BVerwG Beschluss v. - 2 B 2/14

Verjährungsregeln des nationalen Rechts bei unionsrechtlichem Staatshaftungsanspruch

Gesetze: § 203 BGB, § 205 BGB, Art 267 Abs 3 AEUV

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 4 B 12.11 Urteil

Gründe

1Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.

2Der Kläger ist beamteter Feuerwehrmann im Dienst des Beklagten. Er hat Ausgleichsansprüche wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit vom bis geltend gemacht. In der Berufungsinstanz hat der Beklagte finanzielle Ausgleichsansprüche für die Jahre 2004 bis 2007 anerkannt; die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt, weil die Ansprüche für die Jahre 2001 bis 2003 verjährt seien. Die dreijährige Verjährungsfrist für die in diesen Jahren entstandenen Ansprüche sei mit Ende der Jahre 2004, 2005 und 2006 jeweils abgelaufen. Die Verjährung sei weder wegen schwebender Verhandlungen noch wegen eines Stillhalteabkommens der Beteiligten gehemmt gewesen.

3Mit der Nichtzulassungsbeschwerde trägt der Kläger vor, die Auslegung und Anwendung der Verjährungsvorschriften, insbesondere der Hemmungsvorschriften, durch das Oberverwaltungsgericht lasse sich nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vereinbaren. Das Oberverwaltungsgericht habe die unionsrechtlichen Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz nicht beachtet. Danach dürften Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt und angewandt werden, dass die Durchsetzung eines unionsrechtlichen Anspruchs erschwert werde. Es dürften keine zusätzlichen, über das nationale Recht hinausgehenden Anforderungen an die Durchsetzung gestellt werden.

4Die nach § 133 Abs. 3 VwGO erforderliche Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine Rechtsfrage von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft und darlegt, dass diese Rechtsfrage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. BVerwG 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4). Die Beantwortung durch ein anderes oberstes Bundesgericht reicht aus, wenn sich das angerufene Bundesgericht dessen Rechtsprechung anschließt (stRspr, vgl. BVerwG 2 B 145.11 - juris Rn. 7).

5Eine konkret entscheidungserhebliche allgemeine Rechtsfrage des Unionsrechts ist rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn hierzu im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV einzuholen ist (stRspr; vgl. BVerwG 2 B 85.11 - NVwZ 2012, 1052 Rn. 5).

6Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen erfüllen diese Anforderungen an die Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht:

7Die Frage, nach welchen Regelungen unionsrechtliche Ausgleichsansprüche wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit verjähren, hat der Senat in dem BVerwG 2 C 70.11 - (NVwZ 2012, 1472) im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH geklärt. In den Urteilsgründen heißt es (unter Rn. 35 ff.):

„Nicht nur der nationalrechtliche Ausgleichsanspruch, sondern auch der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch unterliegt den Verjährungsregeln des nationalen Rechts (vgl. , Aprile - Slg. 1998, I-7164 Rn. 19 m.w.N. und vom - Rs. C-62/00, Marks & Spencer - Slg. 2002, I-6348 Rn. 35 m.w.N.). Fehlen - wie hier - spezielle Verjährungsvorschriften des einschlägigen Fachrechts, so sind die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend anzuwenden. Dabei ist nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch maßgebenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelung als die sachnächste analog heranzuziehen ist (vgl. BVerwG 2 C 10.05 - Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 45 Rn. 19, vom - BVerwG 3 A 2.05 - BVerwGE 128, 99 = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 20 <jeweils Rn. 45> und vom - BVerwG 3 C 37.07 - BVerwGE 132, 324 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 11 <jeweils Rn. 8>).

Da es sich auch beim unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht um einen Schadensersatzanspruch im Sinne der zivilrechtlichen Vorschriften (§ 199 Abs. 2 und 3 BGB) handelt, unterliegen beide Ansprüche den allgemeinen Verjährungsregelungen und damit nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am der regelmäßigen Verjährung von drei Jahren. Vorher entstandene Ansprüche unterlagen der dreißigjährigen Verjährungsfrist, die aber nach der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 und 4 EGBGB auf die ab dem gemäß § 195 BGB geltende und an diesem Tag beginnende regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren verkürzt worden ist.

Bei den monatsweise entstandenen Ausgleichansprüchen beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des jeweiligen Jahres (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Außerdem muss der Gläubiger von der Person des Schuldners und den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt haben oder diese ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen können (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB)...."

8Aus der Geltung der allgemeinen Verjährungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs folgt zwingend, dass auch die Regelungen über die Hemmung der Verjährung nach §§ 203 f. BGB auf die unionsrechtlichen Ausgleichsansprüche Anwendung finden. Dies hat der Senat in dem Urteil vom (a.a.O. Rn. 38) bereits für die Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB ausgesprochen.

