Hinzuziehung der Ehefrau zum Einspruchsverfahren des Ehemanns nach Rücknahme ihres gegen den Einkommensteuerzusammenveranlagungsbescheid eingelegten Einspruchs
Leitsatz
1. Wurden Ehegatten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt und nimmt die Ehefrau den im Namen beider Ehegatten vom Steuerberater eingelegten Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurück, ist ihre Hinzuziehung zu dem vom Ehemann fortgeführten Einspruchsverfahren auch noch zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem ihr gegenüber bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
2. Für eine Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 AO reicht es aus, dass möglicherweise aus einem einheitlichen Lebensvorgang steuerrechtliche Folgen für (irgend-) eine Steuer sowohl beim Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten zu ziehen sind. Ein und derselbe Sachverhalt soll nach § 174 Abs. 4 und 5 AO bei beiden deckungsgleich - sei es mit denselben oder mit unterschiedlichen Rechtsfolgen - beurteilt werden können.
3. Ein in der Form des § 155 Abs. 3 Satz 1 AO ergangener Zusammenveranlagungsbescheid enthält zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte, die ein unterschiedliches (verfahrens-)rechtliches Schicksal haben können. Verfahrensrechtlich sind die zusammenveranlagten Ehegatten zwei Steuerschuldner, folglich auch Dritte im Hinblick auf § 174 Abs. 5 AO.
4. Geben zusammenveranlagte Ehegatten eine gemeinsame, von jedem unterschriebene Einkommensteuererklärung ab, die nach dem von beiden bekundeten Willen das Besteuerungsverfahren in Gang setzen soll, so liegt schon darin in der Regel die stillschweigende Vollmacht, dass jeder von ihnen auch die im Verlauf dieses Besteuerungsverfahrens und des sich ggf. daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens vorzunehmenden Handlungen mit Wirkung für den anderen Ehegatten vornehmen darf.
Gesetze: AO § 174 Abs. 4, AO § 155 Abs. 3 Satz 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Streitjahr 1998 mit ihrem Ehemann (E) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Sie ist kirchensteuerpflichtig. In der im Jahr 1999 abgegebenen gemeinsamen Einkommensteuererklärung erklärte sie im Zusammenhang mit dem Objekt D einen Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen im Rahmen ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
2 Im Zuge einer bei den Eheleuten durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, der Gewinn aus dem Erwerb, der Bebauung sowie der Vermarktung des Objekts D in Höhe von gut 2 Mio. DM sei E als Teil eines gewerblichen Grundstückshandels zuzurechnen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) schloss sich der Ansicht des Prüfers an und erließ einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid.
3 Gegen diesen Bescheid legte Steuerberater (S) unter Angabe der gemeinsamen Steuernummer und der Nennung beider Namen im Briefkopf für die Eheleute Einspruch ein. Ergänzend führte er aus, der Einspruch richte sich gegen den Ansatz des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf des Objekts D als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Auf die Aufforderung des FA, den „für Eheleute ...” eingelegten Einspruch zu begründen, zeigten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zunächst an, „die Eheleute ... hätten sie mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt” und begründeten kurz darauf den „Einspruch vom der Eheleute ...”. Dabei bestätigten sie noch einmal, mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen „der Eheleute ...” beauftragt zu sein. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, die Einkünfte im Zusammenhang mit dem Objekt D habe die Klägerin erzielt und dabei die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten. Das FA hielt in Abstimmung mit dem Außenprüfer zunächst an seiner gegenteiligen Auffassung fest. In einer späteren Stellungnahme führte es aus, zwar seien die im Zusammenhang mit dem Objekt D erzielten Einkünfte —wie erklärt— der Klägerin zuzurechnen. Allerdings führe der Verkauf bei Würdigung aller Umstände gleichwohl zu einem gewerblichen Grundstückshandel. Eine einkommensteuerliche Auswirkung der abweichenden Zurechnung der Einkünfte ergebe sich nicht.
4 Die Prozessbevollmächtigten erklärten daraufhin im April 2007: „Namens und in Vollmacht von Frau <Name der Klägerin> nehmen wir den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1998 vom zurück.” Das Einspruchsverfahren des E werde fortgeführt.
