Rüge nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil sich die Revision in der Begründung (S. 5 bis 15 der Revisionsrechtfertigung) nicht dazu verhält, dass der Zeuge POK R. bereits in der Hauptverhandlung vom (Bl. 33 des Protokollbandes) vernommen wurde. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob der Zeuge bei dieser Gelegenheit zu demselben Beweisthema gehört wurde und deshalb in dem Beweisverlangen vom kein Beweisantrag sondern nur eine Beweisanregung liegt, der das Gericht ohne Bindung an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO lediglich im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nachzukommen hatte (st. Rspr.; vgl. , NStZ 1999, 312; Urteil vom - 2 StR 67/95, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 32 mwN). Soweit an anderer Stelle (S. 52 der Revisionsrechtfertigung) zu der Vernehmung des Zeugen POK R. am vorgetragen wird, ergibt sich daraus, dass die neuen Ermittlungen gegen den Zeugen Kr. bereits Gegenstand seiner Anhörung waren.
18b) Die Rüge, das Landgericht habe bei der Ablehnung des Antrages gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO verstoßen, ist ebenfalls nicht zulässig ausgeführt. Es fehlt an der Angabe hinreichend bestimmter Beweistatsachen, die mit dem bezeichneten Beweismittel hätten bewiesen werden können (vgl. , NStZ-RR 2008, 5 bei Sander/Cirener; Urteil vom - 5 StR 283/04, NJW 2005, 2242, 2243). Die Revision teilt dazu lediglich mit, die Vernehmung des Zeugen POK R. hätte zu dem Ergebnis geführt, dass der Zeuge Kr. anlässlich der gegen ihn geführten Ermittlungen die Zeugin B. weiterer Einfuhrfahrten bezichtigt hat und sich diese Anschuldigungen durch die weiteren Ermittlungen nicht bestätigen ließen (S. 15 der Revisionsrechtfertigung). Aus welchen Tatsachen sich die Schlussfolgerung ergeben soll, die Angaben des Zeugen Kr. hätten keine Bestätigung gefunden, lässt sich dem Vorbringen nicht entnehmen und wäre an dieser Stelle vorzutragen gewesen (vgl. , BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 4).
193. Die Rügen, das Landgericht habe gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen und bei der Ablehnung der Anträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und Einvernahme der Zeugin M. gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen, bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen ohne Erfolg.
IV.
20Die auf die Sachrüge hin erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
PAAAE-82047