1. Ist es im Rahmen der Bestimmung der Person, die die Dienstleistung im Sinne der Mehrwertsteuer erbringt, bei der Prüfung, ob ein Geschäft fiktiv ist, keine tatsächliche wirtschaftliche oder kaufmännische Substanz hat und ausschließlich auf die Erlangung eines Steuervorteils ausgerichtet ist, für die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) von Bedeutung, dass es sich in der Situation des Ausgangsverfahrens beim Geschäftsführer und alleinigen Eigentümer der die Lizenz erteilenden Handelsgesellschaft um die natürliche Person handelt, die Urheber des mit der Lizenz übertragenen Know-hows ist?
2. Falls Frage 1 bejaht wird: Ist für die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie und die Feststellung, ob eine missbräuchliche Praxis vorliegt, von Bedeutung, dass diese natürliche Person auf die Art der Nutzung durch die die Lizenz erwerbende Handelsgesellschaft und auf deren geschäftliche Entscheidungen informell Einfluss ausübt oder ausüben kann? Kann für diese Auslegung der Umstand von Bedeutung sein, dass der Urheber des Know-hows an geschäftlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erbringung von auf diesem Know-how beruhenden Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar durch fachliche Beratung, Ratschläge zur Entwicklung und zur Nutzung des Know-hows, beteiligt ist oder beteiligt sein kann?
3. Spielt es unter den Umständen des Ausgangsverfahrens und unter Berücksichtigung der Ausführungen in Frage 2 für die Bestimmung der Person, die die Dienstleistung im Sinne der Mehrwertsteuer erbringt, neben der Analyse des dieser Dienstleistung zugrunde liegenden Vertrags eine Rolle, dass der Urheber des Know-hows als natürliche Person Einfluss bzw. entscheidenden Einfluss ausübt oder Leitlinien vorgibt, was die Art und Weise der Erbringung der auf dem Know-how beruhenden Dienstleistung betrifft?
4. Falls Frage 3 bejaht wird: Welche Umstände können bei der Bestimmung, wie weit dieser Einfluss und diese Leitlinien gehen, berücksichtigt werden bzw. aufgrund welcher Kriterien kann festgestellt werden, dass ein bestimmender Einfluss auf die Erbringung der Dienstleistung ausgeübt wird und dass die tatsächliche wirtschaftliche Substanz der dieser Dienstleistung zugrunde liegenden Transaktion dem lizenzgebenden Unternehmens zugutekommt?
5. Ist es in der Situation des Ausgangsverfahrens für die Prüfung der Erlangung des Steuervorteils bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen den an dem Geschäft beteiligten Wirtschaftsteilnehmern und Personen von Bedeutung, dass es sich bei den an dem beanstandeten, auf Steuerumgehung gerichteten vertraglichen Transaktion beteiligten Steuerpflichtigen um juristische Personen handelt, wenn die Steuerbehörde des Mitgliedstaats die strategischen und operativen Entscheidungen hinsichtlich der Nutzung einer natürlichen Person zuordnet, und, falls ja, muss berücksichtigt werden, in welchem Mitgliedstaat die natürliche Person diese Entscheidungen getroffen hat? Ist es unter Umständen wie denen des vorliegenden Verfahrens - falls festgestellt werden kann, dass die vertragliche Rechtsstellung der Parteien nicht ausschlaggebend ist - für die Auslegung von Bedeutung, dass die Verwaltung der technischen Mittel, des Personals und der Finanztransaktionen, die für die in Rede stehende internetgestützte Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind, durch Subunternehmer erfolgt?
6. Haben, falls festgestellt werden kann, dass die Klauseln des Lizenzvertrags nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Inhalt widerspiegeln, die Neubewertung der Vertragsklauseln und die Wiederherstellung der Situation, die ohne die die missbräuchliche Praxis verkörpernde Transaktion bestanden hätte, auch zur Folge, dass die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats den Mitgliedstaat des Orts der Dienstleistung und damit den Ort der Steuerzahlungspflicht auch dann abweichend bestimmen kann, wenn der Lizenzerwerber im Übrigen seine Steuerzahlungspflicht in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Sitz hat, entsprechend den dort geltenden Rechtsvorschriften erfüllt hat?
