Spielsucht: Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit
Gesetze: § 21 StGB
Instanzenzug: Az: (532) 234 Js 143/12 KLs (15/12)nachgehend Az: 5 StR 377/13 Beschlussnachgehend Az: 5 StR 377/13 Beschlussnachgehend Az: 540 Ks 12/13nachgehend Az: 5 StR 273/15 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Diebstahl und wegen Computerbetruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten verurteilt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten und mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat Erfolg.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3a) Der 31 Jahre alte, u.a. wegen Handtaschenraubes zu Lasten älterer Damen vorbestrafte Angeklagte, ein „pathologischer Spieler“ (UA S. 4), schloss nahezu täglich Sportwetten ab und verschuldete sich deswegen erheblich. Ein Gläubiger drohte mit rechtlichen Schritten. Vor diesem Hintergrund verschaffte sich der Angeklagte durch einen Trick Zutritt zur Wohnung einer wohlhabenden 81-jährigen Frau, um diese zu bestehlen. Als er im Schlafzimmer nach Geld suchte, wurde er durch sie überrascht. Er würgte die laut um Hilfe schreiende Frau mindestens 20 Sekunden, bis sie tot zu Boden sank, versteckte die Leiche im Keller des Wohnhauses und hob mit der EC-Karte der Getöteten viermal insgesamt 2.020 € ab.
4b) Das Landgericht hat das Tötungsverbrechen als Verdeckungsmord gewertet. Seiner Strafzumessung hat es die gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der § 211 Abs. 1, § 263a Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Sachverständig beraten ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung aller Taten aufgrund seiner pathologischen Spielsucht nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen sei. Der Angeklagte könne „seine Wettleidenschaft nicht mehr adäquat steuern“ (UA S. 29). Seine Spielsucht habe mittlerweile zu gravierenden Persönlichkeitsveränderungen geführt. So bewahre er „fast abergläubisch erfolgreiche Wettscheine an bestimmten Orten“ (UA S. 29) auf. Sein alltägliches Denken beschäftige sich mit Wetten und den Möglichkeiten, das dafür erforderliche Geld zu beschaffen. Um seine Wettchancen zu erhöhen, lese er entsprechende Literatur. Auch bei den Taten sei sein Denken allein darauf gerichtet gewesen, sich das für weitere Wetteinsätze erforderliche Bargeld zu verschaffen.
52. Die Begründung, mit der das Landgericht von einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen ist, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
6a) „Pathologisches Spielen“ stellt – wovon das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeht – für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar (, BGHSt 49, 365, 369; Beschlüsse vom – 1 StR 544/88, BGHR § 21 StGB Seelische Abartigkeit 8, und vom – 4 StR 199/03, NStZ 2004, 31). Allerdings können in schweren Fällen psychische Defekte und Persönlichkeitsveränderungen auftreten, die eine ähnliche Struktur und Schwere wie bei stoffgebundenen Suchterkrankungen aufweisen, und es kann zu massiven Entzugserscheinungen kommen (vgl. , BGHSt 58, 192 mwN). Wie bei der Substanzabhängigkeit kann deshalb auch bei der Spielsucht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen werden, wenn diese zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei den Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat. Diese Persönlichkeitsveränderungen müssen in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sein (vgl. und vom sowie Beschlüsse vom und vom , jeweils aaO).
7Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es ist bereits höchst zweifelhaft, ob die im Urteil wiedergegebenen, von der Schwurgerichtskammer im Einklang mit dem Sachverständigen als Anhaltspunkte für gravierende Persönlichkeitsänderungen genannten Verhaltensweisen des Angeklagten solche überhaupt belegen. Jedenfalls setzt sich das Landgericht an keiner Stelle ausdrücklich damit auseinander, ob die angenommenen Veränderungen als andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig sind.
8b) Das Landgericht hat sich darüber hinaus auch nicht ausreichend mit der Frage befasst, inwieweit sich die Spielsucht bei dem Angeklagten in der konkreten Tatsituation ausgewirkt hat.
9aa) Spielsucht kann unter dem Gesichtspunkt einer Verminderung der Schuldfähigkeit nur dann beachtlich sein, wenn die begangenen Straftaten der Fortsetzung des Spielens dienen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 78/94, NStZ 1994, 501, und vom – 1 StR 122/11). Das angefochtene Urteil geht demgegenüber – allerdings entgegen der Einlassung des Angeklagten (UA S. 19) und den Annahmen des Sachverständigen (UA S. 29) – in seinen Feststellungen davon aus, dass es dem Angeklagten bei der Planung der Straftat zum Nachteil der später Getöteten darum ging, Geldmittel zum Schuldenabbau zu beschaffen (UA S. 8). Dies kann darauf hindeuten, dass beim Angeklagten keine völlige Einengung seines Verhaltensspielraums auf das Glücksspiel besteht (vgl. Leygraf, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, 514, 527).
10bb) Darüber hinaus ist Folgendes zu bedenken: Die überlegten, zeitaufwendigen Vorbereitungen der Vortat sprechen gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Ferner ist bei Taten höchster Schwere bei der Zubilligung der Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit wegen der hohen Hemmschwelle besondere Zurückhaltung geboten (vgl. , BGHSt 49, 45, 53; LK/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 184 f. mwN). In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die typische hohe emotionale Beeinträchtigung eines Verdeckungsmörders, die für sich genommen nicht zur Annahme des § 21 StGB führt (vgl. , BGHR StGB § 21 Affekt 7; ferner MK/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 234), auf einer gänzlich anderen Wurzel beruht als eine etwa gleichzeitig bestehende Spielleidenschaft desselben Täters. Daher wird auch aus der Kombination beider psychischen Beeinträchtigungen regelmäßig nichts für die Voraussetzungen des § 21 StGB herzuleiten sein.
11c) Im Blick auf das gesamte Tatbild bemerkt der Senat, dass die wegen des Mordes verhängte Einsatzstrafe selbst bei Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung außerordentlich milde bemessen ist. Zutreffend beanstandet die Staatsanwaltschaft zudem die strafmildernde Berücksichtigung erlittener Untersuchungshaft (vgl. mwN).
123. Der Senat hebt nur den Strafausspruch auf. Eine zweifelsfreie Feststellung der Voraussetzungen des § 21 StGB aufgrund der Spielsucht des Angeklagten, die so weit ginge, dass sie dessen Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigen könnte, ist auszuschließen (vgl. hierzu , aaO). Eine Unterbringung nach § 64 StGB kommt aus Rechtsgründen ebenfalls nicht in Betracht (, BGHSt 49, 365).
Basdorf Sander Schneider
Dölp König
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Fundstelle(n):
YAAAE-50256