BAG Beschluss v. - 1 ABR 72/12

Mitbestimmung bei Gefährdungsbeurteilungen - Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs

Gesetze: § 3 BildscharbV, § 5 ArbSchG, § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG, § 87 Abs 2 BetrVG

Instanzenzug: Az: 42 BV 8914/10 Beschlussvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 20 TaBV 188/11 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten in der Rechtsbeschwerde noch über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

2Die Arbeitgeberin betreibt ein Sicherheits- und Überwachungsunternehmen, das sich mit der Bewachung von Konsulats- und Botschaftsliegenschaften der Vereinigten Staaten von Amerika in Berlin befasst. Der Beteiligte zu 2. ist der Betriebsrat des Betriebs „USE Berlin“.

3Im April 2007 wurde dort eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit“ eingesetzt. Im Anschluss an deren zwölfte Sitzung unterzeichneten die Betriebsparteien im Mai 2009 eine „Zwischenvereinbarung über die Durchführung der Gefährdungsanalyse an Bildschirmarbeitsplätzen“. Darin ist bestimmt:

4In der Anlage 1 zu dieser Zwischenvereinbarung sind die Arbeitnehmer der Standorte, an denen die Grobanalyse durchgeführt werden soll, namentlich bezeichnet. In der Anlage 2 ist aufgeführt, in welchen Schritten die Grobanalyse erfolgt. Hiernach sollte der beauftragte Sachverständige Fragebögen austeilen und diese anschließend auswerten. Soweit erforderlich, sollte sich eine Feinanalyse anschließen. Für den Fall, dass sich die Betriebsparteien hierauf nicht verständigten, sollte auf Antrag eines der Beteiligten die Einigungsstelle im Rahmen ihrer fortbestehenden Zuständigkeit entscheiden.

5Nach der Durchführung der Grobanalyse wurde der Standort S Straße geschlossen und die dort vorhandenen Arbeitsplätze in das Konsulat in der Callee verlegt. Der Standort Pstraße wurde aufgegeben und die dortigen Arbeitsplätze in die Betriebsstätte Fstraße verlagert.

6Im Juli 2009 unterrichtete der Sachverständige die Einigungsstelle über die Ergebnisse seiner Befragung. Hierbei seien Mängel an den Baulichkeiten in der S Straße festgestellt worden, die sich durch den vorgesehenen Umzug in neue Räume verringern könnten. Im Hinblick auf festgestellte Probleme im Modul Arbeitstätigkeit seien für einzelne Bereiche ein- bis zweitägige Workshops zu empfehlen. Nachdem sich die Beteiligten hierauf nicht verständigen konnten, verpflichtete die Einigungsstelle in der 16. Sitzung vom die Arbeitgeberin durch mehrheitlich gefassten Spruch, eine Feinanalyse nach näheren Maßgaben durchzuführen.

7Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der Spruch vom sei unwirksam, weil die Einigungsstelle nicht genügend berücksichtigt habe, dass es zwischenzeitlich zu Umzügen und Standortveränderungen gekommen sei.

8Die Arbeitgeberin hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - beantragt

9Der Betriebsrat hat Antragsabweisung beantragt.

10Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihm entsprochen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Abweisungsantrag weiter.

11B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin zu Recht stattgegeben.

12I. Der Antrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig. Die Arbeitgeberin hat in der Antragsschrift und im weiteren Verlauf des Verfahrens geltend gemacht, die Einigungsstelle habe den Beschluss nicht fassen dürfen, weil es an der für die Durchführung einer Feinanalyse notwendigen vollständigen Grobanalyse der Arbeitsplätze fehle. Damit wendet sie sich nicht gegen die Zuständigkeit der Einigungsstelle, sondern gegen die in dem Spruch getroffene Regelung. Zu Recht beantragt die Arbeitgeberin daher die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs und nicht dessen Aufhebung, da eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung hat ( - Rn. 12, BAGE 136, 353).

13II. Der Antrag der Arbeitgeberin ist begründet. Der Einigungsstellenspruch vom ist unwirksam.

141. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezieht sich dabei auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren (Fitting 27. Aufl. § 87 Rn. 279). Hierdurch soll im Interesse der betroffenenArbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist dabei, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen. Daher hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG auch ein Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG und § 3 BildscharbV ( - zu B I 2 b aa und bb der Gründe, BAGE 111, 36). Die Gefährdungsbeurteilung ist ein zentrales Element des Gesundheitsschutzes und notwendige Voraussetzung für die betriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers ( - Rn. 19, BAGE 136, 353). Kommt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat keine Vereinbarung über die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen zustande, hat gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle zu entscheiden. Das Verfahren vor der Einigungsstelle dient dazu, die regelungsbedürftige Angelegenheit im Rahmen der gestellten Anträge vollständig zu lösen. Ein Einigungsstellenspruch ist demzufolge unwirksam, wenn die Einigungsstelle ihrem Regelungsauftrag nicht ausreichend nachkommt und keine abschließende Regelung trifft ( - Rn. 20, BAGE 136, 353).