5 Nach Anhörung der Eheleute zog das FA die Klägerin mit Bescheid vom zum Rechtsbehelfsverfahren des E hinzu. Seine Entscheidung stützte es auf § 174 Abs. 5 und § 360 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
6 Gegen die Hinzuziehung wandte sich die Klägerin mit der Begründung, diese sei rechtswidrig, da durch die Rücknahme ihres Einspruchs die Einkommensteuerfestsetzung 1998 ihr gegenüber bestandskräftig geworden und im Übrigen auch Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung sei eine Hinzuziehung nicht mehr zulässig. Ihr Einspruch blieb erfolglos.
7 Zur Begründung ihrer Klage berief sich die Klägerin ergänzend darauf, sie sei am Einspruchsverfahren ihres Ehemannes nie beteiligt gewesen, da sie selber keinen Einspruch erhoben und auch den steuerlichen Berater nicht entsprechend beauftragt habe. Dieser habe nur im Namen und in Vollmacht des E gehandelt. Die „Rücknahme” ihres Einspruchs habe sie nur vorsorglich erklärt, um klar zu stellen, dass sie nicht verfahrensrechtlich am Einspruchsverfahren beteiligt gewesen sei.
8 Das Finanzgericht (FG) wies die auf Aufhebung der Hinzuziehung gerichtete Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1048 veröffentlichten Gründen ab. Die Hinzuziehung der Klägerin zum Einspruchsverfahren des E sei nach § 174 Abs. 5 AO rechtmäßig.
9 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie ist der Ansicht, eine Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren des E komme nicht in Betracht, weil ihr gegenüber zu diesem Zeitpunkt bereits Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei. Da sie entgegen der Beurteilung durch das FG nicht am Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteueränderungsbescheid 1998 beteiligt gewesen sei, liege auch kein Ausnahmefall vor. Letztlich sei bei zusammenveranlagten Ehegatten bereits der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 5 AO nicht eröffnet, weil der jeweils andere Ehegatte im Zusammenveranlagungsbescheid als Steuerschuldner benannt werde und daher nicht „Dritter” sei.
10 Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil sowie den Hinzuziehungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
11 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12 II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Hinzuziehung der Klägerin zum Einspruchsverfahren des E durch das FA rechtmäßig ist. Wegen ihrer zunächst gegebenen Stellung als Einspruchsführerin ist sie hinsichtlich einer möglichen Folgeänderung zu ihren Lasten nicht schutzwürdig.
13 1. Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO). Werden die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres gezogen, ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). Dies gilt auch gegenüber Dritten, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO). Ihre Hinzuziehung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO).
14 2. Die Anordnung der Hinzuziehung durch das FA nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setzt danach voraus, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und dass hieraus möglicherweise steuerrechtliche Folgerungen für einen Dritten durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides gezogen werden können.
15 Darüber hinaus setzt die Anwendung des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO dem Dritten gegenüber grundsätzlich voraus, dass dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen worden ist (vgl. z.B. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom IX B 116/01, BFH/NV 2002, 895). Hinzuziehung und Beiladung kommen nur dann nicht in Betracht, wenn die Interessen Dritter durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (vgl. zur Beiladung , BFH/NV 2011, 404, m.w.N.).
16 Indes ist im Hinzuziehungsverfahren wie auch im Beiladungsverfahren noch nicht abschließend zu prüfen, ob die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorliegen; denn die Hinzuziehung darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen (zur Beiladung im FG-Verfahren vgl. , BFH/NV 2003, 887). Die Hinzuziehung dient vielmehr lediglich der frühzeitigen Beteiligung aller Betroffenen und damit der richtigen Besteuerung (vgl. , BFH/NV 1997, 659, m.w.N.). Danach reicht es auch für eine Hinzuziehung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO aus, dass sich bei einem Erfolg des Einspruchs eine Folgeänderung i.S. des § 174 Abs. 4 und 5 AO ergeben kann. Hingegen ist nicht zu prüfen, ob eine etwaige Folgeänderung Bestand hätte (vgl. , BFH/NV 1998, 1056).
17 3. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze hat das FG die Hinzuziehung der Klägerin zu dem Einspruchsverfahren des E durch das FA im Ergebnis zutreffend als rechtmäßig angesehen.
