BGH Urteil v. - II ZR 394/12

Insolvenz des Mieters: Vermieter als Altgläubiger bei Insolvenzverschleppung

Leitsatz

Ein Vermieter, der dem Mieter vor Insolvenzreife Räume überlassen hat, ist regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, weil er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können.

Gesetze: § 15a Abs 1 InsO, § 109 Abs 1 InsO, § 119 InsO, § 823 Abs 2 BGB

Instanzenzug: Az: 7 U 862/11vorgehend LG Erfurt Az: 10 O 1490/10

Tatbestand

1Die Kläger vermieteten an die R.   GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), deren Geschäftsführer die Beklagten waren, mit Mietvertrag vom Geschäftsräume in E.   für einen monatlichen Mietzins einschließlich Betriebskosten von 10.367,80 € vom bis mit Verlängerungsoption. § 3 Abs. 5 des schriftlichen Mietvertrages enthält folgende Regelung:

Bleibt der Mieter mit dem monatlichen Mietzins länger als 2 Monate im Rückstand, so ist der Vermieter zur fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Ferner ist der Vermieter im Falle des Konkurses, des Vergleichs oder der Zahlungseinstellung des Mieters zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages berechtigt.

2Die Schuldnerin zahlte im November 2009 nur einen Teil der Miete, im April 2009 und von Februar 2010 bis September 2010 zahlte sie keine Miete. Am 4. Februar, 5. März, 8. April und kündigten die Kläger das Mietverhältnis wegen Nichtzahlung des Mietzinses jeweils fristlos. In einem Räumungsvergleich vom verpflichtete sich die Schuldnerin, die Geschäftsräume zum zu räumen und den Mietzins für Juli und August 2010 noch zu zahlen. Am beantragten die Beklagten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, das am eröffnet wurde.

3Die Kläger haben von den Beklagten die Zahlung von 129.913,41 € nebst Zinsen mit der Begründung verlangt, diese seien ihnen in Höhe der von der Schuldnerin nicht bezahlten Mietzinsen und der Mietkaution zum Schadensersatz verpflichtet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen der Kläger zur Zahlung von 98.768 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Abtretung der Mietzinsansprüche der Kläger gegen die Schuldnerin verurteilt. Dagegen richten sich die vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten.

Gründe

4Die Revisionen haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden wurde, und zur vollständigen Abweisung der Klage.

5I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten schuldeten den Klägern nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO Schadensersatz in Höhe von 98.768 €, den Mietzins für die Monate April 2009 und Februar 2010 bis September 2010 sowie den Restmietzins für November 2009. Die Schuldnerin sei bereits zum insolvenzrechtlich überschuldet gewesen. Die Kläger seien hinsichtlich der Mietzinsen Neugläubiger und nicht Altgläubiger, weil der Mietzinsanspruch nach Insolvenzreife entstanden sei. Es sei auch anzunehmen, dass die Kläger bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung von ihrem mietvertraglich eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch gemacht und das Mietverhältnis fristlos gekündigt hätten.

6II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Kläger können den Mietzinsausfall nicht als Neugläubiger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO ersetzt verlangen.

71. Die Neugläubiger einer GmbH haben bei einem schuldhaften Verstoß der Geschäftsführer gegen die Insolvenzantragspflicht einen Anspruch gegen diese auf Ausgleich des Schadens, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft getreten sind (, BGHZ 126, 181, 198; Urteil vom - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13; Urteil vom - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15; Urteil vom - II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 13). Das Verbot der Insolvenzverschleppung dient nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern hat auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit durch das Auftreten solcher Gebilde nicht Gläubiger geschädigt oder gefährdet werden (, BGHZ 126, 181, 194; Urteil vom - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 60; Urteil vom - II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 13). Soweit § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO potenzielle Neugläubiger vor der Eingehung solcher Geschäftsbeziehungen mit einer insolvenzreifen GmbH schützen soll, geschieht dies zu dem Zweck, sie davor zu bewahren, einer solchen Gesellschaft noch Geld- oder Sachkredit zu gewähren und dadurch einen Schaden zu erleiden. Anders als der Schaden der Altgläubiger, der in der durch die Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, liegt der Schaden eines Neugläubigers deshalb darin, dass er der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt hat, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen (, BGHZ 164, 50, 60; Urteil vom - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13; Urteil vom - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 40; Urteil vom - II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 13). Es handelt sich um den Ersatz eines Vertrauensschadens, der dadurch entsteht, dass der Gläubiger mit dem Schuldner einen Vertrag schließt und eine Vorleistung erbringt.

82. Die Kläger sind keine Neu-, sondern Altgläubiger. Ein Vermieter, der dem Mieter vor Insolvenzreife Räume überlassen hat, ist regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, weil er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können (vgl. OLG Stuttgart, ZIP 2012, 2342, 2343).