152. Nach diesen Grundsätzen ist der Einigungsstellenspruch vom unwirksam. Er führt die regelungsbedürftige Angelegenheit nicht zu einer abschließenden Lösung.

16a) Die Einigungsstelle hatte zunächst den Auftrag, Regelungen zum Thema „Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit“ zu treffen. Nach einer Vielzahl erfolgloser Verhandlungsrunden haben sich die Betriebsparteien in der zwölften Einigungsstellensitzung darauf verständigt, für einen personell und räumlich abgegrenzten Teilbereich eine Gefährdungsanalyse an den dort befindlichen Bildschirmarbeitsplätzen nach einer näher bezeichneten Untersuchungsmethode durchzuführen. Damit haben die Betriebsparteien den ursprünglichen Regelungsgegenstand einvernehmlich beschränkt. Sie haben für einen näher bezeichneten Bereich bestimmt, dass nach einer Grobanalyse der Arbeitsplätze eine Feinanalyse zu erfolgen habe, soweit dies erforderlich sei. Für den Fall, dass hierzu kein Einvernehmen erzielt werde, solle auf Antrag eines der Beteiligten die Einigungsstelle im Rahmen ihrer fortbestehenden Zuständigkeit hierüber entscheiden. Damit hatte die Einigungsstelle vorliegend den Auftrag, abschließend zu beschließen, in welchem Umfang aufgrund der Ergebnisse der Grobanalyse eine Feinanalyse an den in der Zwischenvereinbarung vom festgelegten Arbeitsplätzen zu erfolgen hat.

17b) In der 13. Sitzung der Einigungsstelle vom hat der mit der Grobanalyse beauftragte Sachverständige die Ergebnisse der Befragung der Arbeitnehmer präsentiert und für einzelne Bereiche Handlungsbedarf festgestellt. Nachdem sich die Beteiligen im Anschluss daran jedoch nicht über das weitere Vorgehen verständigen konnten, beantragte der Betriebsrat entsprechend der Zwischenvereinbarung vom eine Entscheidung der Einigungsstelle. Ihrem am gefassten Spruch hat die Einigungsstelle die Ergebnisse der Grobanalyse des Sachverständigen zugrunde gelegt. Sie hat dabei auch in den Blick genommen, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Arbeitsplätze in der S Straße weggefallen sind und von dort in den Bereich des Konsulats der USA in der Callee verlegt wurden. Sie hat des Weiteren nicht außer Acht gelassen, dass die vormals in der Pstraße beschäftigten Mitarbeiter zwischenzeitlich nach Aufgabe des dortigen Arbeitsorts in die Fstraße versetzt wurden. In dem Spruch versucht die Einigungsstelle diesen räumlichen Veränderungen allein dadurch Rechnung zu tragen, dass sie bei den Ausführungsbestimmungen den vom Sachverständigen festgestellten Handlungsbedarf in der S Straße unberücksichtigt lässt. Damit hat sie jedoch nicht beachtet, dass in den neuen Räumen in der Callee nach den im Protokoll der 13. Einigungsstellensitzung vom festgehaltenen Erklärungen der Beteiligten die dortigen Einrichtungsgegenstände vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt worden sind und es hierzu noch keine Grobanalyse gibt. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob diesbezüglich eine nachfolgende Feinanalyse erforderlich ist. Dies ist auch weder offenkundig noch näher dargelegt. Ebenso hat die Einigungsstelle in ihrem Beschluss vom unberücksichtigt gelassen, dass sich aufgrund der erfolgten Umzüge in Bezug auf den Gegenstand „Arbeitstätigkeit“ Veränderungen der Umgebungsbelastung ergeben haben. Dies betrifft die in der Grobanalyse angesprochenen Themen „Lärm, Klima und Beleuchtung“. Entsprechendes gilt für die Zusammenarbeit der Arbeitnehmer sowie die in der Grobanalyse angeführte „soziale Rückendeckung“ unter den Kollegen und in Bezug auf Vorgesetzte. Auch insoweit fehlt eine Grobanalyse als Voraussetzung für eine etwaig nachfolgende Feinanalyse. Damit hat die Einigungsstelle durch ihren Spruch vom ihren Regelungsauftrag nicht vollständig erfüllt, sondern wesentliche Fragen unbeantwortet gelassen.

183. Die aufgezeigten Mängel des Einigungsstellenspruchs führen nach dem der Vorschrift des § 139 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken zur vollständigen Unwirksamkeit des Spruchs. Die vom Betriebsrat angeregte teilweise Aufrechterhaltung des Einigungsstellenspruchs ist ausgeschlossen, weil wesentliche Aspekte der Gefährdungsbeurteilung fehlen.

Fundstelle(n):
DB 2014 S. 1498 Nr. 26
NJW 2014 S. 8 Nr. 44
TAAAE-67250