Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammen veranlagten Ehegatten und bei Gesellschafter-Geschäftsführern
1. Vorwegabzug bei zusammen veranlagten Ehegatten
Nach dem , BStBl 2004 I S. 848, eröffnet bei der Umsetzung der BStBl 2004 II S. 709, und vom , BStBl 2004 II S. 720, der Vorläufigkeitsvermerk nach Nr. 1 der Anlage zum (AO-Kartei ST § 165 AO Karte 1) keine eigenständige Änderungsmöglichkeit (siehe auch unter ZOFF – Kurzinfo ESt 07/2004). Etwas anderes soll nur gelten, wenn der Steuerpflichtige durch irreführende Äußerungen des Finanzamts von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgehalten worden ist (vgl. , zur AL-Fest Fach ESt).
2. Vorwegabzug bei Alleingesellschafter-Geschäftsführern
Nach dem BStBl 2004 I S. 582, eröffnet bei der Umsetzung des BStBl 2004 II S. 546, der Vorläufigkeitsvermerk nach Nr. 1 der Anlage zum (AO-Kartei ST § 165 AO Karte 1) keine eigenständige Änderungsmöglichkeit (siehe auch unter Kurzinfo ESt 04/2006). Etwas anderes soll nur gelten, wenn der Steuerpflichtige durch irreführende Äußerungen des Finanzamts von der Einlegung eines Rechtsbehelfs abgehalten worden ist.
3. Einwendungen von Steuerpflichtigen
Vermehrt wenden Steuerpflichtige ein, wegen der Formulierung in der Anlage zum in der Fassung vom , BStBl 2003 I S. 482, seien sie davon ausgegangen, der Vorläufigkeitsvermerk umfasse auch die Frage, ob bei zusammen veranlagten Ehegatten die Kürzung des Vorwegabzugs selbst dann vom zusammengerechneten Arbeitslohn beider Ehegatten vorzunehmen ist, wenn nur für einen Ehegatten steuerfreie Zukunftssicherungsleistungen erbracht worden sind oder nur ein Ehegatte zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Zudem wird vorgetragen, wegen der allgemeinen Fassung des Vorläufigkeitsvermerks sei davon ausgegangen worden, auch die Gesellschafter-Geschäftsführerfälle seien vom Vorläufigkeitsvermerk erfasst.
4. Weiteres Vorgehen
Die Frage, ob in den o. g. Fällen eine ‚Änderung aus Billigkeitsgründen‘ erfolgen kann, ist von den AO-Referenten der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder anlässlich der Sitzung AO IV/2004 im Dezember nochmals erörtert worden. Danach gilt Folgendes:
Umfang des Vorläufigkeitsvermerks
Die Vertreter des Bundes und der Länder hatten im Jahr 2002 klargestellt, dass der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich § 10 Abs. 3 EStG nur die Frage erfasst, ob die Verwaltungsauffassung gegen das Grundgesetz verstößt. Demgegenüber erstreckt sich der Vorläufigkeitsvermerk nicht auf ‚einfachgesetzliche‘ Fragen wie beispielsweise die Frage, ob bei zusammen veranlagten Ehegatten die Kürzung des Vorwegabzugs auch dann vom zusammengerechneten vollen Arbeitslohn beider Ehegatten vorzunehmen ist, wenn nur für einen Ehegatten steuerfreie Zukunftssicherungsleistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder nur ein Ehegatte zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört hat.
Diese Meinung hat der BFH/NV 2004, 1064, bestätigt. Danach ist die zusätzliche Benennung des § 10 Abs. 3 EStG rechtlich unerheblich; sie erweitert nicht den Umfang der Vorläufigkeit. § 165 Abs. 1 AO sieht eine vorläufige Festsetzung hinsichtlich ungeklärter Fragen des einfachen Rechts nicht vor.
