Ansprüche nach dem Vermögensgesetz: Mitberechtigter als Verfügungsberechtigter; Rechtsverhältnis der Mitberechtigten untereinander
Leitsatz
1. Verfügungsbefugter im Sinne von § 2 Abs. 3 VermG ist nicht, wer selbst (Mit-) Berechtigter ist.
2. Das Rechtsverhältnis der Mitberechtigten nach § 2 Abs. 1, 1a VermG untereinander bestimmt sich nicht nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes über das Verhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verfügungsberechtigten, sondern nach dem Gemeinschaftsverhältnis der Mitberechtigten, bei Miterben also nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Erbengemeinschaft.
Gesetze: § 2 Abs 1 VermG, § 2 Abs 1a VermG, § 2 Abs 3 VermG, § 2038 BGB
Instanzenzug: Az: 7 U 66/11vorgehend Az: 2 O 471/08
Tatbestand
1Die Parteien waren Mitglieder einer Erbengemeinschaft, der ein Grundstück im früheren Ostteil von Berlin gehört. Dieses Grundstück stand ursprünglich im Eigentum einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter R.H. war. Die Gesellschaft geriet während des NS-Regimes unter Verfolgungsdruck, weil R. H. Jude war. Er versuchte, sein Vermögen zunächst dadurch zu erhalten, dass er M. H. , die mit seinem Generalbevollmächtigten M. H. verheiratet war, zur Mehrheitsgesellschafterin machte. 1942 lösten die Gesellschafter die Gesellschaft auf und verkauften das Grundstück, um das es im vorliegenden Rechtstreit geht, an den Kaufmann G. , der es 1946 M. H. zurückverkaufte. Diese verstarb 1972 und wurde von der Beklagten zu 1 und dem Rechtsvorgänger des Beklagten zu 2 beerbt, die als Eigentümer in Erbengemeinschaft in das Grundbuch eingetragen wurden. Als der Rechtsvorgänger des Beklagten zu 2 im Jahr 1994 starb, wurde der Beklagte zu 2 als neues Mitglied der Erbengemeinschaft eingetragen.
2Zu diesem Zeitpunkt war ein Restitutionsverfahren vor der zuständigen Behörde anhängig, das 1999 zu dem Erlass eines Restitutionsbescheids führte, in welchem das Grundstück der Erbengemeinschaft nach R. H. , bestehend aus der Klägerin mit einem 3/4-Anteil und den beiden Beklagten mit je einem 1/8-Anteil, übertragen wurde. Dieser Bescheid ist seit 2005 bestandskräftig und seit Ende 2007 im Grundbuch vollzogen. Im Jahr 2009 übertrugen die Beklagten ihre Erbanteile auf die Tochter der Beklagten zu 1. Die Klägerin nahm diese in einem anderen Rechtsstreit in Anspruch und einigte sich dort mit ihr darüber, dass sie rund 275.000 € zum Ausgleich der Mietherausgabeansprüche der Klägerin nach § 7 Abs. 7 VermG und ihrer eigenen Verwendungsersatzansprüche aus § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG zahlt. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von den Beklagten im Wesentlichen die Freistellung von Grundpfandrechten und Zahlung von etwa 213.000 €, gesamtschuldnerisch mit der Tochter der Beklagten zu 1, hilfsweise zur Leistung nicht an sich, sondern an die Erbengemeinschaft.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch Beschluss zurückgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Gründe
I.
4Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Rechtsbeziehungen der Beteiligten richteten sich nach Erbrecht. Danach stehe der Klägerin ein Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu, den sie aber nicht geltend gemacht habe. Belastungen des Nachlassgegenstands durch einzelne Miterben und Einnahmen, die allen Miterben nach der Quote ihres Erbrechts zustünden, seien im Zuge der Auseinandersetzung zu berücksichtigen.
II.
5Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
61. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich die Rechtsbeziehungen der Beteiligten allein nach Erbrecht richten und die geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG, nach § 3 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 2 VermG in Verbindung mit § 678 BGB, nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG oder nach § 16 Abs. 10 Satz 3 VermG ausgeschlossen sind.
7a) Die Ansprüche auf Auskehrung von Miete und auf Schadensersatz wegen Verletzung des Unterlassungsgebots nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG richten sich gegen den Verfügungsberechtigten im Sinne von § 2 Abs. 3 VermG. Der Anspruch auf Freistellung nach § 16 Abs. 10 Satz 3 VermG richtet sich gegen den, der das Pfandrecht bestellt hat. Das ist normalerweise der Verfügungsberechtigte (Senat, Urteil vom - V ZR 195/04, NJW-RR 2006, 733, 735 Rn. 17; vgl. auch Urteil vom - V ZR 31/08, NJW 2009, 1813, 1814 f. Rn. 17). Der Freistellungsanspruch könnte auch einen Dritten treffen; eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.
8b) Die Beklagten waren und sind nicht Verfügungsberechtigte.
9aa) Der Klägerin ist allerdings einzuräumen, dass Verfügungsberechtigter nach § 2 Abs. 3 Satz 1 VermG der Eigentümer oder derjenige ist, der Verfügungsmacht über den Restitutionsgegenstand hat. Diese Voraussetzung traf zwar auf die Beklagten bis zum Eintritt der Bestandskraft des Restitutionsbescheids zu. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie als Miterben Eigentümer des hier interessierenden Grundbesitzes und nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 3 Satz 1 VermG verfügungsbefugt. Die Beklagten waren dessen ungeachtet aber auch Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG. Der Grundbesitz ist deshalb nicht nur der Klägerin, sondern der Klägerin und den Beklagten als Erbengemeinschaft restituiert worden.
10bb) Wer selbst Berechtigter ist, kann nicht Verfügungsberechtigter sein.
11(1) Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 VermG wäre zwar auch der Berechtigte Verfügungsberechtigter, wenn er vor Erlass des Restitutionsbescheids schon Eigentümer des Restitutionsgegenstands ist oder Verfügungsmacht darüber hat. Insoweit geht der Wortlaut der Vorschrift aber über deren Zweck hinaus und führte zu Ergebnissen, die ihrem Zweck widersprächen. Er ist deshalb teleologisch einschränkend dahin auszulegen, dass Verfügungsbefugter nur ist, wer nicht selbst (Mit-)Berechtigter ist.
12(2) Der Verfügungsberechtigte steht zu dem Berechtigten in einem treuhandähnlich ausgestalteten Verhältnis (Senat, Urteile vom - V ZR 177/93, BGHZ 128, 210, 211, vom - V ZR 185/04, ZOV 2005, 359, 360 und vom - V ZR 118/08, NJW-RR 2010, 590, 592 Rn. 20; , NJW-RR 2005, 391, 392). Diese Rechtsbeziehung ist zwar nicht umfassend, sondern nur in einzelnen, von dem Gesetz hervorgehobenen Fällen wie ein Treuhandverhältnis ausgebildet (, NJW-RR 2005, 391, 392; Senat, Urteil vom - V ZR 244/06, ZOV 2007, 142, 143 Rn. 13). Deshalb ist der Verfügungsberechtigte etwa weder verpflichtet, sich um eine Verbesserung der Erträge des Restitutionsgrundstücks zu bemühen (Senat, Urteil vom - V ZR 257/06, NJW-RR 2007, 1611, 1612 Rn. 10 und vom - V ZR 244/06, ZOV 2007, 142, 143 Rn. 14-16) noch dazu, sich bei Gläubigern, deren Forderungen durch Grundpfandrechte an dem Grundstück gesichert sind, für eine Stundung der Forderungen einzusetzen (Senat, Urteil vom - V ZR 118/08, NJW-RR 2010, 590, 592 Rn. 20). Im Übrigen aber hat er die Interessen des Berechtigten zu wahren. Er hat nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG Verfügungen und die Eingehung langfristiger schuldrechtlicher Verpflichtungen in Ansehung des Restitutionsgegenstands grundsätzlich zu unterlassen. Er muss die zu restituierende Sache erhalten (Senat, Urteil vom - V ZR 165/01, WM 2002, 2425, 2427; , NJW-RR 2005, 391, 393) und entsprechende Maßnahmen so durchführen, wie es dem Interesse des Berechtigten entspricht (§ 3 Abs. 3 Satz 6 VermG; Senat, Urteil vom - V ZR 244/06, ZOV 2007, 142, 143 Rn. 13). In diesem Rahmen muss er etwa die Erträge des Grundstücks dazu einsetzen, die Forderungen zu bedienen, die durch Grundpfandrechte an dem Grundstück gesichert sind (Senat, Urteil vom - V ZR 118/08, NJW-RR 2010, 590, 592 Rn. 20).
