Unzumutbarkeit der tatsächlichen Beschäftigung
Gesetze: § 242 BGB, § 615 S 1 BGB
Instanzenzug: ArbG Bielefeld Az: 4 Ca 2664/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 19 Sa 258/11 Urteilnachgehend Az: 1 BvR 1931/14
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Feststellung von Vergütungsansprüchen wegen Annahmeverzugs zur Insolvenztabelle.
2Der am geborene, ledige Kläger war seit 1977 als kaufmännischer Angestellter bei der ursprünglichen Beklagten beschäftigt, über deren Vermögen am das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Schuldnerin stellte Transportgeräte her. Bei ihr waren etwa 55 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Kläger war zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal tätig. Ihm wurde am Prokura erteilt, die bis zum bestand. Das Bruttogrundgehalt des Klägers betrug zuletzt 5.749,75 Euro monatlich.
3Im Jahr 2003 stellte die Schuldnerin fest, dass der Kläger durch mehrere Handlungen einen Betrag iHv. mindestens 280.568,95 Euro brutto aus ihrem Vermögen an sich gebracht hatte. Der Kläger gestand die Taten ein und gab diesbezüglich am ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Er ermächtigte die Schuldnerin, den jeweils pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einzubehalten und auf ihre Schadensersatzforderung zu verrechnen. Der Kläger wurde in der Folgezeit weiterbeschäftigt. Die Kontovollmacht blieb bestehen. Doch ließ sich die Schuldnerin einen Großteil der vom Kläger erteilten Anweisungen vorlegen.
4Am wurde der Schuldnerin ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über 48.900,00 Euro zugestellt, mit dem das Arbeitseinkommen des Klägers wegen einer Forderung der Sparkasse Herford gepfändet wurde. Daraufhin strebte die Schuldnerin den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an. Nachdem der Kläger ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte, stellte die Schuldnerin den Kläger von der Arbeit frei. Nachforschungen bei Kreditinstituten ergaben, dass der Kläger nach Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses weitere Beträge auf sein eigenes Konto überwiesen hatte. Mit Schreiben vom kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos sowie vorsorglich fristgerecht. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, die unter Hinweis auf eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats erfolgreich war ( -).
5Nach Ausspruch der Kündigung im Mai 2007 stellte die Schuldnerin weitere unberechtigte Überweisungen auf ein Konto des Klägers fest. Sie kündigte mit Schreiben vom erneut fristlos. Auch diese Kündigung wurde zweitinstanzlich durch das Landesarbeitsgericht Hamm mit Urteil vom (- 16 Sa 560/08 -) wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats für unwirksam erklärt. Der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung wurde in beiden Instanzen abgewiesen, weil der Schuldnerin aufgrund der erheblichen Straftaten des Klägers eine tatsächliche Beschäftigung nicht zuzumuten sei.
6Die Schuldnerin erstattete am Strafanzeige gegen den Kläger. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld erhob unter dem Anklage vor dem Amtsgericht Bielefeld. Darin wurden dem Kläger 74 Taten zum Nachteil der Schuldnerin zur Last gelegt. Mit Beschluss vom ließ das Amtsgericht Bielefeld die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren gegen den Kläger. Mit Schreiben vom kündigte die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der gegen diese Kündigung gerichteten Klage wurde vom Landesarbeitsgericht Hamm (- 5 Sa 1076/09 -) mit der Begründung stattgegeben, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten worden und der Kläger sei ordentlich unkündbar.
7Am wurde der Kläger wegen Untreue zum Nachteil der Schuldnerin in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Daraufhin kündigte die Schuldnerin mit Schreiben vom das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut fristlos. Das Strafurteil wurde vom Landgericht Bielefeld dahingehend abgeändert, dass die Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen die Kündigung vom gerichtete Kündigungsschutzklage wurde durch Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm abgewiesen ( - 19 Sa 1951/10 -). Die dagegen vom Kläger eingelegte Revision wurde vom Bundesarbeitsgericht am zurückgewiesen (- 2 AZR 732/11 -).
8Der Kläger bezog ab dem Arbeitslosengeld. Für den Monat August 2007 errechnete sich ein Teilbetrag von 492,32 Euro netto, der vollständig an den Kläger ausgezahlt wurde. Ab September 2007 betrug die Höhe des Arbeitslosengelds monatlich 1.588,20 Euro netto. Hiervon zahlte die Bundesagentur für Arbeit 700,20 Euro netto an den Kläger aus. Einen Betrag von 888,00 Euro netto zahlte sie aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an die Schuldnerin.
9Mit der am eingereichten, mehrfach erweiterten Klage hat der Kläger Lohnansprüche für den Zeitraum Juni 2007 bis Oktober 2008 geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, die Schuldnerin sei mit der Annahme seiner Arbeitsleistung in Verzug geraten.
10Der Kläger hat zuletzt - neben weiteren Hilfsanträgen - sinngemäß beantragt,
11Die Schuldnerin hat beantragt, die Klage abzuweisen, und dazu geltend gemacht, aufgrund der schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Klägers sei ihr jede Lohnzahlung unzumutbar. Unter Berücksichtigung des bereits im Jahr 2003 abgegebenen Schuldanerkenntnisses und der Fortsetzung von schwerwiegenden Untreuehandlungen liege ein Extremfall vor, der die Lohnzahlungsverpflichtung entfallen lasse.