‚Irreführende Äußerungen‘ der Finanzbehörden
Gleichwohl besteht eine Änderungsmöglichkeit wegen ‚einfachgesetzlicher Fragen‘, wenn eine ‚irreführende‘ Äußerung der Finanzbehörde vorliegt. Sollte die Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen den unzutreffenden Eindruck erweckt haben, auf Grund des Vorläufigkeitsvermerks könne der Einkommensteuerbescheid (zu seinen Gunsten) geändert werden, falls der BFH in den Fällen des Alleingesellschafter-Geschäftsführers oder der zusammen veranlagten Ehegatten gegen die Verwaltung entscheiden sollte, und hat
der Steuerpflichtige deswegen von der Einlegung eines Einspruchs abgesehen oder einen bereits eingelegten Einspruch zurückgenommen oder hat
das Finanzamt einen eingelegten Einspruch mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen,
ist wie folgt zu verfahren:
Wurde der Steuerpflichtige von der Einlegung eines Einspruchs abgehalten und ist die Jahresfrist im Sinne des § 110 Abs. 3 AO noch nicht abgelaufen, ist ihm zur Eröffnung der Einspruchsmöglichkeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) zu gewähren.
Bei einer durch eine ‚irreführende Äußerung‘ bewirkten Rücknahme eines Einspruchs ist deren Unwirksamkeit festzustellen und das Rechtsbehelfsverfahren fortzusetzen, wenn die Jahresfrist im Sinne des § 362 Abs. 2 Satz 2 AO noch nicht abgelaufen ist.
Soweit die vorgenannten verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nicht bestehen, ist der vorläufige Einkommensteuerbescheid im Billigkeitswege zur Anwendung der o. g. BFH-Urteile zu ändern.
Die so genannte ‚irreführende‘ Äußerung der Finanzbehörde besteht nicht in der bloßen Nennung der Katalogvorläufigkeiten bei den Erläuterungen zur Festsetzung im Einkommensteuerbescheid. Vielmehr bedarf es einer konkreten mündlichen oder schriftlichen Aussage der Finanzbehörde gegenüber dem Steuerpflichtigen bzw. seinem steuerlichen Vertreter, dass der Vorläufigkeitsvermerk auch ‚einfach gesetzliche‘ Fragen umfasse. Es ist mithin unbeachtlich, ob der Steuerpflichtige beraten oder nicht beraten war.
Da es sich bei der ‚irreführenden‘ Äußerung um eine steuerbegünstigende Tatsache handelt, trägt hierfür der Steuerpflichtige bzw. sein steuerlicher Vertreter die Feststellungslast. Die entsprechende Aussage ist nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, so z. B. durch einen Aktenvermerk über ein Telefonat. Dabei können Äußerungen einer Finanzbehörde nicht gegen eine andere Finanzbehörde verwendet werden.
Die Regelung soll zudem nicht dazu führen, dass in jedem Fal I eine Änderung ‚sichergestellt‘ ist. Vielmehr bedarf es stets zuallererst einer ‚irreführenden‘ Äußerung der Finanzbehörde, bevor zunächst Wiedereinsetzung, dann Fortsetzung des Einspruchsverfahrens und letztendlich Billigkeit geprüft werden.
Formulierung im ‚Vorläufigkeitskatalog‘
Laut , BStBl 2003 I S. 482, ist ‚in den Fällen der Nummer 1‘ des Vorläufigkeits-Katalogs auf Antrag des Steuerpflichtigen Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, soweit der Vorwegabzug um Einnahmen eines Ehegatten, für den keine Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder der nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehörte, gekürzt worden ist.
Einige Steuerpflichtige bzw. deren steuerliche Vertreter leiten daraus ab, dass diese einfachgesetzliche Frage auch von der ‚Nummer 1‘ erfasst wird. Der Verweis bedeutet jedoch vielmehr, dass derartige Sachverhalte einen Einspruch erfordern und damit ausdrücklich nicht von der ‚Nummer 1‘ erfasst sind. Andernfalls ginge nämlich ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ins Leere.
EFG 2004 S. 1279
Soweit sich Steuerpflichtige in den Fällen der Alleingesellschafter-Geschäftsführer bei Billigkeitsanträgen auf das EFG 2004 S. 1279, berufen, sind derartige Anträge abzulehnen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass die Rechtswidrigkeit von Steuerfestsetzungen nur ausnahmsweise im Billigkeitswege geltend gemacht werden kann (vgl. AO-Kartei ST § 227 AO Karte 1 Tz. 2.2). Solche Ausnahmegründe liegen regelmäßig nur in den unter Tz. 4. Nr. 2 genannten Fällen vor.
Gegen das Urteil ist Revision eingelegt (Az.: XI R 31/04). Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme, in denen sich der Steuerpflichtige auf das Revisionsverfahren beruft, ruhen deshalb nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.
Oberfinanzdirektion Magdeburg v. - S 0338 - 16 - St 252
Fundstelle(n):
GAAAE-63044