BAG Urteil v. - 5 AZR 680/12

Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay")

Gesetze: § 1 TVG, § 9 Nr 2 AÜG, § 10 Abs 4 AÜG, § 13 AÜG, Art 3 Abs 1 Buchst f EGRL 104/2008, Art 3 Abs 1 Buchst i EGRL 104/2008

Instanzenzug: ArbG Mainz Az: 6 Ca 755/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 9 Sa 24/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des „equal pay“.

2Der 1962 geborene Kläger ist seit dem bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und seither einem Unternehmen des R-Konzerns als Stromableser überlassen. Der Kläger erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 10,51 Euro, der sich über 10,63 Euro, 10,83 Euro und 11,05 Euro auf 11,43 Euro steigerte, um ab Mai 2011 auf 10,41 Euro zu sinken.

3Dem Arbeitsverhältnis lag zunächst ein Formulararbeitsvertrag vom zugrunde, in dem es ua. heißt:

4Am schlossen die Parteien rückwirkend zum eine von der Beklagten vorformulierte „Zusatzvereinbarung“, die lautet:

5Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am eingereichten Klage für den Zeitraum Januar 2008 bis Juli 2011 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt. Mit Klageerweiterung vom fordert er Differenzvergütung für Überstunden. Zur Höhe des Anspruchs hat er sich unter Vorlage einer von der R AG erteilten Auskunft nach § 13 AÜG darauf berufen, im Entleiherunternehmen gölten Mantel- und Vergütungstarifvertrag der Tarifgruppe RWE. Seine Tätigkeit bei der Entleiherin unterfalle entsprechend der Auskunft der Vergütungsgruppe B 2 MTV RWE. Vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten zudem eine jährliche Sonderzuwendung und ein Weihnachtsgeld, nicht durch Freizeit ausgeglichene Überstunden würden vergütet.

6Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, ein Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt sei nicht entstanden, zumindest verfallen. Zudem habe der Kläger die Höhe des Anspruchs nicht ausreichend dargelegt. Auf die von der R AG erteilte Auskunft könne er sich nicht stützen, weil diese nicht Entleiherin sei.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

9Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährte (I.). Der Kläger musste keine Ausschlussfristen einhalten (II.). In welcher Höhe dem Kläger Differenzvergütung zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (III.).

10I. Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1 Arbeitsvertrag verweist auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP unwirksame Tarifverträge. Die in sich widersprüchliche und damit unverständliche Zusatzvereinbarung vom , die eine „Ersetzung“ der CGZP durch einen „Tarifpartner CGB“, der als solcher nicht Tarifvertragspartei ist, suggeriert, ist mit dem von der Beklagten gewollten Inhalt der Bezugnahmeklausel intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl.  - Rn. 11 ff., 18; - 5 AZR 954/11 - Rn. 26 ff.).

11II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.

121. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der CGZP oder aus den nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen Tarifverträgen zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) und Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbunds vom (fortan: AMP-TV 2010) einzuhalten. Derartige „tarifliche“ Ausschlussfristenregelungen sind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (vgl.  - Rn. 21 f.). Etwas anderes ergibt sich nicht aus Nr. 14 Arbeitsvertrag. Diese Klausel regelt lediglich eine mögliche Kollision von arbeitsvertraglicher und tarifvertraglicher Ausschlussfrist (vgl.  - Rn. 40; - 5 AZR 778/12 - Rn. 14 ff.; - 5 AZR 556/12 - Rn. 14).

132. Ob Nr. 14 Arbeitsvertrag eine eigenständige, bei Unwirksamkeit der in Bezug genommenen „Tarifverträge“ oder bei einer unwirksamen Bezugnahme auf Tarifverträge zum Tragen kommende vertragliche Ausschlussfristenregelung enthält, kann dahingestellt bleiben. Als solche würde sie einer AGB-Kontrolle nicht standhalten. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl.  - BAGE 115,19; - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66).

14III. In welcher Höhe dem Kläger Differenzvergütung zusteht, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Das führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Im erneuten Berufungsverfahren wird Folgendes zu beachten sein:

151. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unerheblich, ob die Entleiherin tatsächlich vergleichbare Stammarbeitnehmer beschäftigt. Wendet der Entleiher in seinem Betrieb ein allgemeines Entgeltschema an, kann auf die fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in dieses Entgeltschema abgestellt werden. Maßstab ist in diesem Fall das Arbeitsentgelt, das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre. Das gebietet schon die unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 AÜG im Lichte des Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Leiharbeit (fortan: RL). Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt, dass nach nationalem Recht der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt entfallen soll, wenn der Entleiher für eine bestimmte Tätigkeit nur noch Leih-, aber keine Stammarbeitnehmer mehr beschäftigt ( - Rn. 24 mwN).

16Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass - entsprechend der von der R AG erteilten Auskunft - im R-Konzern ein allgemeines Entgeltschema, nämlich die Tarifverträge der Tarifgruppe RWE, Anwendung findet. Maßgeblich ist damit das Entgelt, dass der Kläger erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit bei der Entleiherin angestellt worden wäre.

172. Der Kläger kann sich für die Darlegung des Entgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer auf die Auskunft der R stützen, die diese - auch wenn nicht sie, sondern die R GmbH Entleiherin gewesen sein sollte - „zuständigkeitshalber“ erteilt hat.

18Die Auskunft nach § 13 AÜG ist eine Wissenserklärung. Die Auskunftspflicht trifft zunächst die Entleiherin selbst, also diejenige natürliche oder juristische Person, in deren Betrieb der Leiharbeitnehmer eingesetzt wird. Das Gesetz hindert den Entleiher aber nicht, zur Erstellung und Bekanntgabe der Auskunft Hilfspersonen hinzuzuziehen, sofern diese über das für eine ordnungsgemäße Auskunft erforderliche Wissen verfügen (vgl. allgemein  - Rn. 15). Insbesondere können - wie im Streitfall - konzernverbundene Unternehmen, die die Personalverwaltung für die Entleiherin wahrnehmen, mit der Auskunftserteilung betraut oder ein Arbeitgeberverband eingeschaltet werden (vgl.  - Rn. 36, BAGE 137, 249).