18 a) Bei der Vorschrift des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO handelt es sich um eine gegenüber den Tatbeständen der Absätze 1 bis 3 eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts beschränkt ist (z.B. , BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404). Auch eine rechtliche Abhängigkeit der „Folgeänderung” wird in § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht vorausgesetzt (, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539). Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 4 und 5 AO genügt es vielmehr, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten erfasst und dabei irrig beurteilt worden ist. Nach einer Richtigstellung der rechtlichen Beurteilung zugunsten des einen Steuerpflichtigen kann damit korrespondierend aus demselben einheitlichen Lebenssachverhalt die rechtliche Folgerung auch bei dem anderen Steuerpflichtigen im Wege der Änderung seiner bestandskräftigen Steuerfestsetzung gezogen werden (BFH-Urteil in BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404). Eine Folgeänderung in diesem Sinn kommt z.B. in Betracht, wenn, wie im Streitfall, die Frage streitig ist, wem (hier: der Klägerin oder E) ein bestimmter Gegenstand (hier: das Objekt D) und dementsprechend bestimmte Einkünfte zuzurechnen sind (vgl. , BFH/NV 1991, 16, unter II.2.b).
19 b) Im derzeit ruhenden Einspruchsverfahren des E gingen dieser und das FA zuletzt übereinstimmend davon aus, das Objekt D —und damit die Einkünfte hieraus— sei der Klägerin zuzurechnen. Da der vom FA angesetzte Gewinn in Höhe von gut 2 Mio. DM in dem —gegenüber der Klägerin formell bestandskräftigen— Einkommensteuerzusammenveranlagungsbescheid 1998 —wenn auch als gewerblicher Gewinn des E— erfasst ist, hätte die anderweitige Zurechnung der Einkünfte zwar keine Auswirkungen auf die Höhe der Einkommensteuer. Sie hätte allerdings zum einen Auswirkung auf die allein von der Klägerin geschuldete Kirchensteuer als Annexsteuer. Zum anderen müsste gegenüber der Klägerin erstmalig ein Gewerbesteuermessbetragsbescheid erlassen werden.
20 c) Die Klägerin ist auch Dritte i.S. des § 174 Abs. 5 AO. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die möglichen Folgen des Rechtsbehelfsverfahrens nicht auf die Einkommensteuer beschränkt sind, sondern sich die Zuordnung und Qualifikation der Einkünfte aus dem Objekt D auch auf andere Steuerarten (hier: römisch-katholische Kirchensteuer, Gewerbesteuer) auswirken kann.
21 aa) Für eine Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 AO reicht es aus, dass möglicherweise aus einem einheitlichen Lebensvorgang steuerrechtliche Folgen für (irgend-)eine Steuer sowohl beim Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten zu ziehen sind. Ein und derselbe Sachverhalt soll nach § 174 Abs. 4 und 5 AO bei beiden deckungsgleich —sei es mit denselben oder mit unterschiedlichen Rechtsfolgen— beurteilt werden können (z.B. , BFH/NV 2000, 679; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 174 Rz 56-58).
22 bb) Im Übrigen ist das FG auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Umstand der Zusammenveranlagung der Ehegatten einer Hinzuziehung der Klägerin zu dem Einspruchsverfahren des E nicht entgegensteht. § 26b des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) bestimmt, dass bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtige behandelt werden. Aufgrund dieser Zusammenveranlagung sind die Ehegatten Gesamtschuldner der Einkommensteuer (§ 44 Abs. 1 AO). Für den Fall, dass mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner schulden, ermöglicht das Gesetz gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 AO, den Erlass zusammengefasster Steuerbescheide. Ein in der Form des § 155 Abs. 3 Satz 1 AO ergangener Zusammenveranlagungsbescheid enthält zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte, die ein unterschiedliches (verfahrens-)recht-liches Schicksal haben können (, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545). Verfahrensrechtlich sind die zusammenveranlagten Ehegatten zwei Steuerschuldner (Klein/Rüsken, a.a.O., § 155 Rz 45), folglich auch Dritte im Hinblick auf § 174 Abs. 5 AO.
23 d) Anders als die Klägerin meint, war ihre Hinzuziehung im Zeitpunkt des Bescheids am noch möglich.
24 aa) Grundsätzlich ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.
