Urlaub - tariflicher Ausschluss der Übertragbarkeit in das Folgejahr bei Krankheit
Gesetze: § 1 TVG, § 1 BUrlG, § 2 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 7 Abs 3 S 2 BUrlG, § 13 Abs 1 S 1 BUrlG
Instanzenzug: Az: 8 Ca 168/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 16/12 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin aus dem Jahr 2010 elf Urlaubstage als Ersatzurlaub zustehen.
2Die Klägerin ist seit dem bei der Beklagten als Bäckereifachverkäuferin zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt ca. 1.586,00 Euro im Rahmen einer Sechstagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand bis zum kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten einschließlich der Auszubildenden in Betrieben des Bäckerhandwerks in Schleswig-Holstein und Hamburg vom Anwendung (im Folgenden: MTV), in dessen § 11 ua. geregelt ist:
3Nach dem MTV hatte die Klägerin im Jahr 2010 einen Urlaubsanspruch von 27 Werktagen. Davon nahm sie im Urlaubsjahr 16 Tage in Anspruch. Die restlichen elf Tage konnte sie aufgrund einer Erkrankung in der Zeit vom bis zum nicht in Anspruch nehmen. Betriebliche Gründe standen der Gewährung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen.
4Die Klägerin machte mit dem Urlaubsantrag vom und mit den Schreiben vom und den Resturlaub von elf Tagen aus dem Jahr 2010 erfolglos geltend.
5Mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Gewährung von elf Urlaubstagen aus dem Jahr 2010 begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, § 11 Ziff. 9 MTV widerspreche den unionsrechtlichen Vorgaben zum Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Der nicht in Anspruch genommene Urlaub aus dem Jahr 2010 sei daher entsprechend § 7 Abs. 3 BUrlG in das Folgejahr übertragen worden.
6Die Klägerin hat zuletzt beantragt
7Zu ihrem Klageabweisungsantrag hat die Beklagte die Auffassung vertreten, Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2010 seien mit Ablauf des erloschen. Die Regelung in § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV stehe zwar nicht im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben, dies sei aber nach dem deutschen Urlaubsrecht unerheblich. Eine richtlinienkonforme Auslegung des MTV oder des Bundesurlaubsgesetzes komme nicht in Betracht. Eine unmittelbare Geltung des Unionsrechts zwischen Privaten sei nicht gegeben.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Gründe
9Die zulässige Revision ist teilweise begründet. Soweit die Klägerin die Feststellung eines (Ersatz-)Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2010 im Umfang von acht Tagen begehrt, hat das Landesarbeitsgericht ihre Berufung zu Unrecht zurückgewiesen.
10A. Der Hauptantrag ist zulässig und teilweise begründet.
11I. Der Feststellungsantrag ist zulässig.
121. Er bedarf der Auslegung. Die Klägerin begehrt die Feststellung des Bestehens eines Urlaubsanspruchs aus einem in der Vergangenheit liegenden Urlaubsjahr. Ein solcher Antrag ist dahin gehend zu verstehen, dass von ihm sowohl der Urlaubsanspruch als Primäranspruch erfasst wird als auch ggf. ein Schadensersatzanspruch auf Gewährung von Urlaub (vgl. - Rn. 15). Da die Beklagte den Anspruch auf Urlaubstage aus dem Jahr 2010 als Ersatzurlaub in Abrede stellt, besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.
132. Dem Feststellungsbegehren steht auch nicht der Vorrang der Leistungsklage entgegen. Zwar zeigt der Hilfsantrag, dass sich das Klagebegehren grundsätzlich auch in einen Leistungsantrag fassen lässt. Im Hinblick auf die voranschreitende Zeit lässt sich jedoch im Rahmen des Leistungsantrags der Zeitpunkt des Urlaubsbeginns nicht festlegen. Insofern ist ein solcher Leistungsantrag regelmäßig so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Festlegung des Urlaubszeitraums überlässt (vgl. ErfK/Gallner 14. Aufl. § 7 BUrlG Rn. 31 f. mwN). Dies steht jedoch im Widerspruch zum gesetzlichen Modell des § 7 Abs. 1 BUrlG. Der Arbeitnehmer darf auch nicht über das Prozessrecht dazu gezwungen werden, die Bestimmung der Lage des Urlaubs allein dem Arbeitgeber zu überlassen. Vor diesem Hintergrund ist der Leistungsantrag auf Gewährung einer bestimmten Anzahl von Urlaubstagen nicht vorrangig gegenüber dem Feststellungsantrag (vgl. - Rn. 15, BAGE 137, 328).
