BGH Urteil v. - XI ZR 398/12

Haftung bei Kapitalanlageberatung: Nachweis der fehlenden Kausalität der Beratungspflichtverletzung; Verjährungsbeginn bei Falschangaben über die Höhe der Rückvergütung

Gesetze: § 280 Abs 1 BGB, § 445 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 3 U 70/12vorgehend Az: 7 O 168/12

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Beratungspflichtverletzung auf Rückabwicklung verschiedener Beteiligungen in Anspruch.

2Der Kläger, ein Rechtsanwalt und Notar, beteiligte sich - teilweise fremdfinanziert - jeweils mit einem Betrag von 25.000 € zuzüglich eines Agios unterschiedlicher Höhe nach Beratung durch die Beklagte im Herbst 2002 an der M.                   GmbH & Co. KG, im Herbst 2003 an der Mo.                  GmbH & Co. Verwaltungs KG, im Herbst 2004 an der Mo.       Z.                   GmbH & Co. Verwaltungs KG und im Herbst 2005 an der Mo.        D.                     GmbH & Co. Verwaltungs KG. Die Beklagte erhielt für die Vermittlung der Beteiligungen Provisionen in unterschiedlicher Höhe, über die sie den Kläger im Einzelnen nicht unterrichtete.

3Der auf Zahlung, Freistellung und Feststellung gerichteten Klage, mit der der Kläger die Beklagte auf Schadenersatz wegen Beratungspflichtverletzung in Anspruch genommen hat, hat das Landgericht nach informatorischer Anhörung des Klägers und Vernehmung einer Mitarbeiterin der Beklagten als Zeugin zum Zustandekommen eines Beratungsvertrages im Wesentlichen entsprochen.

4Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht, das zugleich im Umfang des Teilanerkenntnisses des Klägers einem von der Beklagten im Wege der Eventualwiderklage erhobenen Feststellungsbegehren stattgegeben hat, zurückgewiesen. Soweit es hinsichtlich der Klage zu ihrem Nachteil entschieden hat, richtet sich dagegen die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten.

Gründe

5Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

6Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7Zwischen den Parteien seien im Vorfeld der Beteiligungen des Klägers Beratungsverträge zustande gekommen. Die Beklagte sei dem Kläger wegen der Verletzung ihrer aus diesen Beratungsverträgen resultierenden Aufklärungspflicht zum Schadenersatz verpflichtet. Zwar lasse sich im Ergebnis nicht belegen, dass der Kläger über die unternehmerischen Risiken der Anlagen unzureichend aufgeklärt worden sei. Die Beklagte habe den Kläger aber pflichtwidrig und schuldhaft nicht über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen unterrichtet.

8Die Beklagte habe die Vermutung, die für die Ursächlichkeit der Aufklärungspflichtverletzung spreche, nicht widerlegt. Ihr auf die Widerlegung der Vermutung zielender Vortrag sei so ungenügend, dass ihren Beweisangeboten nicht nachzugehen sei. Soweit die Beklagte die Vernehmung des Klägers als Partei zu der Behauptung angeboten habe, er hätte auch bei Unterrichtung über die an die Beklagte gezahlten Provisionen die Beteiligungen gezeichnet, handele es sich um Vortrag ins Blaue hinein. Der Umstand, dass der Kläger auch habe Steuern sparen wollen, genüge nicht, um der unter Beweis gestellten Behauptung der Beklagten den nötigen substantiellen Anhalt zu geben, zumal der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung - die an diesem Punkt allerdings abgebrochen worden sei - erklärt habe, steuerliche Aspekte hätten "auch" eine Rolle gespielt, was Raum für weitere Motive lasse. Selbst dann, wenn es dem Kläger ausschließlich darauf angekommen sei, ein Steuersparmodell zu zeichnen, lasse sich nicht von vornherein sagen, dass seine Entscheidung von der Kenntnis einer Rückvergütung unbeeinflusst geblieben wäre. Weitere Indizien, etwa die Investition in eine vergleichbare Kapitalanlage in Kenntnis von in Form der Rückvergütungen gezahlten Provisionen, fehlten. Die Beklagte habe auch nicht vorgetragen, dass bei anderen Anbietern keine vergleichbaren Produkte ohne oder mit geringeren Rückvergütungen zu haben gewesen seien oder der Kläger Wert darauf gelegt habe, allein von der Beklagten beraten zu werden. Selbst wenn anzunehmen sei, der Kläger suche einen Grund, "um sich von den unerfreulich verlaufenden Investments zu lösen", führe dies in der Gesamtschau nicht zu der Annahme, es liege fern, dass ihn die Frage der Rückvergütungen in seiner Anlageentscheidung nicht beeinflusst hätte. Das Vorbringen, für das die Beklagte ihre Mitarbeiterin als Zeugin benannt habe, beziehe sich nur auf allgemeine Vermutungen, die auf jeden Anleger zutreffen könnten, so dass Zeugenbeweis nicht zu erheben sei.

9Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien nicht verjährt. Konkrete Tatsachen dafür, dass der Kläger von der unterbliebenen Aufklärung über die der Beklagten zugeflossenen Rückvergütungen bereits vor dem als dem Tag, an dem er persönlich gegenüber der Beklagten Schadenersatzansprüche geltend gemacht habe, erfahren habe, gebe es nicht.

II.

10Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

111. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, zwischen den Parteien seien Beratungsverträge zustande gekommen, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären. Weiter hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers jedenfalls über die Höhe der der Beklagten zufließenden Vergütungen sei weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff.). Korrekt hat es insoweit auch ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom , aaO Rn. 24 f. mwN).

122. Soweit das Berufungsgericht dagegen von der Vernehmung des Klägers als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) für die Behauptung der Beklagten abgesehen hat, von ihr erlangte Rückvergütungen seien für die Anlageentscheidung ohne Bedeutung gewesen, ist dies, wie die Revision in Übereinstimmung mit § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO zu Recht rügt, von Rechtsfehlern beeinflusst.

13a) Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung vorgetragen, dass der Kläger, wenn er über das Eigeninteresse der Beklagten hinreichend aufgeklärt worden wäre, seine Liquidität nicht in sichere Anleihen investiert hätte, weil es ihm ausschließlich auf die Erzielung von Steuervorteilen angekommen sei, so dass er sich - über "die genaue Höhe der Provision" der Beklagten unterrichtet -"keinesfalls von dem Entschluss, seine Steuerlast zu senken", hätte abbringen lassen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte darauf verwiesen, dass der Kläger Beratungsbedarf "jeweils im Herbst der Jahre 2002, 2003, 2004 und 2005, also immer dann, wenn sich ein hohes zu versteuerndes Einkommen sicher" abgezeichnet habe, angemeldet habe. Zum Beweis ihrer Behauptungen hat sich die Beklagte auf die Vernehmung des Klägers als Partei berufen. In der Berufungsbegründungsschrift hat die Beklagte wiederum die Vernehmung des Klägers als Partei für ihre Behauptung beantragt, die "geringen Provisionen aus den streitgegenständlichen Beteiligungen hätten den Kläger nicht vom Erwerb der Fondsanteile abgehalten".

14b) Das Übergehen des Beweisantrags der Beklagten auf Vernehmung des Klägers als Partei verletzt das aus § 525 Satz 1, § 286 ZPO folgende Gebot, sich mit dem Streitstoff umfassend auseinanderzusetzen und den Sachverhalt durch die Erhebung der angetretenen Beweise möglichst vollständig aufzuklären (vgl. , WM 2002, 557, vom - XI ZR 332/02, WM 2004, 27, 31, vom - XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 524 und vom - XI ZR 22/03, BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweiswürdigung 7).

15Das Beweisangebot der Beklagten war erheblich. Die Beklagte hat eine für die Entscheidung wesentliche Tatsache - Fehlen der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden - unmittelbar selbst zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Stellte sich der Sachvortrag in der Beweisaufnahme als richtig heraus, stünde die fehlende Kausalität der Pflichtverletzung fest. Weitere Einzelheiten oder Erläuterungen sind zur Substantiierung des Beweisantrags auf Vernehmung des Gegners als Partei grundsätzlich nicht erforderlich (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39).

16Ein unbeachtlicher, auf Ausforschung zielender Beweisermittlungsantrag, der auf der willkürlichen Behauptung einer bestimmten Motivationslage "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" gründete, ist nicht gegeben. Die Beklagte hat mit dem Verweis auf die Motivation des Klägers, Steuern zu sparen, einen - anlässlich seiner informatorischen Anhörung vom Kläger bestätigten - Anhaltspunkt vorgetragen, der dafür spricht, dass der Kläger auch in Kenntnis der Rückvergütungen die Beteiligungen gezeichnet hätte. Angesichts dessen kann eine Behauptung ins Blaue hinein nicht angenommen werden, zumal die Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO nicht die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache zur Voraussetzung hat (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 39; , BGHZ 33, 63, 66). Schließlich stand der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO der Beweiserhebung nicht entgegen. Für die unmittelbare Beweisführung zur Motivation des Klägers steht kein anderes Beweismittel zur Verfügung.

17Die weitere Begründung des Berufungsgerichts, aufgrund der Angaben des Klägers anlässlich seiner informatorischen Anhörung durch das Landgericht lasse sich nicht sagen, "dass seine Entscheidung von der Kenntnis einer Rückvergütung unbeeinflusst geblieben wäre", stellt ihrerseits eine verfahrensfehlerhaft vorweggenommene Beweiswürdigung dar, auf deren Grundlage das Berufungsgericht nicht davon ausgehen durfte, die Kausalitätsvermutung sei nicht widerlegt. Dabei kann dahinstehen, ob eine Anhörung nach § 141 ZPO überhaupt geeignet wäre, die von der Beklagten beantragte Vernehmung des Klägers als Partei zu ersetzen (dagegen , juris Rn. 12 ff.). Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die informatorische Anhörung des Klägers "an diesem Punkt [...] abgebrochen". Sie bot mithin in keinem Fall eine hinreichende Grundlage für die Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts.

III.

18Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

191. Das Berufungsgericht wird den Kläger als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) zu vernehmen und das Beweisergebnis zusammen mit den ebenfalls unter Beweis gestellten Indizien (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Dabei wird es sich bei der Prüfung der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden auch mit dem Vorbringen der Beklagten in der Klageerwiderung zu beschäftigen haben, der Kläger habe entweder aufgrund seiner Geschäftserfahrung oder aufgrund der Ausführungen der Mitarbeiterin der Beklagten Kenntnis davon gehabt, dass die Beklagte für die Vermittlung der Beteiligungen (überhaupt) eine Vergütung erhalten habe, die "wirtschaftlich von der jeweiligen Fondsgesellschaft getragen" worden sei. Denn die Kenntnis von der Leistung von Rückvergütungen als solche ohne Wissen um deren Höhe könnte grundsätzlich den Schluss zulassen, der Kläger hätte die Beteiligungen auch im Falle einer Unterrichtung über den Umfang der Rückvergütungen gezeichnet (vgl. Senatsbeschluss vom - XI ZR 8/12, BKR 2013, 203 Rn. 22). Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte lediglich zugestanden, die Höhe der von ihr vereinnahmten Provisionen verschwiegen zu haben, nicht aber den Erhalt von Provisionen als solchen. Das Berufungsgericht wird allerdings in Rechnung zu stellen haben, dass der Hinweis allein, die "Vermittler" erhielten eine Provision, keine Aufklärung darüber beinhaltet, die Beklagte vereinnahme Provisionen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und vom - XI ZR 205/10, juris Rn. 21).

202. Sollte das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangen, die Beklagte habe die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht widerlegt, wird es bei der Prüfung der Verjährung von Schadenersatzansprüchen die Maßgaben des Senatsurteils vom (XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 Rn. 26 ff.) zu beachten haben. Die fehlende Kenntnis des Anlegers von der Höhe der Rückvergütung steht, sofern über den Erhalt von Provisionen als solchen aufgeklärt wurde, dem Verjährungsbeginn nur entgegen, wenn - was der Kläger nicht behauptet - die beratende Bank konkrete, jedoch fehlerhafte Angaben zur Höhe der Rückvergütung gemacht hat.

213. Sollte das Berufungsgericht zu dem Resultat gelangen, die Klage sei, soweit der Kläger eine unzureichende Aufklärung über vereinnahmte Rückvergütungen geltend macht, unbegründet, wird es sich abschließend mit den vom Kläger behaupteten weiteren Beratungspflichtverletzungen zu befassen haben.

224. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dem Kläger stünden Ansprüche gegen die Beklagte wegen der Verletzung von Pflichten aus Beratungsvertrag dem Grunde nach zu, wird es bezüglich der Nummern 2, 7, 12 und 17 der landgerichtlichen Entscheidungsformel zu beachten haben, dass es dem Schuldner eines Anspruchs auf Schuldbefreiung nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich freisteht, auf welche Weise er den Befreiungsanspruch erfüllt (, WM 2011, 505 Rn. 21 mwN). Da auch der Freistellungsantrag dem Gebot ausreichender Bestimmtheit des Klageantrags im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unterliegt (, WM 1996, 1986, 1987), wird das Berufungsgericht - wie in der Berufungsinstanz auch nur auf das Rechtsmittel der Beklagten möglich (vgl. , WM 2009, 1155 Rn. 5), da von einer Anschließung an das Rechtsmittel der Beklagten unabhängig (, NJW 1991, 3029) -darauf hinzuwirken haben, dass der Kläger hinreichend bestimmte Angaben zu Grund und Höhe der Schuld macht, von der er freigestellt zu werden wünscht.

23Die Feststellungsanträge - Nummern 4, 9, 14 und 19 der landgerichtlichen Entscheidungsformel - zu den steuerlichen Nachteilen aus den Beteiligungen können dahin ausgelegt werden und sind dahin auszulegen, die Ersatzpflicht der Beklagten umfasse nicht jene steuerlichen Nachteile, die aus der Einkommensbesteuerung der Ersatzleistungen resultieren. Diese Nachteile sind bei der Bemessung der Ersatzleistungen aufgrund pauschalisierender Betrachtungsweise der steuerlichen Vor- und Nachteile im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen (vgl. , WM 2011, 740 Rn. 8 f. und vom - XI ZR 188/11, juris Rn. 34; , WM 2012, 1293 Rn. 40).

245. Sollte das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers unter jedem Gesichtspunkt verneinen, wird es seine Entscheidung zur Eventualwiderklage von Amts wegen zur Klarstellung aufzuheben haben (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 119/04, juris Rn. 18 mwN). Dieser Entscheidung des Berufungsgerichts ist in diesem Fall die Grundlage entzogen, weil der Eintritt der Bedingung für die Eventualwiderklage nicht eingetreten ist. Dass der Kläger den mit der Widerklage verfolgten Anspruch teilweise anerkannt hat, steht der Aufhebung von Amts wegen nicht entgegen, weil der Nichteintritt der prozessualen Bedingung vorrangig zu berücksichtigen ist.

Wiechers                        Grüneberg                        Maihold

                 Matthias                            Menges

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
AAAAE-56492