12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision hat der Kläger zunächst seine zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Kläger die streitgegenständlichen Vergütungsansprüche zur Tabelle angemeldet. Der Insolvenzverwalter hat diese bestritten. Mit dem gegen den Insolvenzverwalter aufgenommenen Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung seiner Forderungen zur Tabelle. Der Revisionsbeklagte wendet doppelte Rechtshängigkeit ein. Der Kläger habe mit seiner am beim Arbeitsgericht Bielefeld eingereichten Klage die im vorliegenden Verfahren streitigen Ansprüche erneut rechtshängig gemacht.
Gründe
13Die Revision ist unbegründet. Die erhobenen Ansprüche auf Vergütung wegen Annahmeverzugs stehen dem Kläger nicht zu, weil der Schuldnerin die Beschäftigung des Klägers unzumutbar war.
14I. Die gestellten Anträge sind zulässig.
15Es mag zwar sein, dass durch die vom Kläger beim Arbeitsgericht unter dem eingereichte Feststellungsklage doppelte Rechtshängigkeit eingetreten ist, doch betrifft diese die Zulässigkeit des zweiten beim Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits.
16II. Die Klage ist mit den noch anhängigen Anträgen unbegründet. Dem Kläger stehen die erhobenen Insolvenzforderungen nicht zu. Vergütungsansprüche des Klägers wegen Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB) sind im Zeitraum Juni 2007 bis Oktober 2008 nicht entstanden. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Schuldnerin sei in dieser Zeit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Annahme der Arbeitsleistung unzumutbar gewesen.
171. Ein Arbeitgeber kommt trotz Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug, wenn sich der Arbeitnehmer so verhält, dass der Arbeitgeber nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten des Arbeitslebens die Annahme der Leistung zu Recht ablehnt. Dies kann der Fall sein, wenn bei Annahme der angebotenen Dienste strafrechtlich geschützte Interessen des Arbeitgebers, seiner Angehörigen oder anderer Betriebsangehöriger unmittelbar und nachhaltig so gefährdet werden, dass die Abwehr dieser Gefährdung Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes haben muss. Es ist auf die objektive Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers abzustellen; Verschulden ist nicht erforderlich. Wann ein solcher Fall vorliegt, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Dabei sind die Gepflogenheiten des Arbeitslebens zu berücksichtigen. Nicht jede in der Erregung gesprochene Beleidigung des Arbeitgebers, nicht jedes böse Wort, nicht jede Robustheit des Arbeitnehmers lässt das Leistungsangebot treuwidrig und seine Ablehnung durch den Arbeitgeber gerechtfertigt erscheinen. Ort und Zeit des Vorfalls sowie das Betriebsklima spielen für die Beurteilung dieser Frage eine erhebliche Rolle. Es muss ein ungewöhnlich schwerer Verstoß gegen allgemeine Verhaltenspflichten vorliegen, der den Arbeitgeber schlechterdings berechtigt, die Dienste abzulehnen (BAG GS - GS 1/56 - BAGE 3, 66; dem folgend - 2 AZR 457/75 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 28, 233; - 2 AZR 144/87 - zu A III 2 der Gründe; - 5 AZR 616/87 - zu II 2 der Gründe; - 2 AZR 88/93 - zu II 3 der Gründe; im Ergebnis ebenso ErfK/Preis 14. Aufl. § 615 BGB Rn. 62 f.; HWK/Krause 5. Aufl. § 615 BGB Rn. 66 f.; MüArbR/Boewer 3. Aufl. Bd. 1 § 69 Rn. 26 Fn. 208; Konzen/Weber Anm. AP BGB § 615 Nr. 42).
182. Der Begriff der „Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, sodass die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar ist. Eine revisionsrechtlich erhebliche Rechtsverletzung liegt allein dann vor, wenn der Rechtsbegriff selbst verkannt worden ist oder wenn bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist.
193. Das Ergebnis des Landesarbeitsgerichts ist danach nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat - im Anschluss an richtige Erwägungen des Arbeitsgerichts - zutreffend erkannt, dass es im Fall des Klägers nicht um ein einmaliges Delikt der Untreue zulasten der Arbeitgeberin geht, sondern der Kläger über Jahre hinweg immer wieder mit großem Bedacht verdeckt diverse Straftaten zum Nachteil seiner Vertragspartnerin begangen hat. Da der Kläger nach Aufdeckung dieser Taten und Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses sein gesetz- und vertragswidriges Verhalten nicht änderte, vielmehr weiterhin unter täuschendem Deckmantel Untreuehandlungen von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht zum Nachteil der Arbeitgeberin beging, ließ er jede Einsicht in das für einen Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal gebotene Mindestmaß vertragsgemäßen Verhaltens vermissen. Jeder Tag einer weiteren Beschäftigung bedeutete die nicht unerhebliche Gefährdung des Kontostands und damit des Vermögens der Arbeitgeberin. Gerade unter Beachtung des Gebots von Treu und Glauben durfte der Kläger alles, aber nicht mehr über Vermögen der Arbeitgeberin verfügen.
204. Damit war die Schuldnerin während des streitbefangenen Zeitraums nicht zur Zahlung der vertraglichen Vergütung verpflichtet.
21III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 1652 Nr. 27
DStR 2014 S. 12 Nr. 31
NJW 2014 S. 8 Nr. 48
ZAAAE-67676