14II. Das Feststellungsbegehren ist im Umfang von acht Werktagen begründet. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch wurde - soweit er nicht durch Urlaubsgewährung erfüllt worden ist - gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG in das Folgejahr übertragen. Insoweit konnten die Tarifvertragsparteien - anders als in Bezug auf den tariflichen Mehrurlaub - die gesetzliche Regelung zur Übertragungsfrist nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern. Der übertragene Urlaubsanspruch ist nach der Genesung der Klägerin zwar am untergegangen, an seine Stelle trat jedoch ein entsprechender Schadensersatzanspruch auf Urlaub, der weiterhin besteht.
151. Der gesetzliche Mindesturlaub wurde im Umfang von acht Werktagen in das Jahr 2011 übertragen.
16a) Der in einer Sechstagewoche beschäftigten Klägerin stand am noch ein gesetzlicher Urlaubsanspruch in Höhe von acht Tagen zu. Die Klägerin hatte zu Beginn des Jahres 2010 gemäß den §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 BUrlG einen Urlaubsanspruch im Umfang von 24 Werktagen erworben. Die Beklagte gewährte der Klägerin 16 Urlaubstage. Mit der Gewährung des Urlaubs wurde auch der gesetzliche Urlaubsanspruch in diesem Umfang erfüllt (vgl. - Rn. 11 ff., BAGE 143, 1), sodass ein Resturlaubsanspruch von acht Tagen verblieb.
17b) Diese acht Werktage gesetzlicher Urlaub sind nicht am untergegangen, sondern wurden in das erste Quartal des Folgejahres übertragen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG wird der Urlaub in das nächste Kalenderjahr übertragen, wenn in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist der typische Fall des personenbedingten Grundes, der der Inanspruchnahme von Urlaub entgegenstehen kann (vgl. - zu II 4 b der Gründe, BAGE 39, 53; Arnold/Tillmanns/Arnold BUrlG 3. Aufl. § 7 Rn. 123). Die Klägerin konnte aufgrund einer Erkrankung in der Zeit vom bis zum den Urlaub nicht in Anspruch nehmen.
18c) Der Übertragung des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs in das Folgejahr steht der MTV nicht entgegen. § 7 Abs. 3 BUrlG ist durch § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV nicht wirksam dahin gehend abgeändert worden, dass der nicht gewährte gesetzliche Urlaub auf das nächste Jahr nur übertragen werden kann, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des alten Urlaubsjahres nicht möglich war. Die Tarifnorm widerspricht § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 BUrlG und ist insofern unwirksam.
19aa) Zwar ist § 7 Abs. 3 BUrlG in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht bei den Normen genannt, von denen in Tarifverträgen nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass auch von den anderen Vorschriften des BUrlG in Tarifverträgen nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf, soweit sich ihr Regelungsgehalt bereits unmittelbar aus den §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG ergibt. So hat der Achte Senat des - 8 AZR 529/84 - zu 3 a der Gründe, BAGE 54, 184) entschieden, dass eine tarifliche Regelung, nach der Abgeltungsansprüche nur entstehen, wenn der Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen nicht gewährt werden konnte, unwirksam ist, soweit durch sie der Urlaubsabgeltungsanspruch im Umfange des gesetzlichen Urlaubs nach den §§ 1, 3 BUrlG und § 44 SchwbG gemindert wird, obwohl auch § 7 Abs. 4 BUrlG in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht genannt ist (vgl. auch - Rn. 15 und - 9 AZR 465/11 - Rn. 20 mwN [zur Berechnung des Urlaubsentgelts]; - 6 AZR 238/82 - zu 2 a der Gründe, BAGE 47, 268 [zur Urlaubsabgeltung beim Übergang vom Ausbildungs- zum Arbeitsverhältnis]; - 6 AZR 442/83 - zu 1 b der Gründe, BAGE 45, 199 und zuletzt - 9 AZR 765/12 - Rn. 13 mwN [zur Zwölftelung des Urlaubs bei Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte]; vgl. zu weiteren Beispielen Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 53 ff.). In solchen Fällen greift die abweichende Tarifnorm im Ergebnis (mittelbar) in den Regelungsbereich der §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG ein und ist damit insoweit unwirksam.
