Beendigung einer vorläufigen personellen Maßnahme
Leitsatz
Die Beendigung einer vorläufigen personellen Maßnahme unterliegt nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.
Gesetze: § 100 BetrVG, § 101 BetrVG, § 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 95 Abs 3 S 1 BetrVG
Instanzenzug: ArbG Minden Az: 3 BV 16/11 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 10 TaBV 35/12 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über das Beteiligungsrecht bei der Beendigung einer vorläufigen personellen Maßnahme.
2Die Arbeitgeberin betreibt konzessionierte Spielbanken in B, A und D. In ihrem Betrieb in B ist der am Verfahren beteiligte Betriebsrat gebildet.
3DieB Arbeitgeberin schrieb im April 2008 mehrere Stellen für stellvertretende Bereichsleiter im klassischen Spiel in der Spielbank D aus. Auf diese Stellen bewarben sich die im Casino B beschäftigten Arbeitnehmer K und M. Herr K war zu diesem Zeitpunkt als stellvertretender Bereichsleiter und Herr M als Spielaufsicht tätig. Die Arbeitgeberin beabsichtigte beide Arbeitnehmer mit deren Einverständnis ab dem als stellvertretende Bereichsleiter im Casino D einzusetzen.
4Nachdem der Betriebsrat der Spielbank D seine Zustimmung zur Einstellung der beiden Arbeitnehmer verweigerte, wurden diese von der Arbeitgeberin dort im Rahmen einer vorläufigen personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG als stellvertretende Bereichsleiter beschäftigt. Zugleich leitete die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein, das jedoch erfolglos blieb. Mit Schreiben vom beantragte die Arbeitgeberin erneut die Zustimmung zur Einstellung der Mitarbeiter K und M in der Spielbank D. Dessen Betriebsrat verweigerte wiederum seine Zustimmung. Mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom wies das Arbeitsgericht D die Zustimmungsersetzungsanträge sowie die auf die Feststellung der dringenden Erforderlichkeit der personellen Maßnahmen gerichteten Anträge ab.
5Die Arbeitgeberin unterrichtete mit Schreiben vom den Betriebsrat des Casinos B über den ab dem beabsichtigten Einsatz der Arbeitnehmer K und M auf ihren bisherigen Positionen. Der Betriebsrat forderte von der Arbeitgeberin die Durchführung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 BetrVG. Diese teilte dem Betriebsrat daraufhin mit, dass aus ihrer Sicht ein solches Verfahren nicht durchzuführen sei. Lediglich vorsorglich beantragte sie die Zustimmung zu einer „Versetzung“ der Arbeitnehmer K und M in das Casino B. Der Betriebsrat bestritt mit Schreiben vom die dringliche Erforderlichkeit der Maßnahmen und verweigerte mit Schreiben vom seine Zustimmung zu den hilfsweise beantragten personellen Einzelmaßnahmen.
6Die Arbeitgeberin hat beantragt
7Der Betriebsrat hat die Abweisung der Anträge beantragt sowie im Wege des Widerantrags
8Die Arbeitgeberin hat die Abweisung der Wideranträge beantragt.
9Das Arbeitsgericht hat nach dem Hauptantrag der Arbeitgeberin erkannt und die Wideranträge des Betriebsrats abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter.
10B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem zu 1. erhobenen Antrag der Arbeitgeberin zu Recht entsprochen. Der Einsatz der Arbeitnehmer K und M ab dem im Casino B unterliegt nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Die Hilfsanträge der Arbeitgeberin und die Wideranträge des Betriebsrats fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.
11I. Der Antrag zu 1. ist zulässig und begründet.
121. Der Antrag ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Zwischen den Beteiligten bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Arbeitgeberin für die Beschäftigung der Arbeitnehmer K und M im Casino B die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einholen muss. Dieser Streit kann durch das vorliegende Verfahren geklärt werden. Die Arbeitgeberin ist nicht gehalten, ein ggf. vom Betriebsrat nach § 101 Satz 1 BetrVG einzuleitendes Beschlussverfahren abzuwarten.
132. Der Antrag zu 1. ist auch begründet. Die Beschäftigung der Arbeitnehmer K und M bedarf nicht der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin setzt diese nach Beendigung einer vorläufigen personellen Maßnahme iSd. § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG wieder in ihrem ursprünglichen Arbeitsbereich ein. Eine solche Maßnahme stellt keine Einstellung oder Versetzung iSd. § 99 Abs. 1, § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dar. Der Betriebsrat ist über die Aufhebung einer vorläufigen personellen Maßnahme lediglich zu unterrichten.
14a) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat ua. vor jeder Einstellung oder Versetzung zu unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einzuholen.
15aa) Eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen (zuletzt - Rn. 25, BAGE 137, 194).
