BAG Urteil v. - 9 AZR 765/12

Urlaub - tarifliche Kürzungsbestimmung bei Ausscheiden im Kalenderjahr

Gesetze: § 5 Abs 1 Buchst c BUrlG, § 1 BUrlG, § 3 BUrlG, § 13 Abs 1 S 1 BUrlG, § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 19 Ca 300/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 5 Sa 7/12 Urteil

Tatbestand

1Die Revisionsbeklagte begehrt als (Allein-)Erbin der am verstorbenen T (Erblasserin) von der Beklagten die Abgeltung von 6 Urlaubstagen.

2Die als schwerbehindert anerkannte Erblasserin war vom bis zum bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als Ärztin in Vollzeit an fünf Tagen in der Woche beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtete sich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme ua. nach dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten (Arbeitnehmer/innen und Auszubildende) der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) und des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) vom idF des 14. Änderungstarifvertrags vom (MDK-T).

3Der MDK-T lautet auszugsweise wie folgt:

4Die Beklagte gewährte der Erblasserin im Jahr 2011 insgesamt 25 Tage Urlaub. Eine weiter gehende Urlaubsgewährung lehnte sie ab.

5Die Erblasserin hat gemeint, ihr hätten im Jahr 2011 insgesamt 31 Urlaubstage zugestanden, nämlich 20 Tage gesetzlicher Mindesturlaub, 5 Tage Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 SGB IX und (aufgerundet) weitere 6 Tage gemäß § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 2 MDK-T (10 Tage tariflicher Mehrurlaub / 12 Monate x 7 Monate = 5,83 Tage). Die Zwölftelungsregelung des § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T sei ausschließlich auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden. Die Beklagte habe daher noch 6 Urlaubstage abzugelten.

6Die Erblasserin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.633,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem zu zahlen.

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zwölftelungsregelung sei nicht lediglich auf den zusätzlichen tariflichen Mehrurlaub von 10 Tagen im Jahr zu beschränken. Die Tarifvertragsparteien hätten gerade nicht ausschließlich eine Regelung über einen zusätzlichen Urlaub getroffen, sondern einen einheitlichen tariflichen (Urlaubs-)Anspruch geregelt.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage zunächst durch Versäumnisurteil vom stattgegeben. Nach form- und fristgerechtem Einspruch der Beklagten hat es mit Urteil vom das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

9A. Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

10Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Revisionsbeklagte hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Abgeltung weiteren Urlaubs für das Jahr 2011 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG iVm. § 1922 Abs. 1 BGB.

11I. Die Erblasserin erwarb zu Beginn des Jahres 2011 einen Anspruch auf 30 Urlaubstage gemäß § 28 Abs. 1 MDK-T sowie auf 5 Tage gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX.

12II. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen der Erblasserin und der Beklagten zum verringerte sich der Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T auf insgesamt 25 Tage, bestehend aus 20 Tagen gesetzlicher Mindesturlaub und 5 Tagen Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Dieser Urlaubsanspruch war durch Gewährung im Jahr 2011 gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.

131. Arbeitnehmern, die wie die Erblasserin im Laufe eines Kalenderjahres ausscheiden, steht nach § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T nur 1/12 des Jahresurlaubs iHv. 30 Tagen je vollen Monat der Beschäftigung zu. Dies wären für die am ausgeschiedene Erblasserin rechnerisch 17,5 Tage und nach Aufrundung gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 MDK-T 18 Tage. Allerdings waren der gesetzliche Mindesturlaub iHv. 20 Tagen (§§ 1, 3 BUrlG) und der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte (§ 125 SGB IX) zugunsten der Erblasserin bereits zu Beginn des Jahres 2011 entstanden. Aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG hat die Rechtsprechung den Umkehrschluss hergeleitet, dass eine Zwölftelung des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 13 BUrlG bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der zweiten Jahreshälfte nach erfüllter Wartezeit unzulässig sei ( - Rn. 21). Dementsprechend wäre es den Tarifvertragsparteien des MDK-T gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verwehrt, den gesetzlichen Urlaubsanspruch nach dem BUrlG nach erfüllter Wartezeit zu kürzen.

14a) Entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten führt diese Rechtsprechung nicht dazu, dass bei der Berechnung des Urlaubs nach § 29 Abs. 2 MDK-T der gesetzliche Mindesturlaub nicht gekürzt wird und die tarifliche Kürzungsregelung nur den tariflichen Mehrurlaub betrifft. Dies würde vorliegend bedeuten, dass zu den ungekürzten 20 Tagen gesetzlicher Mindesturlaub gekürzte 6 Tage tariflicher Mehrurlaub hinzutreten würden (10 Tage x 7/12 = 5,8 Tage = aufgerundet 6 Tage).

15b) Diese Auffassung verkennt, dass der gesetzliche Mindesturlaub und der tarifliche Mehrurlaub zusammen zu betrachten sind. Der tarifliche Urlaubsanspruch, wonach der Erholungsurlaub in jedem Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer 30 Arbeitstage beträgt, ist gegenüber dem gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub kein eigenständiger Anspruch, soweit sich beide Ansprüche decken ( - Rn. 14, BAGE 143, 1). Der Senat hat insofern in ständiger Rechtsprechung die Auslegungsregel aufgestellt, für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen tariflichen Ansprüchen unterscheide, müssten deutliche Anhaltspunkte bestehen (vgl.  - Rn. 25 mwN, BAGE 137, 328). Solche Anhaltspunkte sind im MDK-T nicht ersichtlich. Sämtliche Urlaubsregelungen differenzieren nicht zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub. Insbesondere die §§ 28, 29 MDK-T enthalten keine Differenzierung, sondern gewähren einen einheitlichen Jahresurlaubsanspruch von 30 Tagen. Deshalb ist die Kürzung zunächst auf den Gesamturlaub anzuwenden.

16c) Soweit dadurch der tarifliche Mehrurlaub von der Kürzung betroffen ist, steht dem Erlöschen des Mehrurlaubs bei einem unterjährigen Ausscheiden durch § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T weder § 13 Abs. 1 BUrlG noch Unionsrecht entgegen. Diesen Mehrurlaub können die Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei regeln. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht (vgl.  - Rn. 15; - 9 AZR 128/09 - Rn. 19 mwN, BAGE 134, 1).

17d) Soweit § 29 Abs. 2 Satz 1 MDK-T wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BUrlG iVm. § 134 BGB und wegen Eingriffs in den gesetzlich und unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaub unwirksam sein kann, wäre die Regelung gemäß § 139 BGB insoweit aufrechtzuerhalten (vgl.  - Rn. 27, BAGE 137, 328), als sie bei einem Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte den gesetzlichen Mindesturlaub nicht kürzen würde. Die Tarifvertragsparteien wollten erkennbar bei einem unterjährigen Ausscheiden eine Kürzung des gesamten 30-tägigen Urlaubsanspruchs herbeiführen. Dies bedeutet, dass sich für die Erblasserin der Urlaubsanspruch für das Jahr 2011 nicht auf 18 Tage, sondern auf 20 Tage Urlaub reduziert hat.

182. Der der Erblasserin für das Jahr 2011 zustehende gesetzliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bleibt von der Kürzungsregelung des § 29 Abs. 2 MDK-T unberührt. Die Tarifvertragsparteien haben keine Regelung zum Zusatzurlaub für Schwerbehinderte getroffen.

19B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1, § 344 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1333 Nr. 22
YAAAE-65864