BGH Beschluss v. - IX ZB 23/13

Restschuldbefreiung im laufenden Insolvenzverfahren: Wegfall des Insolvenzbeschlags für den Neuerwerb

Leitsatz

Nach Erteilung der Restschuldbefreiung im andauernden Insolvenzverfahren entfällt der Insolvenzbeschlag für den Neuerwerb ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungserklärung, auch wenn er von dieser nicht erfasst wäre.

Gesetze: § 35 Abs 1 InsO, § 203 Abs 1 Nr 3 InsO, § 203 Abs 2 InsO, § 287 Abs 2 S 1 InsO, § 300 InsO

Instanzenzug: Az: 25 T 14/13vorgehend Az: 513 IN 11/04

Gründe

I.

1Auf den Antrag des Schuldners wurde am über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte als Insolvenzverwalter bestellt. Am wurde dem Schuldner nach Ablauf der Abtretungserklärung die Restschuldbefreiung erteilt. Nachdem der Insolvenzverwalter im Hinblick auf etwaige Steuererstattungsansprüche die Nachtragsverteilung beantragt hatte, hob das Insolvenzgericht am das Insolvenzverfahren nach Vollzug der Schlussverteilung auf und ordnete in den Beschlüssen vom 23. und die Nachtragsverteilung wegen etwaiger Erstattungsansprüche des Schuldners aus der Lohn- und Einkommensteuer und aus den Solidaritätsbeiträgen für die Veranlagungsjahre 2007 bis 2012 gegen das zuständige Finanzamt an, für das Veranlagungsjahr 2012 in Höhe von 10/12 des Erstattungsanspruchs.

2Auf die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde des Schuldners wegen der Anordnung der Nachtragsverteilung für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 in dem Beschluss vom änderte das Insolvenzgericht den Beschluss insoweit ab, als die Aufteilung des Steuererstattungsanspruchs für das Veranlagungsjahr 2012 nach Maßgabe des - zu erfolgen habe. Im Übrigen half es der Beschwerde nicht ab. Das Landgericht wies die Beschwerde zurück, stellte aber den Beschluss vom wieder her und ließ die Rechtsbeschwerde zu. Mit der frist- und formgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde will der Rechtsbeschwerdeführer erreichen, dass die Anordnung der Nachtragsverteilung in Bezug auf die Steuererstattungsansprüche für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 aufgehoben wird.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hat - soweit noch von Interesse - ausgeführt: Das Insolvenzgericht habe mit Recht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Nachtragsverteilung auch für die Steuererstattungsansprüche des Schuldners für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012, für letzteres nur anteilig, angeordnet. Der Steuererstattungsanspruch sei öffentlich-rechtlicher Natur und unterfalle deswegen nicht der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO. Nur die Ansprüche, die der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO unterfielen, unterlägen nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr dem Insolvenzbeschlag des § 35 Abs. 1 InsO. Dass auch der Neuerwerb, der nicht unter die Abtretungsregelung des § 287 Abs. 2 InsO falle, entgegen § 35 InsO vor Ablauf des Insolvenzverfahrens nicht in die Masse falle, sondern dem Schuldner zugute kommen solle, lasse sich dem Regelungszweck des § 287 Abs. 2 InsO nicht entnehmen.

52. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Nachtragsverteilung durfte gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 InsO wegen der Steuererstattungsansprüche des Schuldners gegen das zuständige Finanzamt aus Lohn- und Einkommensteuer und Solidaritätsbeiträgen für die Veranlagungsjahre 2011 und 2012 nicht angeordnet werden, auch wenn die Steuererstattungsansprüche für diese Veranlagungsjahre ohne die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 35 Abs. 1 InsO als Neuerwerb in die Masse gefallen wären, sofern der Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens die Lohnsteuer abgeführt (§ 38 EStG) oder Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer (§ 37 EStG) geleistet hat (vgl. , NJW 2006, 1127 Rn. 13 ff). Denn nach Ablauf der Abtretungserklärung im April 2010 und der dem Schuldner rechtskräftig erteilten Restschuldbefreiung ist trotz Fortdauer des Insolvenzverfahrens durch § 287 Abs. 2 InsO zum Ablauf der Abtretungsfrist eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO eingetreten. Sie gilt entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht nur hinsichtlich des Neuerwerbs, welcher der Abtretungserklärung unterfallen wäre (vgl. , BGHZ 183, 258 Rn. 30 ff, 37), was für die Ansprüche auf Erstattung von Lohn- und Einkommensteuerzahlungen nicht zutraf (, BGHZ 163, 391, 392 f; Beschluss vom - IX ZB 239/04, NJW 2006, 1127 Rn. 9), sondern auch für den Neuerwerb, der nicht unter die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO gefallen wäre (, NZI 2010, 577 Rn. 9). Die angefochtene Entscheidung gibt dem Senat keinen Anlass, seine Ansicht zu ändern.

