BSG Urteil v. - B 3 KR 30/12 R

Instanzenzug: Az: S 8 KR 382/09vorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 113/10 Urteil

Tatbestand

1In dem von der klagenden Gesellschaft betriebenen Krankenhaus wurde der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patient L. O. (Versicherter) in der Zeit vom 31.3. bis zum wegen der Folgen seiner Diabeteserkrankung behandelt; unter anderem wurde ein Fuß amputiert. Das Krankenhaus kodierte die Hauptdiagnose ICD-10 I 70.24 (Atherosklerose der Extremitätenarterien: Bein-Becken-Typ, mit Gangrän) und rechnete auf der Grundlage der Diagnosis Related Group (DRG) F 28 A (Amputation bei Kreislauferkrankungen außer obere Extremität und Zehen ohne Gefäßeingriff mit äußerst schweren oder schweren Komplikationen oder Komorbiditäten <CC>) eine Vergütung in Höhe von 8020,47 Euro ab (Rechnung vom ), die von der Beklagten zunächst auch bezahlt worden ist.

2Im Jahre 2006 fand eine Kassenprüfung stationärer Behandlungsfälle durch das Bundesversicherungsamt statt, bei der die Beklagte auf nach Ansicht der Aufsichtsbehörde unplausible Abrechnungsfälle hingewiesen wurde. Hierzu gehörte auch der vorliegende Behandlungsfall, weil die Kodierung der Atherosklerose (ICD-10 I 70.24) als Hauptdiagnose zweifelhaft erschien. Die Beklagte beauftragte am den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD-BEV) mit einer Begutachtung der Abrechnung. Dieser zeigte der Klägerin noch am gleichen Tage den Begutachtungsauftrag an, wies auf Zweifel wegen der Kodierung der Hauptdiagnose hin, bat um Übersendung der Behandlungsunterlagen und kam in seiner Stellungnahme vom zu dem Ergebnis, auf der Grundlage des Entlassungsberichts vom sei die DRG-Fallpauschale K 01 B abzurechnen, weil gemäß den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) D 003 b und D 0401 ICD-10 E 11.70 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus - Typ II-Diabetes - mit multiplen Komplikationen: nicht als entgleist bezeichnet) als Hauptdiagnose und I 70.24 nur als Nebendiagnose zu kodieren sei. Die Beklagte berechnete daraufhin den Behandlungsfall nach der DRG-Fallpauschale K 01 B, kam dabei zu einer Überzahlung in Höhe von 931,75 Euro und forderte die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrages auf (Schreiben vom ). Am erklärte sie dann die Aufrechnung mit einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegen eine unstreitige Vergütungsforderung des Krankenhauses über 1531,77 Euro aus der Behandlung der Versicherten M. M. (19.4. bis ) und zahlte deshalb nur den Differenzbetrag von 600,02 Euro.

3Die Klägerin hält die Aufrechnung für unwirksam, weil die Abrechnungsprüfung unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durchgeführt worden und die Beklagte deshalb mit ihrem Einwand gegen die Richtigkeit der Abrechnung ausgeschlossen gewesen sei. Zudem sei die Forderung erst am und damit verspätet zur Aufrechnung gestellt worden, weil die vierjährige Verjährungsfrist (analog § 45 Abs 1 SGB I) am abgelaufen sei. Hilfsweise bestreitet sie die unrichtige Kodierung der Hauptdiagnose in ihrer Abrechnung vom .

4Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom ): Für die Behandlung des Versicherten hätte die Klägerin nur die DRG-Fallpauschale K 01 B berechnen dürfen, wie sich aus der überzeugenden Stellungnahme des MD-BEV vom ergebe. Mit den Ausführungen des MD-BEV habe sich die Klägerin nicht im Einzelnen auseinandergesetzt, sondern diese nur pauschal angezweifelt, indem sie vorgetragen habe, weiterhin von der Richtigkeit der Abrechnung vom überzeugt zu sein. Daher habe es keinen Anlass gegeben, Ermittlungen "ins Blaue hinein" anzustellen. Der durch die Überzahlung entstandene Erstattungsanspruch sei auch rechtzeitig geltend gemacht worden, weil die Sechswochenfrist des § 275 Abs 1c SGB V für die Einleitung eines Prüfverfahrens durch den Medizinischen Dienst erst für Krankenhausbehandlungsfälle aus der Zeit ab gelte. Ein zum Anspruchsausschluss führender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht erkennbar, weil eine Verpflichtung zur "zeitnahen" Abrechnungsprüfung für Behandlungsfälle aus dem Jahre 2004 nicht existiere. Der Erstattungsanspruch sei auch nicht verjährt, weil die an sich bis zum laufende Verjährungsfrist durch das am eingeleitete Prüfverfahren entsprechend § 204 Abs 1 Nr 8 BGB gehemmt gewesen sei.

5Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Erstattungsanspruch sei nach § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 242 BGB wegen Verwirkung ausgeschlossen, weil eine Verpflichtung zur "zeitnahen" Überprüfung einer Abrechnung durch den Medizinischen Dienst aufgrund des allgemeinen Beschleunigungsgebots immer schon bestanden habe. Die Zeitnähe sei hier nicht gewahrt worden, weil der MD-BEV erst mehr als vier Jahre nach der Rechnungserteilung eingeschaltet worden sei. Außerdem sei der Anspruch am verjährt gewesen, weil die vierjährige Verjährungsfrist (analog § 45 Abs 1 SGB I) durch die Einleitung des Prüfverfahrens nach § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 204 Abs 1 Nr 8 BGB nicht gehemmt worden sei; denn das Prüfverfahren nach § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V sei kein "vereinbartes Begutachtungsverfahren" iS des § 204 Abs 1 Nr 8 BGB. Hilfsweise rügt die Klägerin, das LSG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, eigene Ermittlungen zu Grund und Höhe des von ihr bestrittenen Erstattungsanspruchs anzustellen (§ 103 SGG).

6Die Klägerin beantragt,die Urteile des Sächsischen - und des zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 931,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit zu zahlen.

7Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Gründe

8Die Revision der Klägerin ist zulässig und in der Sache auch begründet. Zu Unrecht war die Klage in den Vorinstanzen erfolglos. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 931,75 Euro aufgrund der stationären Krankenhausbehandlung der Versicherten M. (19.4. bis ) zu. Der Vergütungsanspruch wegen dieser am abgerechneten Krankenhausbehandlung in Höhe von 1531,77 Euro ist durch die Zahlung der Beklagten in Höhe von 600,02 Euro erloschen (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 362 Abs 1 BGB). Der Restbetrag von 931,75 Euro ist aber weiterhin offen, weil die erklärte Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch unwirksam war. Dabei kann die Frage offen bleiben, ob der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach überhaupt entstanden ist; denn er war auf jeden Fall nicht mehr durchsetzbar.

91. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Streitgegenstand ist der Anspruch eines Leistungserbringers gegen eine Krankenkasse auf Zahlung der (restlichen) Vergütung für die Krankenhausbehandlung einer Versicherten. Diesen Anspruch macht die Klägerin zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG geltend; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2; BSGE 86, 166, 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 4; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 10). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.

102. Rechtsgrundlage des restlichen Vergütungsanspruchs der Klägerin wegen der stationären Behandlung der Versicherten M. (19.4. bis ) ist § 109 Abs 4 S 3 SGB V iVm § 7 S 1 Nr 1; § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) idF des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes (KHRG) vom (BGBl I 534), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), Anlage 1 Teil a) Fallpauschalenkatalog der G-DRG-Version 2009 der am in Kraft getretenen "Vereinbarung zu den allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung" nach § 112 Abs 2 Nr 1 und 2 SGB V für den Freistaat Sachsen vom (Sicherstellungsvertrag) und der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2009. Hiernach stand der Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten M. ein Vergütungsanspruch in Höhe von 1531,77 Euro zu, der in Höhe eines Teilbetrages von 600,02 Euro durch die Zahlung der Beklagten vom erloschen ist (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 362 Abs 1 BGB). Der Restbetrag von 931,75 Euro steht aber noch offen, weil die von der Beklagten gegen die Klageforderung erklärte Aufrechnung vom unwirksam und eine Zahlung dieses Restbetrages nicht erfolgt ist.