9a) Wenn ein Dauerschuldverhältnis vor Insolvenzreife begründet wurde, ist der Gläubiger für seine nach Insolvenzreife fällig werdenden, aber ohne Gegenleistung bleibenden Leistungen Alt- und nicht Neugläubiger, weil der Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht nicht ursächlich für den Vertragsabschluss und damit für die Geld- oder Sachleistung nach Insolvenzreife ist, der Gläubiger bei Eintritt der Insolvenzreife vielmehr bereits in vertragliche Beziehungen zur Schuldnerin getreten war. Anders ist dies dann, wenn das Dauerschuldverhältnis mit Insolvenzeröffnung endet oder gekündigt werden kann (, BGHZ 171, 46 Rn. 13 f.) oder eine Lösung vom Vertrag bei Stellung eines Eröffnungsantrags möglich ist. Dann kann die Fortsetzung des vertraglichen Verhältnisses darauf beruhen, dass der Gläubiger seine Leistung im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft fortsetzt, obwohl er sich bei Kenntnis der Insolvenzreife vom Vertrag gelöst hätte.

10b) Die Kläger konnten sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietverhältnis mit der Schuldnerin lösen.

11aa) Das Mietverhältnis endete weder mit der Insolvenzeröffnung noch konnte es bei Insolvenzreife und Stellung eines Eröffnungsantrags von den Klägern gekündigt werden. Ein Mietverhältnis endet nicht mit der Insolvenzeröffnung (§ 108 InsO; vgl. , BGHZ 171, 46 Rn. 14) und kann vom Vermieter nicht außerordentlich bei Insolvenzreife oder Insolvenzeröffnung gekündigt werden.

12bb) Die Kläger konnten das Mietverhältnis auch nicht fristlos aufgrund des vereinbarten Sonderkündigungsrechts bei Konkurs oder Zahlungseinstellung kündigen. Eine in einem Mietvertrag vereinbarte insolvenzabhängige Lösungsklausel ist nach allgemeiner Ansicht unwirksam (vgl. OLG Hamm, NZM 2002, 343; OLG Düsseldorf, OLGR 2007, 125, 127; MünchKommInsO/Eckert, 3. Aufl., § 109 Rn. 79; MünchKommInsO/Huber, 3. Aufl., § 119 Rn. 21, 70 und 72; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO, Stand November 2010, § 112 Rn. 13; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 119 Rn. 22; Braun, InsO, 4. Aufl., § 112 Rn. 2; HambKomm/Ahrendt, InsO, 4. Aufl., § 119 Rn. 5; Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 10. Aufl., § 542 BGB Rn. 147; vgl. auch , BGHZ 195, 348 Rn. 9 ff. zu Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie).

13Jedenfalls ist die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenzeröffnung unwirksam. Nach § 119 InsO sind Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam. Die vertragliche Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenzeröffnung beschränkt die Anwendung der §§ 108 ff. InsO. Das Mietverhältnis über Räume besteht nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO im Fall der Insolvenzeröffnung fort. Nach § 109 Abs. 1 InsO kann es nur der Verwalter kündigen. Der Vermieter kann es gemäß § 112 InsO nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht einmal wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, oder wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners kündigen. Die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für den Fall der Insolvenz (oder des Konkurses) ist als Vereinbarung eines solchen, unwirksamen Kündigungsrechts im Fall der Insolvenzeröffnung auszulegen.

14Auch auf das im Mietvertrag enthaltene Kündigungsrecht für den Fall der Zahlungseinstellung, die nicht festgestellt ist, hätten die Kläger eine fristlose Kündigung nicht stützen können, wenn die Beklagten pflichtgemäß einen Eröffnungsantrag gestellt hätten. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Vermieter das Mietverhältnis weder wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, noch wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners kündigen (§ 112 InsO). Da die Vermögensverschlechterung kein gesetzlicher Kündigungsgrund ist, werden davon gerade entsprechende Vertragsklauseln erfasst (Uhlenbruck/Wegener, InsO, 13. Aufl., § 112 Rn. 13; Karsten Schmidt/Ringstmeier, InsO, 18. Aufl., § 112 Rn. 20). Die Zahlungseinstellung, die die Zahlungsunfähigkeit vermuten lässt (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), ist ein solcher Fall der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, so dass aus einer darauf gestützten Kündigungsklausel ab dem Eröffnungsantrag kein Kündigungsrecht abgeleitet werden kann.

15III. Die Sache ist zur Endentscheidung reif. Den Altgläubigerschaden können die Kläger nicht einklagen. Solange das Insolvenzverfahren andauert, ist er allein von dem Insolvenzverwalter und nicht den Gläubigern geltend zu machen (, BGHZ 171, 46 Rn. 12). Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Eingehungs- oder Prozessbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

Bergmann                   Caliebe                      Drescher

                   Born                      Sunder

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 3073 Nr. 51
DB 2013 S. 8 Nr. 51
DB 2014 S. 48 Nr. 1
GmbH-StB 2014 S. 43 Nr. 2
GmbHR 2014 S. 89 Nr. 2
NJW 2014 S. 698 Nr. 10
NJW 2014 S. 8 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2014 S. 88
StBW 2014 S. 351 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2014 S. 239
WM 2013 S. 2369 Nr. 50
ZIP 2013 S. 97 Nr. 50
ZIP 2014 S. 23 Nr. 1
KAAAE-51104