BGH Beschluss v. - XI ZR 219/13

Instanzenzug:

Gründe

I.

1Der Kläger beansprucht von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Beratungspflichtverletzung die Rückabwicklung einer Beteiligung an einer Fondsgesellschaft.

2Der Kläger nahm im Jahr 2008 an einer Informationsveranstaltung der n. mbH, einer hundertprozentigen Tochter der Beklagten (künftig: n. ), teil, anlässlich derer die Beteiligung an dem geschlossenen Publikumsfonds L. KG (künftig: Fondsgesellschaft) beworben wurde. Diese Fondsgesellschaft handelte mit US-amerikanischen Lebensversicherungspolicen. Mit dem Vertrieb der Beteiligungen war die B. GmbH (künftig: B. ) befasst, die sich der Unterstützung der n. bediente. In dem Emissionsprospekt der Fondsgesellschaft war darauf hingewiesen, dass die B. "eine Vergütung in Höhe von 5% des aufgenommenen Kommanditkapitals (ohne Agio) zuzüglich des gesamten Agios" erhalte und sie diese Beträge an von ihr "eingeschaltete[...] Kapitalvermittler" weitergebe.

3Nach Gesprächen mit einem Mitarbeiter der Beklagten am und und Erhalt des Emissionsprospekts beteiligte sich der Kläger über eine Treuhänderin mit einem Betrag von 30.000 € zuzüglich eines Agios in Höhe von 1.500 € an der Fondsgesellschaft. Die B. erhielt gemäß den Angaben im Emissionsprospekt eine Provision von 3.000 €. Davon gab sie 2.550 € an die n. weiter, die ihrerseits der Beklagten 300 € zuwandte.

4Der auf Zahlung von 31.500 € zuzüglich entgangenen Gewinns und weiterer Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung gerichteten Klage hat das Landgericht mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen stattgegeben. Auf die dagegen gerichteten Rechtsmittel beider Parteien hat das Berufungsgericht (MDR 2013, 1109 f.) den Zinsausspruch zugunsten des Klägers geringfügig modifiziert und die Berufungen im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es - soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - ausgeführt:

5Zwischen den Parteien sei im Vorfeld der Beteiligung des Klägers ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Die Beklagte sei dem Kläger wegen der Verletzung ihrer aus dem Beratungsvertrag resultierenden Aufklärungspflicht über Rückvergütungen zum Schadenersatz verpflichtet. Den ihr obliegenden Nachweis, dass der Kläger auch im Falle einer ordnungsgemäßen Beratung die Beteiligung gezeichnet hätte, habe die Beklagte nicht geführt. Ihren "Beweisantritten" sei nicht nachzugehen gewesen. Insofern habe die Beklagte eine "bloße Vermutung" angestellt, "auf die sich kein Zeugenbeweis stützen" lasse. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen.

II.

6Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Soweit das Berufungsgericht gegen die Beklagte erkannt hat, ist die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516). Aus demselben Grund ist es gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

71. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 19 mwN) davon ausgegangen, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag und nicht nur ein Auskunftsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger über die Höhe von ihr vereinnahmter Rückvergütungen aufzuklären. Weiter hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers sei weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 19 ff.). Korrekt hat es insoweit, ohne dies allerdings näher auszuführen, auch ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 24 f. mwN).

82. Das Berufungsurteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), soweit das Berufungsgericht einen erheblichen Beweisantritt der Beklagten zur Widerlegung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Klägers unbeachtet gelassen hat. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu Recht.

9a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Dazu gehört, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 60, 247, 249; 65, 305, 307; 69, 141, 143 f.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 22, 267, 274; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 79, 51, 61; 86, 133, 145 f.; 96, 205, 216 f.). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).

10b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

11aa) Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung (dort S. 39) zum Beweis dafür, dass der Kläger im Falle einer Unterrichtung über die Rückvergütung die Beteiligung gleichwohl gezeichnet hätte, Beweis durch Vernehmung des Klägers als Partei angeboten. Sie hat das Beweisangebot später gegenüber dem Landgericht wiederholt und sich in der Berufungsbegründungsschrift erneut darauf bezogen.