7. Sind die Art. 49 AEUV und 56 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer Vertragsgestaltung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, bei der ein in einem Mitgliedstaat beheimatetes steuerpflichtiges Unternehmen mittels eines Lizenzvertrags einem in einem anderen Mitgliedstaat beheimateten steuerpflichtigen Unternehmen das Know-how und das Nutzungsrecht in Bezug auf die Erbringung einer Dienstleistung mit Inhalten für Erwachsene, die auf der Grundlage einer interaktiven internetgestützten Kommunikationstechnologie erfolgt, verpachtet, und eine solche Vertragsgestaltung einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit sowie des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen kann, wenn die Mehrwertsteuerbelastung in dem Mitgliedstaat, in dem das die Lizenz erwerbende Unternehmen ansässig ist, in Bezug auf die übertragene Dienstleistung günstiger ist?
8. Welches Gewicht ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens neben dem mutmaßlich erzielbaren Steuervorteil den geschäftlichen Erwägungen des lizenzgebenden Unternehmens beizumessen und ist es insoweit für die Auslegung insbesondere von Bedeutung, dass es sich bei dem alleinigen Eigentümer und Geschäftsführer der lizenzgebenden Handelsgesellschaft um die natürliche Person handelt, die Urheber dieses Know-hows ist?
9. Können bei der Prüfung des missbräuchlichen Verhaltens Umstände wie die im Ausgangsverfahren geprüften, z. B. die technischen Gegebenheiten und die Infrastruktur für die Ein- und Durchführung der Dienstleistung, die Gegenstand des beanstandeten Geschäfts ist, oder die vom Lizenzgeber getroffenen Vorkehrungen und dessen Personal zur Erbringung der betreffenden Dienstleistung, berücksichtigt werden und, wenn ja, welches Gewicht ist ihnen beizumessen?
10. Sind im vorliegenden Fall Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 43 und Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 325 AEUV dahin auszulegen, dass die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats im Interesse der tatsächlichen Erfüllung der die Mitgliedstaaten der Union treffenden Verpflichtung zum wirksamen und genauen Einzug des Gesamtbetrags der Mehrwertsteuer und der Vermeidung von Mindereinnahmen im Haushalt infolge von Steuerhinterziehung und Steuerflucht über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg im Fall einer Dienstleistung zum Zweck der Bestimmung der Person, die diese Dienstleistung erbringt, bei der Beweisaufnahme im steuerrechtlichen Verfahren (Verwaltungsverfahren) berechtigt ist, im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung Daten, Informationen und Beweismittel, wie Abhörprotokolle, die im Verlauf einer geheimen Datensammlung erlangt wurden, die - im Rahmen eines Strafverfahrens vom Ermittlungsorgan der Steuerbehörde - beim Steuerpflichtigen durchgeführt worden war, entgegenzunehmen, diese zu verwenden und (auch) darauf ihre Beurteilung der steuerlichen Folgen zu stützen, und dass das Verwaltungsgericht, das die Entscheidung der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats prüft, diese Aspekte als Beweise - zusammen mit ihrer Rechtmäßigkeit - beurteilen darf?
11. Sind im vorliegenden Fall Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 43 und Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 325 AEUV dahin auszulegen, dass im Interesse der tatsächlichen Erfüllung der die Mitgliedstaaten der Union treffenden Verpflichtung zum effektiven und genauen Einzug des Gesamtbetrags der Mehrwertsteuer und der Durchführung der die Mitgliedstaaten treffenden Verpflichtung, zu gewährleisten, dass der Steuerpflichtige die ihm auferlegten Pflichten gebührend beachtet, der den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten eingeräumte Spielraum hinsichtlich der Art und Weise der Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel für die nationale Behörde eines Mitgliedstaats auch das Recht einschließt, die ursprünglich zu Strafverfolgungszwecken erlangten Beweismittel für die Unterbindung steuerumgehenden Verhaltens auch dann zu verwenden, wenn das nationale Recht selbst nicht zulässt, dass im Verwaltungsverfahren eine geheime Datensammlung zur Unterbindung steuerumgehenden Verhaltens erfolgt, oder die geheime Datensammlung, wenn sie in einem Strafverfahren erfolgt, an Garantien knüpft, die für das Steuerverwaltungsverfahren nicht vorgeschrieben sind, aber im Übrigen für die Verwaltungsbehörde nach nationalem Recht der Grundsatz der freien Beweisführung gilt?
