Notwehr: Erforderlichkeit einer Verteidigungshandlung unter Einsatz eines Baseballschlägers
Gesetze: § 32 Abs 2 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB
Instanzenzug: LG Verden Az: 1 Ks 230 Js 27415/12 (105/12)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zu dessen Freispruch. Die Revision des Nebenklägers, der insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift und die Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts erstrebt, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ der Angeklagte den Nebenkläger in seine Wohnung ein. Auf eine Bemerkung des Angeklagten, die dessen Verhältnis zu der Lebensgefährtin des Nebenklägers betraf, griff der Nebenkläger in Richtung des Halses des Angeklagten. Diesem gelang es, den Nebenkläger abzuwehren und bis zur Wohnungstür zurückzudrängen, wobei er sich in einem Gerangel mit dem Nebenkläger mehrere Kratzverletzungen zuzog. Der Nebenkläger ergriff einen neben der Wohnungstür stehenden Baseballschläger mit einem Schlagkopf aus Metall und richtete sich damit gegen den Angeklagten. Dieser entwendete dem Nebenkläger den Baseballschläger und schlug ihm damit einmal gegen den Kopf, um auf diese Weise weitere körperliche Angriffe des Nebenklägers auf ihn zu unterbinden. Infolge des Schlages erlitt der Nebenkläger eine 12 cm lange Wunde sowie eine Gehirnerschütterung. Bei dem Versuch, nunmehr aus der Wohnung zu gelangen, stürzte er, weil ihm schwindelig war; dabei zog er sich weitere schwere Kopfverletzungen zu.
3Das Landgericht hat das Geschehen rechtlich als gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewertet. Es hat den Schlag mit dem Baseballschläger nicht gemäß § 32 StGB als durch Notwehr gerechtfertigt angesehen, obwohl der Angeklagte sich einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff gegenübergesehen habe und sein Verhalten von einem Verteidigungswillen getragen sowie zur Abwehr des Angriffs geeignet gewesen sei. Der Angeklagte habe den Nebenkläger jedoch aus der Wohnung hinausdrängen können; deshalb fehle es an der Erforderlichkeit der Abwehrhandlung. Die Tat sei auch nicht nach § 33 StGB entschuldigt, weil der Angeklagte trotz einer ängstlich vermeidenden sowie einer abhängigen asthenischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60. 6 und 7) die Grenzen der Notwehr nicht aufgrund eines asthenischen Affekts im Sinne des § 33 StGB überschritten habe.
42. Der Angeklagte war auf seine Revision freizusprechen, weil nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen der Notwehr gegeben sind. Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung insbesondere erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB.
5a) Ob eine Verteidigungshandlung in diesem Sinne erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Der Angegriffene darf sich grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Dies schließt auch den Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen ein. Von mehreren Abwehrmitteln, die dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stehen, hat er das mildeste zu verwenden, wenn dessen Einsatz ebenfalls die sofortige und endgültige Abwehr des Angriffs verspricht. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer objektiven ex-ante-Betrachtung zu entscheiden. Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an. Auf weniger gefährliche Abwehrmittel muss der Angegriffene nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unter den gegebenen Umständen unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20 mwN).
6b) Nach diesen Maßstäben durfte sich der Angeklagte wie geschehen mit einem Schlag mit dem Baseballschläger verteidigen. Die Feststellungen belegen nicht, dass ein Hinausdrängen aus der Wohnung den Angriff des Nebenklägers ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beendet hätte. Im Gegenteil: Der Angeklagte hatte den Nebenkläger bereits nach dem ersten Angriff in Richtung Wohnungstür gedrängt. Bei dem daraus entstehenden Gerangel hatte der Nebenkläger den Angeklagten verletzt. Sodann hatte er den Angriff auf den Angeklagten mit dem Ergreifen des Baseballschlägers noch einmal intensiviert. Bei einem weiteren Zurückdrängen des Nebenklägers durch den Angeklagten drohte deshalb naheliegend eine weitere Gegenwehr mit der möglichen Folge weiterer Verletzungen des Angeklagten. In dieser sich dynamisch entwickelnden Situation, die aus Sicht des Angeklagten eine schnelle, sichere und endgültige Beseitigung der Gefahr erforderte, brauchte er sich nicht auf Mittel und Möglichkeiten verweisen lassen, deren Abwehrerfolg derart ungewiss war.
7c) Da lediglich ein Mangel in der rechtlichen Würdigung vorliegt und auszuschließen ist, dass weitergehende Feststellungen getroffen werden können, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 354 Abs. 1 StPO).
83. Der Entschädigungsanspruch des Angeklagten für die erlittene Polizei-und Untersuchungshaft folgt aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 1 und 2 StrEG. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1, § 473 Abs. 1 StPO. Damit sind die diesbezüglichen Rechtsmittel des Angeklagten gegenstandslos.
Becker Hubert Schäfer
Mayer Spaniol
Fundstelle(n):
QAAAE-54550