BFH Urteil v. - V R 8/14 BStBl 2015 II S. 3

Festsetzungsverjährungshemmender Antrag

Leitsatz

Die Abgabe einer Steuererklärung ist auch dann kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer Steuervergütung (§ 168 Satz 2 AO) führen soll.

Gesetze: AO § 171 Abs. 3AO § 169AO § 168 Satz 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1 Nach der von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, durchgeführten Steuerberechnung für das Streitjahr 2003 ergab sich zu ihren Gunsten ein Vergütungsanspruch. Am ging um 23:07 Uhr per Telefax das Deckblatt einer vom Geschäftsführer der Klägerin unterschriebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) ein, mit dem sie den von ihr berechneten Vergütungsanspruch im Regelbesteuerungsverfahren geltend machte. Am gleichen Tag wurde in den Nachtbriefkasten des örtlichen Gerichtszentrums die Umsatzsteuerjahreserklärung eingeworfen. Die Umsatzsteuerjahreserklärung lag dem FA am vor.

2 Am reichte die Klägerin eine geänderte Umsatzsteuerjahreserklärung ein, aus der sich ein erhöhter Vergütungsanspruch ergab.

3 Am erließ das FA einen Umsatzsteuerjahresbescheid, mit dem es eine Steuervergütung von 625,05 € festsetzte. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren drohte das FA eine Verböserung an.

4 Am erhob die Klägerin Untätigkeitsklage. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens erging die Einspruchsentscheidung vom , mit der das FA den Einspruch als unbegründet zurückwies und zugleich den Umsatzsteuerbescheid vom aufhob, da dieser erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen sei.

5 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 806 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab. Die reguläre Festsetzungsfrist für das Streitjahr sei am abgelaufen. Zuvor habe die Klägerin keinen ablaufhemmenden Antrag nach § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) gestellt. Selbst wenn davon auszugehen sei, dass der Nachtbriefkasten des Justizzentrums auch als Nachtbriefkasten des FA anzusehen sei, liege nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Abgabe einer Umsatzsteuererklärung kein ablaufhemmender Antrag.

6 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Unter Berücksichtigung der zur Richtlinie des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL) ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) seien die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zu beachten. Das FA müsse eine rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingegangene Steuererklärung bearbeiten. Lasse das FA eine eingereichte Steuererklärung unbearbeitet, bis Festsetzungsverjährung eingetreten sei, verweigere es das europarechtlich gewährleistete Recht auf Vorsteuerabzug. Dieses werde bereits mit Einreichen der Steuererklärung ausgeübt, ohne dass es auf eine behördeninterne Bearbeitung ankomme. Beschränkungen des Rechts auf Vorsteuerabzug seien an einem strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu messen. Es sei nicht erforderlich, materiell unrichtige Ergebnisse durch eine enge Auslegung von § 171 Abs. 3 AO zu erzielen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung sei nur erforderlich, wenn der Steuerpflichtige bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nichts unternommen habe. Das FG habe auch die Sachaufklärungspflicht und damit § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt, da es den Eingang des Begleitschreibens als verjährungshemmenden Vorgang nicht geprüft habe. Eine Vorlage an den EuGH sei notwendig.

7 Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2003 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom die Umsatzsteuer auf ./. 8.582 € festzusetzen.

8 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

9 Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Wie das FG zutreffend entschieden hat und zwischen den Parteien nicht streitig ist, trat mit Ablauf des für das Streitjahr Festsetzungsverjährung ein, soweit keine Hemmung nach § 171 Abs. 3 AO vorliegt. Eine verjährungshemmende Wirkung nach dieser Vorschrift hat das FG zu Recht verneint.

10 1. Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 AO insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden worden ist. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung ist die Abgabe einer Steuererklärung auch dann kein Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO, wenn sie zu einer Erstattung führen soll (, BFH/NV 1996, 1, unter II.1.b aa, und vom V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, unter II.4.b bb). Dies gilt auch, wenn die Erklärung zusammen mit einem Begleitschreiben eingereicht wird (, BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, unter II.2.b). In seinem Urteil vom VIII R 54/89 (BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124) hat der BFH dies damit begründet, dass als „Antrag” i.S. von § 171 Abs. 3 AO nur solche Willensbekundungen zu verstehen sind, die ein Tätigwerden der Finanzbehörden außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Die Abgabe von gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärungen gehört hierzu nicht. Denn damit erfüllt der Steuerpflichtige seine allgemeine Mitwirkungspflicht. Zudem würde, wäre eine Steuererklärung auch als „Antrag” i.S. des § 171 Abs. 3 AO anzusehen, die zu einer Bevorzugung des pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen Bürger führen (BFH-Urteil in BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, Rz 21, m.w.N.).

