BGH Beschluss v. - VI ZB 45/13

Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist: Überwachungspflichten des Berufungsanwalts bei Telefaxübermittlung des Berufungsschriftsatz durch eine berufserfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte in der Probezeit

Leitsatz

Zur Überwachungspflicht des Rechtsanwalts bei einer voll ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten mit mehrjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten in der Rechtsanwaltskanzlei tätig ist.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 511 ZPO

Instanzenzug: LG Gera Az: 1 S 315/13vorgehend AG Rudolstadt Az: 1 C 160/12

Gründe

I.

1Der Kläger begehrt wegen eines Verkehrsunfalls von den Beklagten Schadensersatz. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Am , einem Montag, ist beim Landgericht per Telefax eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen. Bei dem per Fax eingegangenen Berufungsschriftsatz fehlte die zweite Seite mit der Unterschrift des Rechtsanwalts des Klägers. Zwei Tage später ging die unterschriebene Berufungsschrift vollständig beim Landgericht ein. Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer wies mit Verfügung vom , dem Rechtsanwalt des Klägers zugegangen am , auf die fehlende Unterschrift unter der fristwahrenden Berufungsschrift hin. Mit Schriftsatz vom , per Telefax eingegangen am , hat der Kläger (erneut) Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

2Zur Begründung hat er vorgetragen, das Fehlen der Unterschrift auf der per Telefax übermittelten Rechtsmittelschrift beruhe auf einem Versehen der Angestellten K. seiner Prozessbevollmächtigten. Rechtsanwalt F. habe die Berufungsschrift am unterzeichnet und an die Rechtsanwaltsfachangestellte K. mit der Maßgabe übergeben, diese an das Landgericht vorab per Telefax und danach im Postwege zu senden. Nach Rücksprache mit Frau K., wonach die durch Rechtsanwalt F. unterzeichnete Berufungseinlegungsschrift an das Landgericht G. ordnungsgemäß und insbesondere vollständig vorab per Telefax übermittelt worden sei, sei die Berufungseinlegungsfrist im Kalender gelöscht worden. Entgegen der ausdrücklichen Anweisung und trotz hinreichender regelmäßiger Überprüfungen habe Frau K. allerdings die mit der Unterschrift des Unterzeichners versehene Seite 2 nicht per Telefax, sondern nur auf dem Postwege an das Landgericht G. übermittelt.

3Dazu hat der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers eidesstattlich versichert, dass Frau K., die seit dem in seiner Kanzlei beschäftigt sei, sich in dieser Zeit als kompetente und stets zuverlässige Fachkraft erwiesen habe, der auch die Übermittlung fristenbezogener Schriftstücke anvertraut werden könne. Durch ihr Handeln sei stets sichergestellt, dass die jeweils eingetragenen und überprüften Fristen gewahrt würden und dass die vollständige und ordnungsgemäße Übermittlung per Telefax an das jeweils zuständige Gericht mit einem Sendebericht auf die Vollständigkeit der Übermittlung überprüft werde und eine Streichung der Frist erst danach erfolge. Durch monatliche regelmäßige Kontrollen und Vorlagen werde die Arbeitsweise von Frau K. überprüft. Frau K. versicherte unter Bestätigung der Angaben des Prozessbevollmächtigten dazu an Eides statt, dass sie seit dem ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte sei.

4Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass Rechtsanwalt F. die Rechtsanwaltsfachangestellte K. nicht mit der Übermittlung der Berufungsschrift habe betrauen dürfen, ohne persönlich die Anzahl der übermittelten Seiten nochmals zu überprüfen. Zwar könne ein Rechtsanwalt die Ausgangskontrolle und Übermittlung von Schriftsätzen an zuverlässiges Personal delegieren, wenn er - wie dies in der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten üblich sei - anordne, dass der Sendebericht ausgedruckt, auf die Zahl der übermittelten Seiten überprüft und erst dann im Fristenkalender die Frist gelöscht werde. Beim Einsatz von Personal, das noch keine sechs Monate in dem Büro des Bevollmächtigten angestellt sei, sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass jedenfalls bis zum Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit eine eigenständige Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten durchzuführen sei; danach nur, wenn besondere Umstände eine solche Kontrolle notwendig machten. Da Frau K. seit dem zum Zeitpunkt des Endes der Berufungseinlegungsfrist am noch keine sechs Monate beim Prozessbevollmächtigten des Klägers beschäftigt gewesen sei, habe der Prozessbevollmächtigte eigenständig den Faxsendebericht auf die Vollständigkeit der Seitenanzahl überprüfen müssen. Dass er dies getan hätte, sei nicht vorgetragen. Einer eigenständigen Überprüfung durch den Prozessbevollmächtigten stehe auch nicht entgegen, dass Frau K. bereits seit dem Jahre 2005 Rechtsanwaltsfachangestellte sei, da jede Kanzlei eine - wenngleich in Nuancen - abweichende Organisation unterhalte, die einer Eingewöhnungszeit unabhängig von der bestehenden Berufserfahrung bedürfe. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

51. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004).

62. Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich ein dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht begründen.