9Der Bedeutungsgehalt der vom Oberverwaltungsgericht geprüften Vorschriften über die Hemmung der Verjährung wegen schwebender Verhandlungen nach § 203 BGB und wegen vorübergehender Leistungsverweigerung des Schuldners aufgrund einer Vereinbarung (sog. Stillhalteabkommen) nach § 205 BGB ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt. Danach schweben Verhandlungen im Sinne von § 203 BGB, wenn ein Beteiligter Erklärungen abgibt, die der anderen Seite die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein ( - NJW-RR 2007, 1383 Rn. 32; Beschluss vom - IX ZR 91/08 - juris Rn. 8). Ein sog. Stillhalteabkommen im Sinne von § 205 BGB setzt voraus, dass die Beteiligten eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung mit dem Inhalt getroffen haben, dass der Schuldner vorübergehend berechtigt ist, die Leistung zu verweigern, und der Gläubiger in dieser Zeit auf die Verfolgung seiner Ansprüche verzichtet ( - NJW-RR 2011, 208 Rn. 15).

10Das Oberverwaltungsgericht hat sich der dargestellten Senatsrechtsprechung und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu §§ 203, 205 BGB in dem Berufungsurteil angeschlossen und sie auf den festgestellten Sachverhalt angewandt. Soweit der Kläger in der Beschwerdebegründung geltend macht, die Verjährung seiner Ausgleichsansprüche für die Jahre 2001 bis 2003 sei gehemmt gewesen, zeigt er keinen über den Einzelfall hinausgehenden Klärungsbedarf auf, sondern wendet sich gegen die fallbezogene rechtliche Würdigung der Tatsachen durch das Oberverwaltungsgericht. Damit kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.

11Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV kommt nicht in Betracht, weil keine Zweifel daran bestehen, dass Unionsrecht der Auslegung und Anwendung der angewandten Vorschriften über die Verjährungshemmung nicht entgegen steht. Das Oberverwaltungsgericht ist nicht von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen.

12Ein Verstoß gegen das Gebot der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts (Effektivitätsgrundsatz) liegt schon deshalb nicht vor, weil insoweit keine unionsrechtlichen Vorgaben bestehen. Wie dargestellt unterliegt der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch, auf den die Ansprüche des Klägers auf finanziellen Ausgleich gestützt sind, nach der Rechtsprechung des EuGH den Verjährungsregeln des nationalen Rechts. Dies bedeutet zwangsläufig, dass die Durchsetzbarkeit des unionsrechtlichen Anspruchs in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Die Hemmungsvorschriften der §§ 203, 205 BGB in der Auslegung durch den Bundesgerichtshof sind nicht geeignet, eine wirkungsvolle Durchsetzung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs zu verhindern oder unverhältnismäßig zu erschweren. Die fallbezogene Anwendung der Vorschriften mit einem für den Anspruchsinhaber ungünstigen Ergebnis ist nicht geeignet, einen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu begründen.

13Auch ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz scheidet aus. Danach darf die Durchsetzung unionsrechtlicher Ansprüche nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die Durchsetzung vergleichbarer Ansprüche aus nationalem Recht (, Bulicke, Slg. 2010 I-7003 Rn. 25 f.; BVerwG 2 B 145.11 - juris Rn. 8). Dies ist hier nicht der Fall, weil die Verjährungsvorschriften der §§ 194 BGB einschließlich der Vorschriften über die Hemmung gleichermaßen auf nationale und unionsrechtliche Ansprüche anzuwenden sind, die sich aus dem selben Lebenssachverhalt ergeben. Demnach unterliegt die Durchsetzung des unionsrechtlichen Anspruchs auf finanziellen Ausgleich wegen Zuvielarbeit denselben Verjährungsregeln wie der konkurrierende Ausgleichsanspruch nach nationalem Recht (Urteil vom a.a.O. Rn. 35).

14Auch der Revisionszulassungsgrund des Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht deshalb gegen die Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil es keine Zeugen zu dem Inhalt der Gespräche vernommen hat, die ab 2001 zwischen Vertretern der Senatsverwaltung des Innern des Beklagten und der Gewerkschaft der Polizei stattgefunden haben. Da der Kläger in der Berufungsverhandlung keine Beweisanträge gestellt hat, wäre das Oberverwaltungsgericht nur verpflichtet gewesen, eine Beweisaufnahme durchzuführen, wenn sich ihm diese nach dem Vortrag des Klägers hätte aufdrängen müssen (stRspr; vgl. BVerwG 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25).

15Dies ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil sich aus dem Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Hemmungstatbestand nach §§ 203, 205 BGB erfüllt gewesen sein könnte. Die Hemmung der Verjährung nach diesen Vorschriften setzt voraus, dass die individuellen Ansprüche des jeweiligen Gläubigers Gegenstand von Verhandlungen oder eines sog. Stillhalteabkommens mit dem Schuldner sind. Dagegen erörterten der Beklagte und die Gewerkschaft nach dem Vortrag des Klägers in ihren Gesprächen die Möglichkeiten einer Gesamtlösung für die Abgeltung der Zuvielarbeit bei der Feuerwehr des Beklagten. Ein bestimmtes Ergebnis dieser Gespräche hätte dem Beklagten als Grundlage für die Behandlung der individuellen Ausgleichsansprüche dienen können. Es wäre aber für den einzelnen Feuerwehrbeamten nicht verbindlich gewesen. Zudem hat der Beklagte nicht wegen dieser Gespräche auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Fundstelle(n):
JAAAE-55397