113. Rechtsgrundlage für die Aufrechnung von Krankenkassen zur Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist § 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm §§ 387 ff BGB (vgl BSGE 107, 78 = SozR 4-2500 § 140d Nr 2; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG SozR 4-5565 § 14 Nr 8; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2). Auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§ 51, 52 SGB I über die Aufrechnung gegen Sozialleistungsansprüche besteht im Sozialrecht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung, auf welche die §§ 387 ff BGB entsprechend anzuwenden sind, entgegenzutreten (BSGE 75, 283, 284 ff = SozR 3-2400 § 28 Nr 2; BSGE 63, 224, 230 f = SozR 1300 § 48 Nr 47). Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw erfüllbare Forderungen gegenüberstehen, wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen lediglich erfüllbar zu sein braucht (Grüneberg in: Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 387 RdNr 11 f). Außerdem darf entsprechend § 390 BGB die Gegenforderung nicht einredebehaftet sein. Allerdings kann nach § 215 BGB (idF des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes - SMG - vom , BGBl I 3138; bis zum galt der inhaltsgleiche § 390 S 2 BGB aF) die Aufrechnung auf eine schon verjährte Gegenforderung gestützt werden, soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage noch nicht verjährt war. Diese Aufrechnungsvoraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil der - insoweit einmal zu unterstellende - Erstattungsanspruch der Beklagten im Jahre 2009 dauerhaft nicht mehr durchsetzbar war.

124. Die Aufrechnung ist unwirksam, weil der - zu unterstellende - Erstattungsanspruch der Beklagten bereits verjährt war, als der Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Behandlung der Versicherten M. erst entstanden und fällig geworden ist. Die Verjährung des Erstattungsanspruchs ist am eingetreten, während die Vergütungsforderung erst aufgrund der in der Zeit vom 19.4. bis zum erfolgten Behandlung der Versicherten entstanden und mit der Rechnungsstellung () sowie dem Ablauf der vertraglichen Zahlungsfrist von 18 Tagen ab Zugang der Rechnung (§ 13 Abs 1 Sicherstellungsvertrag), also Mitte Mai 2009, fällig geworden ist. Der Vergütungsanspruch, gegen den aufgerechnet worden ist (Hauptforderung), und der Erstattungsanspruch, mit dem aufgerechnet worden ist (Gegenforderung), haben sich also zu keinem Zeitpunkt aufrechenbar gegenübergestanden, was nach § 215 iVm § 390 BGB zum Ausschluss der Aufrechnung führt.

13a) Ebenso wie die Vergütungsansprüche der Krankenhäuser aus der Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen auch die öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen nicht gerechtfertigter Zahlungen der vierjährigen Verjährung (BSGE 98, 142 = SozR 4-2500 § 276 Nr 1, RdNr 25; BSGE 97, 125 = SozR 4-1500 § 92 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 18). Den Verjährungsregelungen in den Büchern des SGB, insbesondere in § 45 Abs 1 SGB I, hat die Rechtsprechung das allgemeine Rechtsprinzip der vierjährigen Verjährung im Sozialrecht entnommen, das einer analogen Anwendung der Verjährungsfristen des Zivilrechts (§§ 194 ff BGB) über § 69 Abs 1 S 3 SGB V entgegensteht (BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 18). Lediglich für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten entsprechend § 45 Abs 2 SGB I die Vorschriften des Zivilrechts (§§ 203 ff BGB) sinngemäß. Der Erstattungsanspruch der Beklagten ist bereits mit der im Juni 2004 erfolgten Zahlung des Rechnungsbetrages von 8020,47 Euro entstanden, weil dieser nach der - hier als zutreffend zu unterstellenden - Stellungnahme des MD-BEV vom wegen unrichtiger Kodierung der Hauptdiagnose um 931,75 Euro zu hoch ausgefallen ist. Demgemäß begann die vierjährige Verjährungsfrist am (§ 45 Abs 1 SGB I), und sie endete folglich am .

14b) Die Klägerin hat - erstmals am - die Einrede der Verjährung des Erstattungsanspruchs erhoben.