11 2. Diese Rechtsprechung steht nicht im Widerspruch zum Unionsrecht.

12 a) Die MwStSystRL enthält zur Festsetzungsverjährung keine eigenständigen Regelungen, so dass insoweit die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten fortbesteht.

13 b) Die Ausgestaltung der nationalen Regelung verstößt nicht gegen allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts.

14 aa) Es liegt kein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz vor.

15 Die streitige nationale Regelung gilt nämlich in gleicher Weise für Rechtsbehelfe, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, für die es auf das innerstaatliche Recht ankommt (vgl. , Littlewoods Retail, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2012, 772, Rdnr. 31). Dem Äquivalenzprinzip wird genügt, wenn z.B. für Steuerbescheide dieselben Änderungsmöglichkeiten zur Durchsetzung der sich aus dem nationalen Recht und dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche bestehen (vgl. z.B. , Asturcom Telecomunicationes SL, Slg. 2009, I-9579, EWS 2009, 475, unter Rdnrn. 49 f.; , BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, unter II.5.c bb).

16 bb) Das nationale Recht steht auch im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz.

17 Der EuGH hat entschieden, dass die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist und dass solche Fristen nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (, Banca Antoniana Popolare Veneta, UR 2012, 184, Rdnr. 24). So ist z.B. eine Ausschlussfrist von zwei Jahren nicht zu beanstanden, da es diese Frist jedem Steuerpflichtigen grundsätzlich ermöglicht, die Rechte, die er aus der Unionsrechtsordnung ableitet, ordnungsgemäß geltend zu machen (EuGH-Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184, Rdnr. 25). Der Grundsatz der Effektivität ist auch dann nicht verletzt, wenn für die Finanzverwaltung eine günstigere nationale Verjährungsfrist gilt als für den Einzelnen (EuGH-Urteil Banca Antoniana Popolare Veneta in UR 2012, 184, Rdnr. 26).

18 Danach verstößt die im nationalen Recht gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO vorgesehene Festsetzungsfrist von vier Jahren nicht gegen das Unionsrecht. Eine erweiternde Auslegung von § 171 Abs. 3 AO ist zur Festlegung angemessener Ausschlussfristen nicht erforderlich.

19 3. Im Streitfall hat das FG die Klage danach zu Recht abgewiesen. Auf die Fragen, ob der Nachtbriefkasten der örtlichen Justizbehörden auch als Nachtbriefkasten des FA anzusehen war und ob das Telefax eine vollständige Übermittlung enthielt, kommt es nicht an.

20 4. Das FG hat nicht die Sachaufklärungspflicht in Bezug auf das Begleitschreiben zur Steuererklärung verletzt. Denn wie der BFH mit Urteil in BFHE 241, 310, BStBl II 2014, 143, unter II.2.b ausdrücklich entschieden hat, ergibt sich auch hieraus kein Antrag i.S. von § 171 Abs. 3 AO.

Fundstelle(n):
BStBl 2015 II Seite 3
AO-StB 2014 S. 362 Nr. 12
BB 2014 S. 2646 Nr. 44
BB 2014 S. 2917 Nr. 48
BFH/NV 2014 S. 1926 Nr. 12
BFH/PR 2015 S. 30 Nr. 1
BStBl II 2015 S. 3 Nr. 1
DB 2014 S. 7 Nr. 43
DStR 2014 S. 10 Nr. 43
DStRE 2014 S. 1504 Nr. 24
HFR 2014 S. 1043 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2014 S. 3302
StB 2014 S. 418 Nr. 12
StBW 2015 S. 20 Nr. 1
StBW 2015 S. 4 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 22/2014 S. 864
DAAAE-77334