Schluss der mündlichen Verhandlung im Zivilverfahren: Berücksichtigungsfähigkeit von Vortrag in einem verspätet eingereichten nachgelassenen Schriftsatz
Leitsatz
Wird ein der Partei nach Hinweis in der mündlichen Verhandlung gewährtes Schriftsatzrecht erst nach Ablauf der hierfür gesetzten Frist ausgeübt, hat das Gericht in entsprechender Anwendung des § 283 Satz 2 ZPO zu entscheiden, ob das verspätete Vorbringen berücksichtigt werden kann.
Gesetze: § 139 Abs 5 ZPO, § 283 S 2 ZPO, § 296a ZPO
Instanzenzug: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Az: 1 U 17/12vorgehend Az: 8 O 58/10
Gründe
1Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und zulässig (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
2Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig angeführte Frage, wie ein Schriftsatz zu behandeln sei, der erst nach Ablauf einer gemäß § 139 Abs. 5 ZPO gesetzten Frist bei Gericht eingehe, rechtfertigt eine Zulassung nicht. Die geltend gemachte Grundsatzbedeutung ist bereits nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt an einer Aufbereitung, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die aufgeworfene Frage umstritten ist (vgl. , BGHZ 159, 135, 137 f; vom - IX ZR 206/05, nv, Rn. 2). Im Übrigen weist sie keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf. Diese ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, die allgemein von Bedeutung ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist, weil sie vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden ist und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird oder wenn sie im Schrifttum in gewissem Umfang umstritten ist (, ZIP 2010, 27 Rn. 3; vom - II ZR 54/09, ZIP 2010, 985 Rn. 3; vom - II ZR 219/09, ZIP 2010, 2397 Rn. 3; vom - IX ZB 120/11, WM 2013, 45 Rn. 2; vom - II ZR 396/12, ZIP 2014, 191 Rn. 2). Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind ( aaO Rn. 3; vom , aaO; vom , aaO; vom , aaO).
3Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage findet ihre Antwort im Gesetz: Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, können Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden (§ 296a Satz 1 ZPO). Hiervon räumt § 296a Satz 2 ZPO, bezogen auf den Anwendungsbereich des § 139 Abs. 5 ZPO, nur dann eine Ausnahme ein, wenn einer Prozesspartei auf deren Antrag hin ein Schriftsatzrecht nach der Erteilung eines gerichtlichen Hinweises gewährt wird. Nach § 139 Abs. 5 ZPO ist das auf den gerichtlichen Hinweis bezogene Vorbringen beachtlich, wenn es innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist ausgeführt wird. Wird nach Ablauf dieser Frist, wie im Streitfall gegeben, ein Schriftsatz eingereicht, so gilt § 296a ZPO. Die Bestimmung des § 296 ZPO betrifft dagegen das Verfahren zwischen der Klagebegründung und der (letzten) mündlichen Verhandlung und ist daher auf ein Vorbringen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht anwendbar (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 296 Rn. 4a; Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 296a Rn. 1). Im Schrifttum wird demzufolge eine Anwendung der Bestimmung des § 296 ZPO auf nicht fristgerechtes Vorbringen nach § 139 Abs. 5 ZPO verneint (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 139 Rn. 115; MünchKomm-ZPO/Prütting, 4. Aufl., § 296a Rn. 6 mit Verweis auf § 283 Rn. 20; Hk-ZPO/Saenger, aaO § 283 Rn. 14). Die von der Beschwerde angeführte gegenteilige Ansicht von Stadler (Musielak/Stadler, ZPO, 10. Aufl., § 139 Rn. 30) ist vereinzelt geblieben; auch wird dort die Anknüpfung an § 296 ZPO nicht näher begründet. § 139 Abs. 5 ZPO ist der Vorschrift des § 283 ZPO nachgebildet (vgl. BR-Drucks. 536/00, S. 200; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl., § 139 Rn. 95; Hk-ZPO/Saenger, aaO). Daher hat das Gericht bei nicht fristgerechtem Vorbringen nach § 139 Abs. 5 ZPO in entsprechender Anwendung von § 283 Satz 2 ZPO, wie vom Berufungsgericht zutreffend beachtet wurde, zu entscheiden, ob das verspätete Vorbringen berücksichtigt werden kann (MünchKomm-ZPO/Prütting, aaO; Hk-ZPO/Saenger, aaO). Insoweit hat das Berufungsgericht sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.
4Die weiter geltend gemachten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten (Art. 103 Abs. 1 GG) hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet.
5Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Vill Gehrlein Fischer
Grupp Möhring
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 705 Nr. 13
NJW 2014 S. 1669 Nr. 23
NJW 2014 S. 8 Nr. 14
NJW-RR 2014 S. 505 Nr. 8
WM 2014 S. 1456 Nr. 30
BAAAE-59318