Aussagen von Bediensteten der Finanzverwaltung vor Gericht; Wahrung des Steuergeheimnisses
1 Amtsgeheimnis/Amtsverschwiegenheit
Bedienstete der Finanzverwaltung (Beamte/Tarifbeschäftigte) bedürfen für Aussagen vor den Gerichten über Angelegenheiten, die ihnen bei ihrer amtlichen/dienstlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, der Genehmigung des Dienstvorgesetzten (Beamte gem. § 37 BeamtStG, Tarifbeschäftigte gem. § 3 TV-L).
Die Erteilung der Aussagegenehmigung [1] durch den Dienstvorgesetzten befreit nur von der Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit.
2 Steuergeheimnis
Die Aussagegenehmigung entbindet den Bediensteten nicht von der Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses, weil das gesetzliche Gebot des § 30 AO für den Dienstvorgesetzten oder eine vorgesetzte Dienstbehörde nicht disponibel ist. Trotz erteilter Aussagegenehmigung ist deshalb jeweils nach Lage des einzelnen Falles zu prüfen, ob durch das Steuergeheimnis geschützte Kenntnisse im Hinblick auf § 30 Abs. 4 und 5 AO offenbart werden dürfen.
2.1 Aussagen als Zeuge
Die Offenbarungsbefugnisse gem. § 30 Absätze 4 und 5 AO richten sich nach der Art des gerichtlichen Verfahrens.
2.1.1 Im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich die Offenbarungsbefugnis aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO [2]. Die Offenbarung dient steuerlichen Zwecken. Die Verhältnisse des Steuerpflichtigen und die Verhältnisse Dritter dürfen jedoch nur offenbart werden, wenn und soweit sie unmittelbare Bedeutung für die Entscheidung der Streitsache haben.
Warenbezug, Leistungsaustausch. Die Verhältnisse der Vertragspartner dürfen offenbart werden, wenn und soweit sie Streitgegenstand sind.
Äußerer Betriebsvergleich für Zwecke der Nachkalkulation. Es darf nicht offenbart werden, wessen Verhältnisse den Vergleichswerten zugrunde liegen.
2.1.2 Im Strafverfahren/Bußgeldverfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit ist die Offenbarung vornehmlich nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig, soweit sie der Durchführung dieses Verfahrens, d. h. der Verfolgung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit dient [3]. Dies gilt auch bezüglich allgemeiner Straftaten, wenn sie mit der Steuerstraftat untrennbar verknüpft sind und damit einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen.
Steuerhinterziehung durch Urkundenfälschung oder Falschaussage unter Eid.
Über die Verhältnisse anderer Personen als der Beschuldigten darf ausgesagt werden, wenn und soweit diese Verhältnisse mit der Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist, Zusammenhängen:
Aussage über die Vorteile eines Dritten, zu dessen Gunsten der Beschuldigte die Steuerstraftat/-ordnungswidrigkeit begangen hat; Mittäterschaft.
Bei Fragen des Richters, des Staatsanwalts oder des Verteidigers des Beschuldigten darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Beantwortung der Durchführung des Verfahrens dient. Im Zweifel hat das Gericht zu entscheiden, ob eine Frage im Hinblick auf das Steuergeheimnis zulässig ist. Bei Fragen von Prozessbeteiligten, die mit dem Gegenstand des Verfahrens offensichtlich nichts zu tun haben, ist dem Gericht zu erklären, dass das Steuergeheimnis die Aussage verbietet:
Frage nach einer Unterhaltsverpflichtung des Beschuldigten in einer Umsatzsteuersache (nicht beantworten)
2.1.3 Im allgemeinen Strafverfahren wegen einer nichtsteuerlichen Straftat sind – sofern der Beschuldigte nicht zustimmt – Zeugenaussagen nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nrn. 4 und 5 [4] sowie Abs. 5 AO zulässig. Die in der Strafprozessordnung begründeten Auskunftsansprüche der Strafverfolgungsbehörden treten hinter § 30 AO zurück.
Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die allgemeine Straftat in Tatmehrheit mit einer Steuerstraftat begangen worden ist:
Erkenntnisse über Diebstahl, die mit der Steuerstraftat nicht in Zusammenhang stehen (nicht beantworten)
2.1.4 Im zivilgerichtlichen Verfahren steht das Steuergeheimnis einer Aussage grundsätzlich entgegen, es sei denn, der Betroffene hat durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt oder vor Gericht (Protokollierung vor einer Aussage des Bediensteten) der Offenbarung zugestimmt.
Aussage in einem Rechtsstreit Steuerpflichtiger ./. Steuerberater über Inhalt und Qualität von Schriftsätzen des Steuerberaters
Die Verhältnisse des Steuerberaters und die des Steuerpflichtigen sind jeweils die eines „anderen” i. S. d. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO. Daher müssen beide ihre Zustimmung zur Offenbarung erteilen. Die Protokollierung dieser Zustimmungen muss vor einer Aussage der Bediensteten erfolgen.
In Amtshaftungsprozessen (zivilrechtliche Verfahren gegen das Land Niedersachsen) wegen steuerlicher Falschbehandlung trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Infolgedessen stimmt er konkludent einer Offenbarung seiner streitbefangenen Angelegenheit/Verhältnisse zu, soweit dies zur Aufklärung seiner vermeintlichen Ansprüche erforderlich ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO); steuerliche Verhältnisse Dritter sind davon nicht erfasst.
2.2 Aussagen als Sachverständiger
Die vorstehend unter Ziffer 2.1 dargelegten Grundsätze für Aussagen von Bediensteten als Zeugen gelten für Aussagen als Sachverständige entsprechend.
2.3 Aussagen als Beschuldigter
Wird ein Bediensteter einer Straftat im Amt oder einer anderen strafbaren Handlung bei Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit beschuldigt, so kann er Verhältnisse eines anderen auch ohne dessen Zustimmung offenbaren, soweit sich diese unmittelbar auf den Gegenstand der Anklage beziehen und die Offenbarung zu seiner Verteidigung unbedingt erforderlich ist. Die Befugnis hierzu ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO, weil die Aussage im Hinblick auf die Aufklärung dienstlicher Verfehlung und das Recht des Bediensteten auf Verteidigung im zwingenden öffentlichen Interesse liegt.
Bei dem strafrechtlichen Verfahren gegen einen Bediensteten handelt es sich um ein eigenständiges Verfahren, das in der Regel nicht der Durchführung eines steuerlichen Verfahrens i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO dient. Lediglich wenn Anhaltspunkte für eine Steuerverkürzung oder andere Verletzung steuerlicher Pflichten durch den Steuerpflichtigen – nicht den Bediensteten – bestehen, lässt sich die Offenbarungsbefugnis auf § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO stützen. Aber selbst dann tritt § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO lediglich neben § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (zwingendes öffentliches Interesse), weil Grund der Offenbarungsbefugnis in erster Linie die Wahrung der Grundrechte des Bediensteten ist.
3 Muster Aussagegenehmigung
Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 37 Abs. 3 Beamtenstatusgesetz in der < Strafsache/Finanzgerichtssache/etc > gegen <Name/Name>
Ladung des <Name des Gerichts>
(Geschäftszeichen <Geschäftszeichen>)
Sehr geehrte<r> <Frau/Herr>,
ich erteile Ihnen hiermit gem. § 37 Abs. 2 und 3 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern – Beamtenstatusgesetz – (BeamtStG, Fassung vom , gültig ab ) die Genehmigung, in der <Strafsache/Finanzgerichtssache/etc.> gegen <Name/Name> als Zeuge<in> auszusagen.
Diese Genehmigung befreit Sie nur von der Pflicht zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit. Sie erstreckt sich nicht auf Fragen, durch deren Beantwortung das Steuergeheimnis (§ 30 AO) verletzt würde.
Mit freundlichen Grüßen
OFD Niedersachsen v. - S
0130 - 405 - St
142
Fundstelle(n):
AO-Kartei
NI AO §
30 Karte 15 - 1730 - 09.01.2014
AO-StB 2014 S. 109 Nr. 4
DB 2014 S. 925 Nr. 17
LAAAE-53156
1OFD Niedersachsen, Personalkartei P 10-12 Karte 1; Muster s. 3