6a) Nach ganz überwiegender Ansicht in der Literatur steht dem Schuldner, dem die Restschuldbefreiung rechtskräftig vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens erteilt wird, und nicht der Masse der gesamte pfändbare Neuerwerb nach Ablauf der Laufzeit der Abtretung zu (K. Schmidt/Henning, InsO, 18. Aufl., § 300 Rn. 6; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 3. Aufl., § 300 Rn. 12; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 299 Rn. 9; Braun/Lang, InsO, 5. Aufl., § 287 Rn. 15; Pape in Pape/Uhländer, InsO, § 300 Rn. 31; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 299 Rn. 6; FK-InsO/Ahrens, 7. Aufl., § 300 Rn. 14; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 35 Rn. 127; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2012, § 300 Rn. 6; Ahrens, LMK 2010, 303289; Schmerbach, NZI 2010, 54, 55; Büttner, ZInsO 2010, 1025, 1037 f; Wedekind, VIA 2010, 1, 3; Martini, jurisPR-InsR 2/2010 Anm. 2; Pape, Gedächtnisschrift Manfred Wolf, 2011, S. 484, 499; a.A. Heinze, ZVI 2008, 416, 419; Heyer, ZVI 2010, 72, 73 f). Ausgenommen soll nur der Erwerb sein, der dem Grunde nach schon vor dem Ablauf der Laufzeit der Abtretungserklärung angelegt ist (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO § 35 Rn. 127; HK-InsO/Landfermann, aaO; Pape, Gedächtnisschrift Manfred Wolf, aaO; Tetzlaff, WuB VI A § 295 1.10; Grote/Pape, ZInsO 2013, 1433, 1445). Um einen solchen geht es hier nicht.

7b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts beschränken sich der Regelungszweck des § 287 Abs. 2 InsO und die von ihm bewirkte zeitliche Begrenzung der Wirkung des § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO nicht auf den Neuerwerb, der unter eine andauernde Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO fiele. Die Vorschrift verfolgt auch den Zweck, dem redlichen Schuldner - auch dem selbstständig tätigen - sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (, BGHZ 183, 258 Rn. 20, 21; vom - IX ZB 94/12, NZI 2013, 601 Rn. 10). Dieser Zweck wird nicht erreicht, wenn ihm die hierfür notwendigen Mittel genommen werden. Zu diesen Mitteln zählen nicht nur die von der Abtretungserklärung umfassten Bezüge, sondern der gesamte Neuerwerb. Anderenfalls wäre etwa dem selbstständig tätigen Schuldner, dessen Einkünfte von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO in der Regel nicht erfasst werden (, NZI 2010, 72 Rn. 11 ff), ein wirtschaftlicher Neuanfang nicht möglich, wenn der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit nicht nach § 35 Abs. 2 InsO freigegeben hat.

8c) Dieses Verständnis (vgl. , BGHZ 183, 258; vom - IX ZB 196/09, NZI 2010, 577) hat sich im Übrigen der Gesetzgeber mit der ab dem geltenden Neuregelung zu Eigen gemacht. Nach § 300a InsO nF gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse, sofern dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wird. Entsprechendes gilt, wenn dem Schuldner die Restschuldbefreiung vorzeitig unter den Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO nF erteilt wird.

Kayser                     Vill                          Lohmann

                Pape                   Möhring

Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1008 Nr. 6
DB 2014 S. 7 Nr. 12
DStR 2014 S. 12 Nr. 16
DStR 2014 S. 1557 Nr. 31
NJW-RR 2014 S. 616 Nr. 10
WM 2014 S. 569 Nr. 12
ZIP 2014 S. 25 Nr. 13
OAAAE-59305