15c) Der Einwand der Klägerin ist auch gerechtfertigt, weil der Ablauf der Verjährungsfrist nicht nach § 45 Abs 2 SGB I iVm § 204 Abs 1 Nr 8 BGB aufgrund der am erfolgten Einleitung des Prüfverfahrens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw durch den hier gemäß § 283 S 1 SGB V zuständigen MD-BEV gehemmt war.

16aa) Nach § 204 Abs 1 Nr 8 BGB wird die Verjährung "durch den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens" gehemmt. Ein solches "vereinbartes Begutachtungsverfahren" stellt das MDK-Prüfverfahren nach § 275 SGB V nicht dar. Zwar handelt es sich bei der Prüfung der medizinischen Notwendigkeit von stationären Leistungen der Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V) sowie deren ordnungsgemäßer Abrechnung durch den MDK (§ 275 Abs 1 Nr 1 SGB V) um ein "Begutachtungsverfahren"; denn diese Prüfung hat die Erstellung einer "gutachtlichen Stellungnahme" des MDK zum Ziel (§ 275 Abs 1 letzter Halbs SGB V), die vom Gesetzgeber nach der amtlichen Überschrift des § 275 SGB V als "Begutachtung" begriffen wird. Es fehlt jedoch am Tatbestandsmerkmal des "vereinbarten" Begutachtungsverfahrens, weil eine Krankenkasse bei der Beauftragung des MDK mit einer Abrechnungsprüfung gemäß § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V einer im Gesetz verankerten öffentlich-rechtlichen Pflicht folgt und nicht eine Vereinbarung mit dem Krankenhausträger ausführt.

17Dem steht nicht entgegen, dass der Sicherstellungsvertrag für den Freistaat Sachsen, der am in Kraft getreten ist (§ 20 Abs 1) und daher für den von der Beklagten am erteilten Begutachtungsauftrag gilt, in § 13 Abs 4 und § 14 Regelungen zum MDK-Prüfverfahren enthält. Es handelt sich dabei lediglich um Ausführungsbestimmungen zum gesetzlichen Prüfverfahren nach § 275 SGB V und setzt dieses gerade voraus. Ein von der gesetzlichen Regelung unabhängiges landesvertragliches und damit "vereinbartes" Begutachtungsverfahren ist im Sicherstellungsvertrag also nicht vorgesehen.

18bb) Auch eine analoge Anwendung des § 204 Abs 1 Nr 8 BGB scheidet aus. Dabei ist vorab zu betonen, dass die Vorschriften über die Hemmung der Verjährung (§§ 203 ff BGB) als Ausnahmeregelungen zum Prinzip der Verjährung von Ansprüchen durch Zeitablauf (§§ 194 ff BGB) grundsätzlich eng auszulegen sind. Bei der Frage, ob eine in § 204 BGB nicht aufgeführte Rechtshandlung oder eine sonstige rechtserhebliche Tatsache mit einem der in § 204 BGB oder in Spezialgesetzen (vgl dazu Ellenberger in Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 204 RdNr 53) genannten Hemmungstatbeständen nach Sinn und Zweck vergleichbar ist, kommt dem Charakter der Hemmungsvorschriften als Ausnahmeregelungen zum Prinzip der Verjährung also eine besondere Bedeutung zu, sodass bei der Bejahung einer Analogie große Zurückhaltung geboten ist.