19Deshalb ist es im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast Sache der Beklagten, die Auskunft zu erschüttern (vgl.  - Rn. 22). Dazu hat sie - bislang - keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, die Tätigkeit des Klägers im Streitzeitraum habe nicht seiner der Auskunft zugrunde gelegten „aktuellen“ Tätigkeit entsprochen. Nachgehen müssen wird das Landesarbeitsgericht aber - sofern es sich dabei nicht um eine Behauptung ins Blaue hinein handelt - dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, „eine Vergütung nach B 2 nehme R nicht vor, soweit Mitarbeiter nicht über eine Inkassovollmacht verfügen“. Sollte die Beklagte die Auskunft insoweit erschüttern, wird der die Auskunft ergänzende Sachvortrag des Klägers zu den Eingruppierungsvoraussetzungen der Vergütungsgruppe B 2 MTV RWE und deren tatsächlicher Handhabung bei der Entleiherin zu werten sein.

203. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen.

21a) Dabei hat der Kläger zu Recht Leistungen wie eine Weihnachtszuwendung (§ 10 MTV RWE) und eine Sonderzuwendung (§ 11 MTV RWE) sowie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 15 Nr. II. 1.1 MTV RWE) und an Feiertagen (§ 2 Abs. 1 EFZG) in den Gesamtvergleich einbezogen. Denn der Begriff des Arbeitsentgelts in § 10 Abs. 4 AÜG ist, wie die beispielhafte Aufzählung in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/25 S. 38) belegt, weit auszulegen. Zu ihm zählt nicht nur das laufende Arbeitsentgelt, sondern jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird bzw. aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss ( - Rn. 27 mwN).

22Auch Urlaubsentgelt ist zu berücksichtigen. Denn Urlaub ist ein in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f, i RL genannter Regelungsgegenstand und damit eine wesentliche, dem Gebot der Gleichbehandlung unterliegende Arbeitsbedingung iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Gewährt der Verleiher dem Leiharbeitnehmer während des Zeitraums einer Überlassung Urlaub, berechnet sich das Urlaubsentgelt nach den dafür beim Entleiher anzuwendenden Bestimmungen ( - Rn. 34). Im Streitfall sind dies die Regelungen zur Urlaubsvergütung in § 13 Nr. III. MTV RWE.

23b) Zutreffend hat der Kläger als Ausgangspunkt für die Berechnung der Differenzvergütung zuletzt ein Monatsgehalt angesetzt. Stammarbeitnehmer erhalten auf der Grundlage ihrer Eingruppierung nach § 16 MTV RWE in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag ein Monatsgehalt. Deshalb richtet sich der Anspruch des Klägers aus § 10 Abs. 4 AÜG auf ein Monatsgehalt und verbietet sich das „Herunterrechnen“ auf einen - fiktiven - Stundenlohn ( - Rn. 32). Dem steht § 22 Nr. 12 MTV RWE nicht entgegen. Die dortige Umrechnungsformel bezieht sich nur auf Fälle, in denen die geschuldete Monatsvergütung in eine Stundenvergütung umzurechnen bzw. eine Stundenvergütung geschuldet oder Bezugsgröße ist, wie etwa bei der Vergütung von Mehrarbeitsstunden (§ 5 Nr. 5 MTV) oder der Berechnung von Zeitzuschlägen (§ 6 Nr. 1 MTV RWE). Sie wird aber nicht eingesetzt, um die tarifliche Monatsvergütung in einen Stundenlohn umzuwandeln. Ein solches Vorgehen widerspräche dem tariflichen Ziel einer gleichbleibenden monatlichen Vergütung, weil Arbeitnehmer dann abhängig von der Anzahl der Arbeitstage im jeweiligen Monat unterschiedlich vergütet würden.

24Es wird deshalb im erneuten Berufungsverfahren nach Feststellung der tariflichen Vergütungsgruppe, nach der der Kläger von der Entleiherin bei unmittelbarer Tätigkeit für diese vergütetet worden wäre, weiter - gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - zu ermitteln sein, ob der Kläger für die bei der Entleiherin zu beanspruchende Monatsvergütung die dort geschuldete regelmäßige Arbeitszeit (§ 4 MTV RWE) erbracht bzw. durch gesetzliche Entgeltfortzahlungstatbestände „abgedeckt“ hat. Das Vorbringen des Klägers, mindestens 38 Wochenstunden in diesem Sinne geleistet zu haben, könnte seine Bestätigung darin finden, dass sich trotz einer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden die Dauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit nach den im Kundenbetrieb geltenden Bestimmungen richtet, Nr. 5 Abs. 3 Arbeitsvertrag.

25c) Hat der Kläger nach den von der Beklagten abgerechneten und damit streitlos gestellten Stunden Mehrarbeit iSv. § 5 MTV RWE geleistet - was bislang allerdings nicht ausreichend substantiiert dargelegt ist -, kann er dafür Differenzvergütung nach den tariflich vorgesehenen Regeln beanspruchen. Der Abgeltung von Mehrarbeit kann die Beklagte nicht den Vorrang von Freizeitausgleich (§ 5 Nr. 4 MTV RWE) entgegenhalten, wenn sie keinen Freizeitausgleich gewährt, sondern die Mehrarbeitsstunden - wenn auch zu niedrig - vergütet hat.

Fundstelle(n):
VAAAE-64802