12. Schließt Art. 8 Abs. 2 EMRK in Verbindung mit Art. 52 Abs. 2 der Charta aus, dass der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats die die in den Fragen (10 und 11) dargestellte Befugnis zuerkannt wird, oder kann unter den Umständen des vorliegenden Falles davon ausgegangen werden, dass es im Interesse der Bekämpfung von Steuerumgehung gerechtfertigt ist, im Steuerverwaltungsverfahren die Ergebnisse einer geheimen Datensammlung zum "wirtschaftlichen Wohls des Landes" für die wirksame Erhebung der Steuer zu verwenden?
13. Hat die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, sofern sich aus den Antworten auf die Fragen 10 und 12 ergibt, dass sie solche Beweismittel im Verwaltungsverfahren verwenden darf, zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf eine ordnungsgemäße Verwaltung und des Verteidigungsrechts - aufgrund der Art. 7, 8, 41 und 48 in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 der Charta - die uneingeschränkte Verpflichtung, den Steuerpflichtigen im Laufe des Verwaltungsverfahrens anzuhören, ihm Einsicht in die Ergebnisse der herangezogenen geheimen Datensammlung zu gewähren und den Zweck zu beachten, zu dem die in diesen Beweismitteln enthaltenen Daten gewonnen wurden, oder schließt in diesem Kontext der Umstand, dass die geheime Datensammlung ausschließlich zum Zweck der Strafverfolgung vorgenommen wurde, von vornherein die Verwendung dieser Beweismittel aus?
14. Wird, wenn Beweismittel unter Verstoß gegen Art. 7, 8, 41 und 48 der Charta erlangt und verwendet wurden, im Hinblick auf Art. 47 der Charta dem Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf durch eine nationale Regelung Genüge getan, nach der bei in Steuersachen ergangenen Entscheidungen ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht nur dann vor Gericht mit Erfolg gerügt werden und zur Aufhebung der Entscheidung führen kann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine von der angefochtenen Entscheidung abweichende Entscheidung erlassen worden wäre, und der Verfahrensfehler darüber hinaus gleichzeitig die materielle Rechtsposition des Klägers beeinträchtigt, oder müssen die auf diese Weise begangenen Verfahrensfehler in einem weiteren Kontext berücksichtigt werden, unabhängig davon, wie sich der unter Verstoß gegen die Charta begangene Verfahrensfehler auf das Ergebnis des Verfahrens ausgewirkt hat?
15. Verlangt die praktische Wirksamkeit von Art. 47 der Charta, dass in einer Verfahrenssituation wie der hier vorliegenden das Verwaltungsgericht, das die Entscheidung der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats überprüft, nachprüfen kann, ob die Beweismittel, die zur Strafverfolgung durch eine geheime Datensammlung in einem Strafverfahren erhoben worden waren, rechtmäßig erlangt wurden, insbesondere, wenn der Steuerpflichtige, gegen den parallel ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, von diesen Schriftstücken noch keine Kenntnis nehmen und deren Rechtmäßigkeit vor Gericht nicht bestreiten konnte?
16. Ist - auch unter Berücksichtigung der sechsten Frage - die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer- insbesondere im Hinblick auf ihren siebten Erwägungsgrund, wonach die Mitgliedstaaten für die Erhebung der geschuldeten Steuer kooperieren sollten, um die richtige Festsetzung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und weswegen sie nicht nur die richtige Erhebung der geschuldeten Steuer in ihrem eigenen Hoheitsgebiet kontrollieren müssen, sondern auch anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe gewähren sollten, um die richtige Erhebung der Steuer sicherzustellen, die im Zusammenhang mit einer in ihrem Hoheitsgebiet erfolgten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet wird - dahin auszulegen, dass bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die eine Steuerschuld feststellt, verpflichtet ist, ein Ersuchen an die Steuerbehörde des Mitgliedstaats zu richten, in dem der Steuerpflichtige, der einer Steuerprüfung unterzogen wird, seine Steuerzahlungspflicht bereits erfüllt hat?
17. Falls Frage 16 bejaht wird: Welche Konsequenzen muss das Gericht, das die Verwaltungsentscheidungen der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats überprüft - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in Frage 14 - ziehen, wenn vor Gericht gerügt und festgestellt wird, dass die Entscheidungen der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats aus dem genannten Grund - d. h. weil ein Ersuchen an die nationale Steuerbehörde eines anderen Mitgliedstaats unterblieben ist und keine Informationen eingeholt wurden - gegen Verfahrensvorschriften verstoßen?
Dienstleistung; Geschäftsführer; Handelsgesellschaft; Know How; Lizenz; Mehrwertsteuer; Missbrauch; Natürliche Person
Fundstelle(n): NAAAE-81871
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