20bb) Indem der MTV keinen Übertragungszeitraum für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr ohne sein Verschulden nicht in Anspruch nehmen konnte, greift der Tarifvertrag in das durch § 1 BUrlG gewährte Recht auf bezahlten Jahresurlaub ein. Dies ergibt die richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG (ähnlich Arnold/Tillmanns/Zimmermann § 13 Rn. 61; vgl. auch ErfK/Gallner § 13 BUrlG Rn. 13).
21(1) Entgegen der Auffassung der Revision kann es offenbleiben, ob und ggf. wie der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 31 Abs. 2 verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zwischen den Parteien unmittelbare Wirkung entfaltet (vgl. dazu Vorlage der Cour de cassation an den anhängig unter - C-316/13 - [Fenoll] mit Anm. Stiebert/Schmidt ZESAR 2013, 413, dazu Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom , wo unter Rn. 60 auf die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Sache - C-282/10 - [Dominguez] Bezug genommen wird). Die Frage, ob eine nationale Bestimmung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, stellt sich nur dann, wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist ( - [Dominguez] Rn. 23; - Rn. 30, BAGE 142, 371; vgl. Wißmann FS Bepler 2012 S. 649, 654). Ermöglicht es das nationale Recht durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen ( - Rn. 58 mwN, BAGE 130, 119; vgl. auch - [Dominguez] Rn. 24 mwN). Mehrere mögliche Auslegungsmethoden sind daher hinsichtlich des Richtlinienziels bestmöglich anzuwenden im Sinne eines Optimierungsgebots (, 2 BvR 469/07 - Rn. 46, BVerfGK 19, 89). Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet zugleich ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten (, 2 BvR 469/07 - Rn. 47, aaO). Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen ( - [Dominguez] Rn. 25 mwN; - Rn. 31, BAGE 142, 371; - 9 AZR 844/08 - Rn. 26, BAGE 132, 247).
22(2) Der Inhalt des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. EU L 299 vom S. 9, im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) ist, soweit vorliegend von Bedeutung, durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ( - [KHS] Rn. 26, Slg. 2011, I-11757; - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff ua.] Rn. 43, Slg. 2009, I-179). Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie steht zwar grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, die für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen. Allerdings hat der EuGH dieser grundsätzlichen Feststellung die Voraussetzung hinzugefügt, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, grundsätzlich tatsächlich die Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben. Das nationale Recht kann aber Übertragungszeiträume vorsehen, an deren Ende auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit der Urlaubsanspruch entfällt. Ein solcher Übertragungszeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten ( - [Neidel] Rn. 41; - C-214/10 - [KHS] Rn. 38, aaO). Die Regelung des § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV steht nicht im Einklang mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben. Dies sieht auch die Beklagte so.
23(3) Im Hinblick auf die dargestellte Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass tarifliche Regelungen, die bei fortbestehender Krankheit einen Verfall des unionsrechtlich geschützten Mindesturlaubsanspruchs vor Ablauf des gebotenen Übertragungszeitraums vorsehen, gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1, § 1 BUrlG unwirksam sind (vgl. - Rn. 10; - 9 AZR 80/10 - Rn. 27, BAGE 137, 328). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 BUrlG richtlinienkonform auszulegen. Zwar enthalten die §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG keine ausdrückliche Regelung zur Übertragbarkeit und zum Verfall von Urlaubsansprüchen. Diese nationalen Normen entsprechen jedoch weitgehend der Regelung des Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. Nach Auffassung des EuGH gehört die Festlegung eines Übertragungszeitraums zu den Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub und fällt somit grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ( und C-520/06 - [Schultz-Hoff ua.] Rn. 42, Slg. 2009, I-179). Allerdings stellt es eine unzulässige Beeinträchtigung des Rechts auf bezahlten Urlaub dar, wenn der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder am Ende eines zu kurzen Übertragungszeitraums verfallen kann, ohne dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen ( und C-520/06 - [Schultz-Hoff ua.] Rn. 45, aaO). Der durch die §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG gewährte Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub im Umfang von 24 Werktagen ist nach Inhalt und Umfang richtlinienkonform so zu verstehen wie der durch die Arbeitszeitrichtlinie in Art. 7 Abs. 1 gewährte Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Damit folgt im deutschen Recht aus § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch von 24 Werktagen durch eine tarifliche Regelung grundsätzlich nicht am Ende des Urlaubsjahres verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, ihn in Anspruch zu nehmen.