7a) Zwar trägt der Rechtsanwalt die Verantwortung dafür, dass eine einwandfreie Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. , VersR 1982, 471). Zur Erfüllung dieser Pflicht darf der Anwalt aber einfache Aufgaben einer zuverlässigen Angestellten übertragen, ohne dass er die ordnungsgemäße Erledigung im Einzelnen überwachen muss (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 38/02, VersR 2003, 1462; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 76/81, aaO sowie vom - VIII ZB 59/81 und VIII ZB 60/81, VersR 1982, 190). Das gilt nicht nur für allgemeine Weisungen, sondern auch und erst recht für eine konkrete mündliche Weisung im Einzelfall (vgl. , VersR 1994, 1494; Beschluss vom - IX ZB 46/98, VersR 1999, 1170, 1171).

8Bei Zugrundelegung des Klägervorbringens zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sein Prozessbevollmächtigter den ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen gerecht geworden. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass seine Büroangestellte K., die sich bisher als zuverlässig erwiesen hatte, die konkrete Einzelanweisung befolgen würde, den von ihm unterzeichneten Berufungsschriftsatz per Telefax vollständig an das Berufungsgericht zu senden. Hätte Frau K. die Anweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Das für die Fristversäumung ursächliche Versehen der Rechtsanwaltsfachangestellten K. steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht entgegen.

9Unter Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen des Rechtsanwalts F. und der Rechtsanwaltsfachangestellten K. hat der Kläger vorgetragen, dass die Angestellte bisher zuverlässig und sorgfältig die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt hat. Die Versendung der Rechtsmittelschrift per Telefax ist eine einfache Bürotätigkeit, mit der eine Rechtsanwaltsfachangestellte mit achtjähriger Berufserfahrung, die seit nahezu sechs Monaten bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers tätig war, ohne dass ein Anlass bestanden hätte, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln, beauftragt werden durfte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZB 23/01, NJW-RR 2002, 1070, 1071; vom - VIII ZR 12/95, VersR 1996, 910, 911 und vom - VII ZB 7/94, VersR 1995, 238, 239). Besondere Umstände, die eine besondere Kontrolle von Frau K. hätten notwendig machen können, etwa dass sie sich noch in der Phase der Einarbeitung befunden hätte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

10Da es sich bei der Angestellten K. um eine ausgebildete Fachkraft handelt, lässt sich eine Kontrollpflicht des Rechtsanwalts des Klägers dem , NJW 2007, 3497, 3498) nicht entnehmen. Dem Fall lag zugrunde, dass einer Auszubildenden zur Rechtsanwaltsfachangestellten die Notierung und Überwachung von Fristen übertragen worden ist. Grundsätzlich darf nur voll ausgebildetes und sorgfältig überwachtes Personal hiermit betraut werden, nicht dagegen eine noch auszubildende Kraft (vgl. , aaO).

11Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muss der Rechtsanwalt eine eigene Kontrolle beim Einsatz von geschultem und zuverlässigem Personal auch nicht jedenfalls bis zum Ablauf einer sechsmonatigen Probezeit durchführen. Ein solches Erfordernis ergibt sich nicht aus dem Beschluss des VII. Zivilsenats des , NJW 2011, 1080). Der VII. Zivilsenat hat dort vielmehr für nicht erforderlich erachtet, dass der Rechtsanwalt nach Ablauf einer beanstandungsfreien sechsmonatigen Probezeit einer ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten bei der Delegierung der Fristberechnung und -notierung eine eigenständige Kontrolle durchführt. Zu Erforderlichkeit und Umfang einer anwaltlichen Kontrolle vor Ablauf einer Beschäftigungszeit von sechs Monaten sagt der Beschluss nichts. Besondere Anforderungen an die notwendige Überwachung von Fristen sind zwar beim Einsatz von nur kurzfristig geschultem und noch nicht während eines längeren Zeitraums erprobtem Büropersonal zu stellen (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 75/08, Schaden-Praxis 2010, 30; , VersR 1978, 139). Doch traf dies für die Angestellte K. nach den Angaben in den eidesstattlichen Versicherungen nicht zu.

12b) Dem Rechtsanwalt des Klägers ist auch kein Organisationsverschulden vorzuwerfen, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Klägers und der Rechtsanwaltsfachangestellten K. hat der Anwalt hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen, dass Fristen im Fristenkalender erst dann gestrichen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, dass von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist. Er hat die Ausgangskontrolle bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax organisatorisch durch die Anweisung präzisiert, dass der damit befasste Mitarbeiter, bevor die entsprechende Frist gestrichen wird, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdruckt und prüft, ob dieser eine ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom - VI ZB 61/12, MDR 2013, 1303; , NJW 2004, 367, 368; vom - V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Auch hat der Rechtsanwalt des Klägers die Zuverlässigkeit seines Personals in der Behandlung von Fristsachen gemäß seiner eidesstattlichen Versicherung stichprobenartig überwacht. Eine darüber hinausgehende Überwachung ist nicht gefordert, wenn der Anwalt von der Zuverlässigkeit der Mitarbeiterin ausgehen durfte.

13c) Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. An einer Entscheidung in der Sache gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO ist der Senat auch hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags gehindert. Es fehlt an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Beschluss. Ihm lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob das Berufungsgericht den auf den Wiedereinsetzungsantrag bezogenen Sachvortrag des Klägers für glaubhaft gemacht hält oder ob es ihn lediglich als wahr unterstellt, was von seinem - allerdings unzutreffenden - Rechtsstandpunkt aus gesehen ausreichend wäre (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 4/13, NJW 2014, 700).

Galke                            Wellner                            Diederichsen

                 Stöhr                            von Pentz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW-RR 2014 S. 634 Nr. 10
StBW 2014 S. 434 Nr. 11
WM 2014 S. 1013 Nr. 21
GAAAE-62931