12bb) Dieses Beweisangebot der Beklagten war erheblich. Die Beklagte hat eine für die Entscheidung wesentliche Tatsache - Fehlen der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden - unmittelbar selbst zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Stellte sich der Sachvortrag in der Beweisaufnahme als richtig heraus, stünde die fehlende Kausalität der Pflichtverletzung fest. Weitere Einzelheiten oder Erläuterungen sind zur Substantiierung des Beweisantrags auf Vernehmung des Gegners als Partei grundsätzlich nicht erforderlich (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39).

13cc) Ein unbeachtlicher, auf Ausforschung zielender Beweisermittlungsantrag, der auf der willkürlichen Behauptung einer bestimmten Motivationslage "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" gründete, ist nicht gegeben. Die Beklagte hat mit dem Verweis auf die Motivation des Klägers, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen, und mittels der Schilderung seines aufgrund der Informationsveranstaltung gefassten Vorentschlusses Anhaltspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, dass der Kläger auch in Kenntnis der Rückvergütung die Beteiligung gezeichnet hätte. Angesichts dessen kann eine Behauptung ins Blaue hinein nicht angenommen werden, zumal die Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO nicht die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache voraussetzt (, BGHZ 33, 63, 66) und das Berufungsgericht, das die von der Beklagten angeführten Indizien im Zusammenhang mit der Kausalitätsprüfung als "Vermutung" abgetan hat, bei der Befassung mit dem Vortrag des Klägers zu einem ihm entgangenen Gewinn mit ebendiesen Aspekten argumentiert hat.

14dd) Von einer Vernehmung des Klägers als Partei konnte das Berufungsgericht nicht absehen, weil der Kläger auf die Anordnung seines persönlichen Erscheinens durch seinen Prozessbevollmächtigten vor dem Landgericht hatte erklären lassen, er sei "nicht bereit, persönlich vor Gericht zu erscheinen", und wolle "auch keine Angaben zum Sachverhalt machen", und gegenüber dem Berufungsgericht schriftsätzlich hatte ausführen lassen, er werde "im Rahmen einer formlosen Anhörung keine Angaben machen" und sich "daher" gemäß § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO von seinem Prozessbevollmächtigten "vertreten lassen". Darin lag keine hinreichende Erklärung im Sinne des § 446 ZPO. Im Übrigen wäre das Berufungsgericht - die Voraussetzungen des § 446 ZPO als gegeben unterstellt - gehalten gewesen, die Gründe für die Weigerung des Klägers zu würdigen.

15ee) Schließlich stand der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO der Beweiserhebung nicht entgegen. Für die unmittelbare Beweisführung zur Motivation des Klägers hat die Beklagte kein anderes Beweismittel vorgebracht.

16c) Das Berufungsurteil beruht auf der Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 65, 305, 308; 89, 381, 392 f.). Dies ist der Fall, weil die Beklagte den Nachweis einer mangelnden Kausalität der vom Berufungsgericht festgestellten Aufklärungspflichtverletzung mit dem von ihr angebotenen Beweismittel möglicherweise geführt hätte.

III.

17Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

18Das Berufungsgericht wird den Kläger als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) zu der Behauptung der Beklagten, die Rückvergütung sei für seine Anlageentscheidung ohne Bedeutung gewesen, zu vernehmen haben. Eine Anhörung nach § 141 ZPO genügt, wie der Kläger in der Berufungsinstanz zu Recht angemerkt hat, nicht (, [...] Rn. 12 ff.). Bei der Würdigung der Aussage des Klägers wird es die von der Beklagten für ihre Behauptung benannten Indizien mit zu berücksichtigen haben.

19Bei der erneuten Untersuchung der Frage, ob ein Beratungsfehler der Beklagten für die Anlageentscheidung des Klägers ursächlich war, wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass die Beklagte nur über solche Rückflüsse zu unterrichten gehalten war, die hinter dem Rücken des Klägers an sie selbst gelangten. Ein über eine Konzerngesellschaft vermitteltes wirtschaftliches Interesse ist grundsätzlich nicht aufklärungspflichtig. Besondere Umstände, die im konkreten Einzelfall anderes ergäben, hat der Kläger nicht vorgetragen und das Berufungsgericht nicht festgestellt.

20Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verschwiegene Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es den sonst vom Kläger gerügten Beratungspflichtverletzungen nachzugehen haben.

Fundstelle(n):
CAAAE-71381