19Dabei scheidet die Heranziehung von Hemmungstatbeständen außerhalb des BGB im vorliegenden Fall von vornherein aus, weil § 45 Abs 2 SGB I ausdrücklich nur auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des BGB verweist. Innerhalb des § 204 BGB hat die Rechtsprechung zwar stets hervorgehoben, der Katalog des § 204 Abs 1 Nr 1 bis 14 BGB sei nicht abschließend, tatsächlich aber Analogien immer nur zum Tatbestand des § 204 Abs 1 Nr 1 BGB (Hemmung der Verjährung durch die Erhebung der Klage auf Leistung oder Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils) entwickelt (Ellenberger, aaO, § 204 RdNr 54 mit Rechtsprechungsübersicht), der hier ersichtlich ausscheidet. Eine Analogie lässt sich hier allenfalls anhand des § 204 Abs 1 Nr 8 BGB prüfen, weil diese Vorschrift in ihrer bis zum geltenden Fassung neben dem "vereinbarten Begutachtungsverfahren" auch den Hemmungstatbestand der "Beauftragung des Gutachters in dem Verfahren nach § 641a BGB" kannte, also einen Hemmungstatbestand, bei dem das Begutachtungsverfahren nicht vertraglich vereinbart, sondern gesetzlich geregelt war. Dieser Hemmungstatbestand, der durch das SMG zum als Folgeregelung zu der am erfolgten Einfügung des § 641a BGB in das Werkvertragsrecht durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom (BGBl I 330) geschaffen worden war, ist als Folgeänderung zur Aufhebung des § 641a BGB, der sich nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht bewährt hatte (BT-Drucks 16/511, S 14, 16), zum durch das Forderungssicherungsgesetz (FoSiG) vom (BGBl I 2022) wieder gestrichen worden. Zwar galt diese alte Fassung des § 204 Abs 1 Nr 8 BGB bis zum , war also bei der Beauftragung des MD-BEV am noch in Kraft, es fehlt aber an den weiteren Grundlagen für eine Analogie, weil der Gesetzgeber eben nicht generell alle - vereinbarten oder gesetzlichen - Begutachtungsverfahren in § 204 Abs 1 Nr 8 BGB erfasst hatte, sondern ausdrücklich nur alle vereinbarten Begutachtungsverfahren genannt und von den gesetzlichen Begutachtungsverfahren nur jenes nach § 641a BGB aF aufgeführt hatte. Mit der Begutachtung eines Werkes zur Erteilung einer die Abnahme (§ 640 BGB) ersetzenden Fertigstellungsbescheinigung (Privaturkunde nach § 416 ZPO), die zusammen mit dem schriftlichen Werkvertrag dem Unternehmer die Möglichkeit der Vergütungsklage im Urkundenprozess (§§ 592 ff ZPO) eröffnete (vgl Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl 2007, § 641a RdNr 3), ist die Begutachtung einer Abrechnung durch den MDK nach § 275 SGB V, die lediglich eine Entscheidungshilfe für die Krankenkassen bei der Kontrolle von Rechnungen der Krankenhäuser darstellt, weder inhaltlich noch nach ihrem Zweck vergleichbar.

205. Da die Aufrechnung jedenfalls wegen der Verjährung des Erstattungsanspruchs unwirksam ist, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen zu der streitigen Frage, ob die Abrechnung vom richtig gewesen ist, wie die Klägerin meint, oder ob sie wegen unzutreffender Kodierung der Hauptdiagnose hätte korrigiert werden müssen und dann um 931,75 Euro niedriger ausgefallen wäre, wovon der MD-BEV und die Beklagte ausgehen.

216. Im Übrigen bleibt anzumerken, dass der geltend gemachte Erstattungsanspruch auch noch aus einem zweiten Grund nicht mehr erfolgreich zur Aufrechnung gestellt werden konnte: Der Klägerin steht nämlich gegenüber dem Erstattungsanspruch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 242 BGB) zu, weil nach dem die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen prägenden allgemeinen Beschleunigungsgebot und dem "Prinzip der Waffengleichheit" auch bei Fällen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 275 Abs 1c SGB V () Einwände gegen die erteilte Abrechnung lediglich innerhalb einer angemessenen Frist vorgebracht werden konnten. Diese Frist war nach viereinhalb Jahren (Rechnungsstellung am , Begutachtungsauftrag am ) jedenfalls abgelaufen (vgl Urteil des erkennenden Senats vom - B 3 KR 22/12 R - für SozR 4 vorgesehen).

22Die Aufrechnung ist damit unwirksam und der restliche Vergütungsanspruch in Höhe von 931,75 Euro aus der Behandlung der Versicherten M. somit begründet.

237. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 13 Abs 3 des Sicherstellungsvertrages.

248. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:190913UB3KR3012R0

Fundstelle(n):
PAAAE-50285