24Eine solches richtlinienkonformes Verständnis von § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG ist nicht contra legem. Zwar lässt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ableiten, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich auch die Vorgaben des § 7 Abs. 3 BUrlG zulasten der Arbeitnehmer abändern können sollen. Der Gesetzgeber hat dieses sogenannte Vorrangprinzip der Tarifautonomie bewusst aufgestellt, ein Günstigkeitsvergleich ist nicht durchzuführen (vgl. - zu II 2 b der Gründe, BAGE 16, 155). Jedoch ist nicht erkennbar, dass der gesetzgeberische Wille auch die Möglichkeit umfasste, die Übertragbarkeit des Urlaubs bei vom Arbeitnehmer unverschuldeter Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs tarifvertraglich ausschließen zu können.
25(4) § 11 Ziff. 9 MTV sieht eine Ausnahme für die Fälle der unverschuldeten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des Urlaubs im Urlaubsjahr nicht vor. Er ist damit jedenfalls insoweit unwirksam, als er „nur“ dann eine Übertragung in das Folgejahr zulässt, wenn die Gewährung des Urlaubs aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des Urlaubsjahres nicht möglich war. Insofern haben die Tarifvertragsparteien die Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nicht wirksam zulasten der Arbeitnehmer abgeändert. Der am noch bestehende gesetzliche Urlaubsanspruch konnte von der Klägerin daher noch bis zum in Anspruch genommen werden.
262. Der übertragene Urlaubsanspruch ist zwar am untergegangen. Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Gewährung von acht Tagen Urlaub unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes zu. Die Beklagte befand sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug und ist gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet, der Klägerin acht Werktage Ersatzurlaub für verfallenen Urlaub aus dem Jahr 2010 zu gewähren. Die Klägerin hat den Urlaub rechtzeitig geltend gemacht. Die Beklagte hat die Gewährung des Urlaubs verweigert.
27III. Soweit die Klägerin die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf weitere drei Urlaubstage begehrt, ist die Klage unbegründet.
281. Zwar stand der Klägerin im Jahr 2010 ein tariflicher Urlaubsanspruch von 27 Werktagen zu, der nur im Umfang von 16 Tagen durch bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung erfüllt worden war, sodass über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinaus drei weitere Tage tariflicher Mehrurlaub am bestanden.
292. Der tarifliche Mehrurlaubsanspruch ist - anders als der gesetzliche Urlaubsanspruch - mit dem gemäß § 11 Ziff. 9 MTV untergegangen.
30a) Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubsansprüche, die darüber hinausgehen, frei regeln (vgl. - [Neidel] Rn. 34 ff. mwN; - Rn. 10 mwN). Ihre Regelungsmacht schließt die Befristung des Mehrurlaubs ein. Unionsrecht steht einem tariflich angeordneten Verfall des Mehrurlaubs nicht entgegen. Eine Vorlage an den EuGH zwecks Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV ist deshalb nicht erforderlich.
31b) Indem § 11 Ziff. 9 Abs. 3 MTV „nur“ dann eine Übertragung in das Folgejahr zulässt, wenn die Gewährung aus außergewöhnlichen betrieblichen Gründen bis zum Ablauf des Urlaubsjahres nicht möglich war, ist klar zum Ausdruck gebracht, dass die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG insoweit nicht zur Anwendung kommen soll, als dort eine Übertragung auch für den Fall vorgesehen ist, dass der Urlaub aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht in Anspruch genommen werden konnte. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien sollte (auch) der tarifliche Urlaubsanspruch untergehen, wenn er im Urlaubsjahr aus krankheitsbedingten Gründen nicht in Anspruch genommen werden konnte. Nach der Konzeption des MTV soll der Arbeitnehmer das Risiko tragen, dass der Anspruch auf Mehrurlaub infolge Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllbar ist.
32c) Unerheblich ist, dass die eigenständige Tarifregelung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub unwirksam ist. Für den vom gesetzlichen Urlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen Mehrurlaub, bleibt sie wirksam (st. Rspr., vgl. - Rn. 13; - 9 AZR 618/10 - Rn. 18, BAGE 141, 374).
33B. Der Hilfsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist nur für den Fall gestellt, dass der Hauptantrag als unzulässig abgewiesen wird. Dies hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
34C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 2612 Nr. 43
BB 2014 S. 2803 Nr. 46
BB 2015 S. 1337 Nr. 22
DB 2014 S. 2899 Nr. 50
DStR 2014 S. 12 Nr. 51
TAAAE-78344