16bb) Versetzung ist nach der Legaldefinition des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die entweder die Dauer von einem Monat voraussichtlich überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit geleistet werden muss. Der „Arbeitsbereich“ iSv. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird in § 81 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben ( - Rn. 41). Ist die Versetzung mit dem Wechsel des Arbeitsorts verbunden, entfällt das Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats im abgebenden Betrieb, wenn der mit seinem Einverständnis versetzte Arbeitnehmer auf Dauer aus dem abgebenden Betrieb ausscheiden und in einen anderen, den aufnehmenden Betrieb, auf Dauer eingegliedert werden soll ( - Rn. 23, BAGE 132, 324).
17b) Die Beendigung einer vom Arbeitgeber durchgeführten vorläufigen personellen Maßnahme nach § 100 BetrVG wird nicht vom Zustimmungserfordernis des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfasst. Personelle Einzelmaßnahmen iSd. genannten Vorschrift können zwar nur nach Zustimmung des Betriebsrats oder deren rechtskräftiger Ersetzung vorgenommen werden. Zu diesen gehört die vorläufige personelle Maßnahme aber nicht. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Durchführung einer vorläufigen personellen Maßnahme bestimmt sich vielmehr nach § 100 Abs. 2 BetrVG.
18aa) Nach § 100 Abs. 1 BetrVG kann der Arbeitgeber eine Maßnahme nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aus dringenden sachlichen Gründen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats vorläufig, dh. bis zur Entscheidung über ihre materielle Rechtmäßigkeit durchführen. Dazu muss er nach § 100 Abs. 2 BetrVG den Betriebsrat unverzüglich von der vorläufigen personellen Maßnahme unterrichten. Bestreitet der Betriebsrat, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich mitzuteilen. In diesem Fall darf der Arbeitgeber die vorläufige personelle Maßnahme nur aufrechterhalten, wenn er innerhalb von drei Tagen beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats und die Feststellung beantragt, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war. § 100 Abs. 2 BetrVG verlangt für die Durchführung der vorläufigen personellen Maßnahme nicht den objektiven Nachweis dringender Erforderlichkeit, sondern nur die Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens ( - Rn. 18, BAGE 131, 145).
19bb) Endet die vorläufige Maßnahme nach § 100 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, muss der Arbeitgeber den vor ihrer Durchführung bestehenden betriebsverfassungsrechtlichen Zustand wieder herstellen. Der Arbeitnehmer wird wieder in dem Arbeitsbereich tätig, dem er bereits vorher angehört hat. Aufgrund der zuvor erfolgten Aufklärung über die Sach- und Rechtslage durch den Arbeitgeber (§ 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) durfte der Arbeitnehmer auf den Fortbestand der Beschäftigung, die Gegenstand der vorläufigen personellen Maßnahme war, nicht vertrauen. Auch die Belegschaft muss wegen der Vorläufigkeit der Beschäftigung in einem anderen Betrieb oder Arbeitsbereich desselben Betriebs mit der Rückkehr des Arbeitnehmers rechnen.
20cc) Der Betriebsrat ist nach § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vom Arbeitgeber unverzüglich von der vorläufigen personellen Maßnahme zu unterrichten. Von der in dieser Vorschrift normierten Unterrichtungspflicht ist nicht nur die Information über die Einleitung, sondern auch die Mitteilung über das Ende der vorläufigen personellen Maßnahme umfasst. Dies folgt zudem aus § 101 Satz 1 BetrVG. Der Betriebsrat muss prüfen können, ob er nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG einen Aufhebungsantrag nach § 101 Satz 1 BetrVG stellt.
21dd) Die Beteiligung des Betriebsrats bei vorläufigen personellen Maßnahmen richtet sich danach ausschließlich nach § 100 Abs. 2 BetrVG.
22(1) Das Gesetz unterscheidet in § 100 Abs. 1 und Abs. 3, § 101 Satz 1 BetrVG zwischen der personellen (Einzel-)Maßnahme und ihrer vorläufigen Durchführung. Vor der Zustimmung des Betriebsrats oder deren rechtskräftiger Ersetzung im Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitgeber an der dauerhaften Umsetzung der beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme gehindert. Die betriebsverfassungsrechtliche Wirksamkeit der beabsichtigten personellen Maßnahme bleibt vor der darauf gerichteten Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer gerichtlichen Ersetzung zunächst in der Schwebe.