25 Gegenüber einem Dritten sieht die Rechtsprechung die darin liegende Zurückdrängung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit in Einengung des reinen Gesetzeswortlauts grundsätzlich nur dann als gerechtfertigt an, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird (ständige Rechtsprechung, vgl. grundlegend Senatsurteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Dritte, der nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids hinwirkt und typischerweise deshalb auch keine Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen der Korrektur hat, mit Ablauf der ihn betreffenden Festsetzungsfrist endgültig auf die Bestandskraft der ihm gegenüber erfolgten oder ggf. unterbliebenen Besteuerung vertrauen darf.
26 Wird der Dritte aber förmlich an dem vom bisherigen Steuerschuldner betriebenen Verfahren beteiligt, kann er dieses durch eigene Verfahrenserklärungen beeinflussen. In diesem Fall ist eine Durchbrechung der Bestandskraft auch ihm gegenüber außerhalb der allgemeinen Festsetzungsverjährung gerechtfertigt.
27 Eine schützenswerte Vertrauensposition ist dementsprechend ebenfalls nicht gegeben, wenn der Dritte bereits i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt war (vgl. , BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn er Verfahrensbeteiligter i.S. des § 359 AO oder § 57 der Finanzgerichtsordnung (FGO) war, sondern auch dann, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat, z.B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte (, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764).
28 Entscheidend ist letztlich der Zeitpunkt der erstmaligen Beteiligung des Dritten an dem Verfahren, das die angefochtenen fremden Bescheide zum Gegenstand hat. Um den Vertrauensschutz des Dritten zurückzudrängen, muss seine Beteiligung zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem ihm gegenüber noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. , BFH/NV 2002, 1422). Ist dies der Fall, durchbricht § 174 Abs. 4 Satz 3 AO auch eine zwischenzeitlich gegenüber dem Dritten eingetretene Festsetzungsverjährung. Demzufolge ist seine Hinzuziehung oder Beiladung auch noch zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem Festsetzungsverjährung bereits eingetreten ist. So muss das FG beispielsweise den Dritten auf Antrag des FA trotz zwischenzeitlicher Festsetzungsverjährung beiladen, wenn die Behörde den Dritten zuvor rechtzeitig zum Verfahren hinzugezogen hatte. Nichts anderes kann gelten, wenn sich der Dritte zu unverjährter Zeit „selbst beteiligt” hatte, sich in der Folge dann aber freiwillig aus dem Verfahren zurückgezogen hat.
29 bb) Wie das FG im Ergebnis zutreffend erkannt hat, war die Klägerin bereits vor ihrer Hinzuziehung als Einspruchsführerin (§ 359 AO) an dem Verfahren i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO beteiligt. Damit konnte sie bis zur Rücknahme ihres Einspruchs das gegen den Änderungsbescheid 1998 gerichtete Rechtsbehelfsverfahren beeinflussen.
30 (1) Der erkennende Senat hat keine Zweifel daran, dass der von S eingelegte Einspruch nicht nur E, sondern auch die Klägerin betraf. Dies ergibt sich klar und eindeutig aus dem Einspruchsschreiben sowie den folgenden Schriftsätzen.
31 Legt ein Steuerberater im Namen der von ihm vertretenen Adressaten (hier: Eheleute ...) gegen einen —wie den Zusammenveranlagungsbescheid— an mehrere Steuerpflichtige gerichteten Bescheid und unter Übernahme der dortigen Bezeichnung Einspruch ein, besteht regelmäßig kein Zweifel daran, dass der Einspruch für sämtliche Adressaten erhoben wird, wenn sich nicht aus den Umständen oder einem ausdrücklichen Vorbehalt das Gegenteil ergibt (vgl. , BFH/NV 1996, 521).
32 Ein solcher Ausnahmefall liegt ersichtlich nicht vor. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem kurzen Hinweis, der Einspruch richte sich gegen den Ansatz des Veräußerungsgewinns aus dem Verkauf des Objekts D als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die im Änderungsbescheid zum Ausdruck gekommene Beurteilung des Sachverhalts durch das FA hatte nicht nur für E, sondern auch für die Klägerin Bedeutung. Sie widersprach ihrer eigenen Erklärung der Einkünfte aus dem Objekt D (Vermögensverwaltung und Überschuss der Werbungskosten über die Einnahmen) in gravierender Weise.
33 (2) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Würdigung des FG, S sei bei der Einlegung des Einspruchs nicht als vollmachtloser Vertreter für sie aufgetreten, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Aufgrund der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO), hat der Senat keine Zweifel am Vorliegen einer echten Vollmacht.
