Notwendige Beiladung des Sozialleistungsträgers zur Klage des Kindergeldberechtigten gegen den Abrechnungsbescheid
Gesetze: FGO § 60 Abs. 3, EStG § 74 Abs. 2, SGB X § 103, SGB X § 104, SGB X § 107, SGB X 112, SGB X § 113
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Familienkasse F setzte gegenüber dem Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) durch Bescheid vom Kindergeld für das Kind K fest und sprach gleichzeitig aus, dass der Anspruch des Klägers nach § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 107 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) als erfüllt gelte. Das Kindergeld in Höhe von 7.700 € zahlte die Familienkasse F an die Beigeladene und Beschwerdeführerin (Beigeladene) aus, die einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 103, 104 SGB X geltend gemacht hatte.
2 Den Einspruch des Klägers vom wies die Familienkasse F durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die am erhobene Klage, über die noch nicht entschieden ist. Bereits in der Klageerwiderung vom beantragte die Familienkasse F, die Beigeladene zum Verfahren beizuladen. Der Kläger erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme.
3 Mit Schreiben vom teilte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit, dass aufgrund der Neuorganisation der Familienkassen zum ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel erfolgt sei.
4 Durch Beschluss vom lud das Finanzgericht (FG) die Beigeladene zum Verfahren bei. Zur Begründung führte das FG aus, es liege ein Fall notwendiger Beiladung vor, weil im Fall der Erstattung nach § 74 Abs. 2 EStG die Entscheidung über den Abrechnungsbescheid gegenüber dem Kindergeldberechtigten und dem Erstattungsberechtigten nur einheitlich ergehen könne.
5 Mit Schreiben vom beantragte die Beigeladene, den Beiladungsbeschluss aufzuheben. Ein eventueller Rückzahlungsanspruch sei gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X verjährt und außerdem auch verwirkt. Die Beigeladene habe mit Schreiben vom ein Schreiben der Familienkasse F vom beantwortet, worauf sich die Familienkasse F nicht mehr gemeldet habe.
6 Das FG hat am beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen.
7 Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Berufung der Beigeladenen auf Verjährung oder Verwirkung sei rechtsmissbräuchlich.
8 Die Familienkasse beantragt ebenfalls, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Beigeladenen sei seit 2008 bekannt, dass ein Rechtstreit anhängig sei.
9 II. 1. Die Zuständigkeit des beschließenden Senats ergibt sich aus Teil A XI. Senat Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans (GVPL) des Bundesfinanzhofs (BFH); danach ist der XI. Senat u.a. zuständig für Kindergeld, einschließlich die Rückforderung, Erhebung von Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) mit den Anfangsbuchstaben H bis K, mit Ausnahme der —vorliegend nicht einschlägigen— Nr. 4 Buchst. d Doppelbuchst. bb beim III. Senat. Die Zuständigkeit des VII. Senats des BFH ist nicht gegeben; denn Rechtsfragen der Erhebung von Kindergeld werden durch Teil A VII. Senat Nr. 5 Buchst. c GVPL von dessen allgemeiner Zuständigkeit für Abrechnungsbescheide ausdrücklich ausgenommen. Die Zuständigkeit des XI. Senats erstreckt sich gemäß Teil A Ergänzende Regelungen unter III. GVPL auch auf Nebenverfahren und Fragen der Finanzgerichtsordnung (FGO).
10 2. Die Beschwerde der Beigeladenen ist zwar zulässig (vgl. BFH-Beschlüsse vom II B 108/86, BFHE 148, 444, BStBl II 1987, 267; vom IX B 34/93, BFH/NV 1994, 114), aber unbegründet. Das FG hat zu Recht die Beigeladene zum Verfahren notwendig beigeladen.
11 a) Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO hat eine Beiladung zu erfolgen, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (notwendige Beiladung). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (vgl. z.B. , BFH/NV 2013, 1242, m.w.N.; Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 60 FGO Rz 43 ff.; Gräber/Levedag, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 60 Rz 23 ff.; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Rz 19 ff.).
12 b) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des BFH der betroffene Sozialleistungsträger zum Klageverfahren eines Kindergeldberechtigten gegen einen Abrechnungsbescheid notwendig beizuladen ist, wenn die Familienkasse das Kindergeld aufgrund eines geltend gemachten Erstattungsanspruchs an den Sozialleistungsträger ausgezahlt und dem Kindergeldberechtigten durch Abrechnungsbescheid mitgeteilt hat, sein Anspruch auf Kindergeld gelte als erfüllt (vgl. BFH-Beschlüsse vom III R 33/05, BFH/NV 2007, 720; vom III R 87/06, juris; in BFH/NV 2013, 1242; s.a. Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 74 EStG Rz 16; Blümich/Treiber, § 74 EStG Rz 52).
13 Der Anspruch des Klägers gilt nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen besteht. Kommt das FG hingegen zu dem Ergebnis, dass kein Erstattungsanspruch besteht, hat die Beigeladene die von der Familienkasse gezahlten Beträge gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 112 SGB X grundsätzlich zurückzuerstatten. Diese Ansprüche hängen nach der bezeichneten Rechtsprechung des BFH so eng miteinander zusammen, dass eine Entscheidung gegenüber dem Kindergeldberechtigten und dem Erstattungsberechtigten nur einheitlich ergehen kann.
14 c) Soweit sich die Beigeladene gegenüber dem Kläger und der Familienkasse auf eine angebliche Verjährung und Verwirkung beruft, ist dies für die Frage der Beiladung schon deshalb irrelevant, weil —von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen (vgl. dazu z.B. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 60 FGO Rz 13, 93; Leipold in HHSp, § 60 FGO Rz 45 f.; Gräber/Levedag, a.a.O., § 60 Rz 12, 32 f.)— die Erfolgsaussichten der Klage bei der Entscheidung über die Beiladung außer Betracht zu bleiben haben; maßgeblich ist nicht, wie, sondern ob das Gericht über eine einheitlich zu entscheidende Frage zu befinden hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 74/02, BFH/NV 2003, 195; vom VII B 243/05, BFHE 216, 18, BStBl II 2008, 436; , BFHE 102, 460, BStBl II 1971, 714; vom VIII R 206/84, BFH/NV 1991, 692; s.a. zur möglicherweise eingetretenen Verjährung bei Beiladung nach § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung BFH-Beschlüsse vom VIII B 20/95, BFH/NV 1996, 524; vom XI B 16/00, BFH/NV 2002, 308; vom III B 149/09, BFH/NV 2011, 404). Dies ist hier, wie dargelegt, gemäß der Rechtsprechung des BFH der Fall.
15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO. Von einer Kostenentscheidung ist lediglich dann abzusehen, wenn über einen Beiladungsbeschluss im Beschwerdeverfahren im Sinne des Beschwerdeführers entschieden wird. Für ein erfolgloses Beschwerdeverfahren ist jedoch eine Kostenentscheidung zu treffen (z.B. BFH-Beschlüsse vom VI B 57/03, BFH/NV 2005, 71; vom IV B 108/11, BFH/NV 2012, 1620, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1223 Nr. 8
WAAAE-66319