Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Ausschlussfrist
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: Az: 4 Ca 1334/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 16 Sa 1176/09 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger begehrt von der Beklagten in der Revisionsinstanz noch, gesetzlichen Mindesturlaub (Mindesturlaub) und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (Zusatzurlaub) aus den Jahren 2007 und 2008 abzugelten.
2Die Beklagte beschäftigte den Kläger, der seine Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche erbrachte, vom bis zum als Schlosser. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der „Einheitliche Manteltarifvertrag“ für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom (EMTV), der am in Kraft trat, Anwendung. Dieser enthält ua. folgende Regelungen:
3Der seit dem Jahr 2002 schwerbehinderte Kläger war ua. vom bis zum durchgehend krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift, die der Beklagten am zugestellt worden ist, verlangte er erstmals von der Beklagten, 105 Urlaubtage aus den Jahren 2006 bis 2008 abzugelten.
4Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Urlaubsansprüche seien infolge seiner andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen. Er sei trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert gewesen, die tarifliche Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV einzuhalten.
5Der Kläger hat beantragt,
6Die Beklagte hat die Abweisung der Klage ua. mit der Begründung beantragt, der Kläger habe den Abgeltungsanspruch nicht gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs geltend gemacht.
7Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Mindest- und den Zusatzurlaub aus den Jahren 2006 bis 2008 und damit insgesamt 75 Urlaubstage mit einem Bruttobetrag iHv. 6.544,80 Euro abzugelten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte nur zur Abgeltung des Mindest- und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 mit einem Bruttobetrag iHv. 4.363,00 Euro verurteilt. Mit der von dem Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Abweisung der Klage weiter.
Gründe
8I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des Mindest- und des Zusatzurlaubs aus den Jahren 2007 und 2008 ist gemäß § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV ausgeschlossen, weil der Kläger ihn nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht hat.
91. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein „übriger Anspruch“ iSd. § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV. Vorbehaltlich abweichender Tarifbestimmungen unterfällt ein Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch denselben tariflichen Bedingungen wie alle übrigen Zahlungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien. Dies gilt sowohl für die Abgeltung des Mindesturlaubs (vgl. - Rn. 19) als auch für die Abgeltung des Zusatzurlaubs (vgl. - Rn. 40, BAGE 140, 133).
102. Die Ausschlussfristenregelung des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV verstößt bezüglich der Abgeltung von Urlaub nicht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Diese Bestimmung gebietet nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt ( - Rn. 27). Eine dreimonatige Ausschlussfrist genügt den unionsrechtlichen Anforderungen an die Gleichwertigkeit und Effektivität der Regelung (vgl. - Rn. 28, BAGE 140, 133). Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt oder arbeitsfähig ist (vgl. - Rn. 24). Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht.
113. Der Kläger machte den Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit der Klageschrift vom , die der Beklagten am zugestellt worden ist, geltend. Zu diesem Zeitpunkt war die dreimonatige Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV abgelaufen. Der von dem Kläger erhobene Anspruch entstand mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am und wurde zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. - Rn. 22). Die Ausschlussfrist begann am Folgetag, dem , zu laufen (§§ 186, 187 Abs. 1 BGB) und endete am (§ 188 Abs. 2 Alt. 1 und Abs. 3, § 193 BGB).
124. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts war der Kläger nicht verhindert, „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt“ den Abgeltungsanspruch binnen der in § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV bestimmten Frist gegenüber der Beklagten geltend zu machen.
13a) Die Beantwortung der Frage, ob eine dem Anspruchsverfall entgegenstehende Verhinderung iSd. § 19 Nr. 4 EMTV vorliegt, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalls ab. Deren Feststellung und Würdigung ist vorrangig Aufgabe des Tatrichters, der den vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu beurteilen hat. Ob die Tatbestandsmerkmale „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert“ vorliegen, ist in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Berufungsurteil kann vom Revisionsgericht lediglich darauf überprüft werden, ob das Tatsachengericht alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die Bewertung dieser Aspekte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird und das Ergebnis wie auch die Begründung mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar sind (vgl. - Rn. 27, BAGE 124, 229). Auch dieser eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
14b) Die Revision rügt zu Recht, der von dem Landesarbeitsgericht gezogene Schluss, der Kläger sei „trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt“ an einer fristgerechten Geltendmachung verhindert gewesen, werde von den festgestellten Tatsachen nicht getragen. Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Umgekehrt soll der Gläubiger angehalten werden, innerhalb kurzer Fristen Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen ( - zu II 2 e bb (3) der Gründe, BAGE 103, 71). Die Anforderungen, die § 19 Nr. 2 Buchst. b EMTV an die Fristwahrung stellt, sind denkbar gering. Es genügt eine formlose Geltendmachung des Anspruchs. Mit einer solchen sind weder sachliche Schwierigkeiten noch finanzielle Risiken verbunden. Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass ihm die Unterrichtung der Beklagten, etwa mittels eines Telefonanrufs, nicht möglich oder nicht zumutbar war. Sie sind im Übrigen nicht ersichtlich. Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abstellt, ein fachkundiger Berater hätte es für unnötig gehalten, den von dem Kläger erhobenen Anspruch auch nur vorsorglich gegenüber der Beklagten geltend zu machen, stützt es seine Entscheidung auf ein hypothetisches Geschehen, für das es an Tatsachenfeststellungen fehlt.
15c) Der Hinweis des Klägers, der Senat habe seine Rechtsprechung zur sog. Surrogatstheorie, der zufolge der Urlaubsanspruch eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers am Ende des ersten auf das Urlaubsjahr folgenden Quartals verfalle, erst im Jahr 2009 aufgegeben (vgl. im Einzelnen: - BAGE 130, 119), hilft ihm nicht weiter.
16aa) Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine vergleichbare Rechtsbindung. Die über den Einzelfall hinausreichende Wirkung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht nur auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Ein Gericht kann deshalb von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen, auch wenn keine wesentlichen Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen eingetreten sind. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist somit grundsätzlich unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Es reicht aus, wenn ein Gericht den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes beachtet und ihm erforderlichenfalls durch Billigkeitserwägungen Rechnung trägt (vgl. - Rn. 27).
17bb) Spätestens nach Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom (- 12 Sa 486/06 -) durften sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, der Senat werde die hergebrachte Rechtsprechung unverändert fortführen. Durch dieses Vorabentscheidungsersuchen wurde nicht nur ein einzelner Aspekt, wie das Erlöschen von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit, sondern die überkommene Rechtsprechung zur Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Ganzes infrage gestellt. Davon waren auch die Grundsätze betroffen, die der Senat unter dem Regime der Surrogatstheorie zum Nichteingreifen von tariflichen Ausschlussfristen entwickelt hatte (vgl. - Rn. 31). Der von dem Kläger erhobene Anspruch entstand mit Ablauf des . Angesichts der damaligen von Unsicherheit gekennzeichneten Rechtslage oblag es dem Kläger, seine Ansprüche fristwahrend gegenüber der Beklagten geltend zu machen.
18II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
KAAAE-56052