23(2) Demgegenüber kann der Arbeitgeber, wenn er die prozeduralen Vorgaben von § 100 Abs. 2 BetrVG erfüllt, die personelle Maßnahme auch ohne die Zustimmung des Betriebsrats betriebsverfassungskonform vorläufig durchführen. Anders als eine Einstellung oder eine Versetzung ist die vorläufige personelle Maßnahme nicht auf die Herbeiführung eines endgültigen betriebsverfassungsmäßigen Zustands gerichtet, sondern auf eine vorübergehende Regelung beschränkt. Die Vorschrift schafft einen von der Zustimmung des Betriebsrats unabhängigen eigenständigen betriebsverfassungsrechtlichen Geltungsgrund für die vorübergehende Beschäftigung eines Arbeitnehmers. Die vorläufige personelle Maßnahme ist nach § 100 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auflösend bedingt. Sie endet jeweils nach Ablauf von zwei Wochen, wenn das Gericht durch rechtskräftige Entscheidung die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats ablehnt oder es rechtskräftig feststellt, dass offensichtlich die Maßnahme aus sachlichen Gründen nicht dringend erforderlich war. Die vorläufige personelle Maßnahme führt daher nur zu einer vorübergehenden, durch die Entscheidung nach § 99 Abs. 4, § 100 Abs. 3 BetrVG auflösend bedingten Eingliederung des Arbeitnehmers in den neuen Arbeitsbereich. In diesem Zeitraum ist der in einem anderen Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer betriebsverfassungsrechtlich nur diesem zugeordnet. Diese vorübergehende Eingliederung ist an die Durchführung der vorläufigen personellen Maßnahme geknüpft. Sie endet mit deren Abschluss, ab diesem Zeitpunkt gehört der Arbeitnehmer wieder der Belegschaft seines ursprünglichen Betriebs an.
24(3) Diese Sichtweise gebietet auch der Normzweck. Nur bei Annahme einer von der vorläufigen personellen Maßnahme abhängigen betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers ist dessen durchgängige Repräsentation durch eine Arbeitnehmervertretung sichergestellt. Träfe hingegen die Rechtsauffassung des Betriebsrats zu, würde ein Arbeitnehmer, dessen vorläufige Beschäftigung in dem aufnehmenden Betrieb nach § 100 Abs. 3 Satz 1 BetrVG endet, von keinem Betriebsrat repräsentiert, wenn der Betriebsrat seines vormaligen Einsatzbetriebs die Rückkehr durch eine Zustimmungsverweigerung verhindern könnte. Ein solcher Zustand widerspräche dem Schutzgedanken der Betriebsverfassung (vgl. schon - zu B II 5 der Gründe, BAGE 51, 151).
25c) Die Beschäftigung der Arbeitnehmer K und M im Casino B ab dem unterlag danach nicht der Beteiligung des dort bestehenden Betriebsrats. Diese Arbeitnehmer gehörten dem Betrieb bereits bis zum an und waren dort eingegliedert. Ihre betriebsverfassungsrechtliche Zugehörigkeit zum Betrieb B haben die Arbeitnehmer zwar für die Dauer der ab dem durchgeführten vorläufigen personellen Maßnahme verloren, in deren Rahmen sie mit ihrem Einverständnis in der Spielbank D eingesetzt wurden. Wegen des damit verbundenen Wechsels des Arbeitsorts konnte die Arbeitgeberin den geänderten Einsatz der Arbeitnehmer nur aufgrund einer Versetzung nach § 95 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BetrVG vornehmen. Deren betriebsverfassungsrechtliche Wirksamkeit war nur von der Zustimmung des Betriebsrats des aufnehmenden Betriebs D abhängig, der einer Beschäftigung der bislang im Casino B tätigen Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG zustimmen musste. Hingegen musste die Arbeitgeberin den Betriebsrat des Betriebs B nicht um die Zustimmung zur Versetzung der Arbeitnehmer nach D ersuchen. Beide Arbeitnehmer waren mit dem beabsichtigten Einsatz in der dortigen Spielbank einverstanden. Der Betriebsrat des Casinos B war lediglich nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über den beabsichtigen Einsatz der Arbeitnehmer K und M in D und die von der Arbeitgeberin durchgeführten vorläufigen personellen Maßnahmen zu unterrichten. Nach deren Beendigung sind die Arbeitnehmer wieder ihrem vormaligen Einsatzbetrieb zugeordnet. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitgeberin mit ihnen zwischenzeitlich andere Vertragsbedingungen vereinbart hat. Dies ist betriebsverfassungsrechtlich für ihre Eingliederung in den Betrieb B ohne Bedeutung. Die Arbeitnehmer werden in ihren bisherigen Arbeitsbereichen eingesetzt. Hierüber hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat informiert.
26II. Da die Arbeitgeberin mit ihrem Hauptantrag erfolgreich ist, fallen die nur hilfsweise erhobenen Anträge zu 2. und zu 3. dem Senat nicht zur Entscheidung an. Dies gilt gleichermaßen für die vom Betriebsrat erhobenen Wideranträge. Diese sind nur für den Fall gestellt, dass der Einsatz der Arbeitnehmer K und M ab dem im Casino B als personelle Einzelmaßnahme nach § 99 Abs. 1 BetrVG seiner Zustimmung unterliegt. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 1972 Nr. 33
DB 2014 S. 1876 Nr. 33
DB 2014 S. 7 Nr. 31
NJW 2014 S. 2896 Nr. 39
NJW 2014 S. 8 Nr. 33
TAAAE-70185