34 Die Vollmachtserteilung kann durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten oder gegenüber der Finanzbehörde geschehen. Sie muss nicht schriftlich erfolgen, sondern kann in jeder Form erteilt werden, selbst mündlich oder durch schlüssiges Handeln; erforderlich ist ein Verhalten des Beteiligten, das von einem objektiven, mit allen konkreten Umständen vertrauten Beobachter als Erklärung gewertet werden müsste, dass eine Verfahrensvollmacht erteilt werden soll (Rüsken in Beermann/Gosch, AO § 80 Rz 37).
35 Geben zusammenveranlagte Ehegatten (§ 26b EStG) eine gemeinsame, von jedem unterschriebene Einkommensteuererklärung ab, die nach dem von beiden bekundeten Willen das Besteuerungsverfahren in Gang setzen soll, so liegt schon darin in der Regel die stillschweigende Vollmacht, dass jeder von ihnen auch die im Verlauf dieses Besteuerungsverfahrens und des sich ggf. daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens vorzunehmenden Handlungen mit Wirkung für den anderen Ehegatten vornehmen darf (, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839; vom I R 200/79, nicht veröffentlicht; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 80 AO Rz 84; Schmidt/Seeger, EStG, 32. Aufl., § 26b Rz 16; a.A. Blümich/Ettlich, § 26b EStG Rz 44).
36 Ob dieser Rechtsprechung, nach der allein die Unterschrift der gemeinsamen Einkommensteuererklärung die stillschweigende gegenseitige Bevollmächtigung für ein sich anschließendes Einspruchsverfahren enthalten soll, zu folgen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Vorliegend besteht aufgrund der von der Klägerin und E jahrelang geübten Praxis, nach der grundsätzlich nur E dem gemeinsamen Steuerberater die für die Wahrung ihrer beider steuerlichen Interessen erforderlichen Aufträge erteilte, kein Zweifel, dass er aus Sicht der Klägerin hierzu von ihr —zumindest stillschweigend— bevollmächtigt war. Infolgedessen konnte ES beauftragen, (auch) für die Klägerin tätig zu werden.
37 Unstreitig hat S nicht nur die gemeinsame Einkommensteuerklärung der Eheleute für das Streitjahr vorbereitet, sondern —wie von ihm selbst bestätigt— auch darüber hinaus „die Interessenvertretung der Eheleute ... in steuerlichen Angelegenheiten” übernommen. In seinem Schreiben vom räumt S ein, grundsätzlich seien alle Aufträge in steuerlichen Angelegenheiten über E gelaufen. Von einem Auftrags- und demzufolge Vollmachtsverhältnis zwischen S und E für die Einspruchseinlegung betreffend den geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 geht deshalb auch die Klägerin aus.
38 Der Umstand, dass der Kontakt zu S —wie üblich— hierbei allein über E lief, bedeutet indes nicht, der Auftrag habe S nicht auch zur Einspruchseinlegung zugunsten der Klägerin bevollmächtigt.
39 Die Einlegung des Einspruchs unter Bezeichnung des E und der Klägerin sowie der weitere Verlauf des Rechtsbehelfsverfahrens bis zur Rücknahme des Einspruchs der Klägerin durch die Prozessbevollmächtigten zeigen unmissverständlich, dass S seinen Auftrag auch tatsächlich als „Einspruch für die Eheleute” verstanden und dies in der Folge entsprechend gegenüber den Prozessbevollmächtigten kommuniziert hat.
40 Wären sich die Eheleute tatsächlich —wie die Klägerin nun glauben machen möchte— von Anfang an darüber einig gewesen, dass —aus welchen Gründen auch immer— allein E Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid einlegen sollte, ist nicht zu erklären, warum nicht eine umgehende Klarstellung erfolgte. Denn auch das FA ging ersichtlich von einem Einspruch „für Eheleute ...” aus. Wenn die Klägerin nun den Eindruck zu vermitteln versucht, zunächst der generell auch für sie als steuerlicher Berater tätige S und im weiteren Verlauf ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten hätten über die Dauer von mehr als vier Jahren ein Einspruchsverfahren für sie als vollmachtlose Vertreter geführt, erachtet der Senat dies unter den gegebenen Umständen als unglaubhaft.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 482 Nr. 4
HFR 2014 S. 485 Nr. 6
DAAAE-56264