13(3) Grundlage dieser Ausgestaltung der Rechtsstellung des Verfügungsberechtigten ist die - im Normalfall auch zutreffende - Überlegung, dass der Verfügungsberechtigte nach der Stellung eines Restitutionsantrags, der sich als begründet erweist, nur noch „Eigentümer auf Zeit“ ist. Er wird sein Eigentum nach § 34 Abs. 1 VermG mit dem Einritt der Bestandskraft des Restitutionsbescheids und der anderen in der Vorschrift genannten Bedingungen verlieren. In dem mehr oder weniger langen Zeitraum bis zu diesem Zeitpunkt ist er - mit den erwähnten Einschränkungen - lediglich Sachwalter des Berechtigten. Auf einen Eigentümer, der selbst (Mit-)Berechtigter ist, trifft dieser Grundgedanke nicht zu. Er verliert sein Eigentum nicht. Er bleibt vielmehr - zusammen mit den anderen Mitberechtigten - Eigentümer. Er kann nicht auf die Rolle des Sachwalters fremder Angelegenheiten verwiesen werden. Welche Befugnisse ihm im Verhältnis zu den übrigen Mitberechtigten zustehen, kann deshalb nur aus seiner Eigentumsstellung und damit aus dem Gemeinschaftsverhältnis zu den Mitberechtigten bestimmt werden. Bei einer Erbengemeinschaft, um die es hier geht, sind das die Regelungen über die Verwaltungsbefugnisse der Mitglieder einer Erbengemeinschaft, namentlich § 2038 BGB. Nach diesen Vorschriften richtet sich auch, ob und in welchem Umfang ein ausgeschiedenes Mitglied der Erbengemeinschaft dieser gegenüber zum Ersatz von Schäden aus einem Verstoß gegen die erbengemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Verwaltung des Nachlasses verpflichtet ist.
14cc) An dieser Rechtslage ändern entgegen der Ansicht der Klägerin die besonderen Regelungen des Vermögensgesetzes über die Zusammensetzung einer Erbengemeinschaft als Berechtigter in § 2a VermG nichts. § 2a Abs. 2 Satz 1 VermG bestimmt zwar, dass abweichend von den allgemeinen Bestimmungen des Erbrechts an Stelle von nicht namentlich benannten Erben die Klägerin Mitglied der Erbengemeinschaft wird. Die Klägerin ist in solchen Fällen nach § 2a Abs. 2 Satz 2 VermG mit den bekannten Miterben in ungeteilter Erbengemeinschaft als Eigentümerin in das Grundbuch einzutragen. Diese ist nach den erbrechtlichen Vorschriften zu verwalten und auseinanderzusetzen, soweit nicht in dem Restitutionsbescheid ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird. Das ist hier nur für das Recht an Position III/18 geschehen, welches die Tochter der Beklagten zu 1 im Verhältnis zur Klägerin allein zu übernehmen hat. Ansonsten findet aber das Erbrecht uneingeschränkt Anwendung.
152. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lassen sich erbrechtliche Ansprüche der Klägerin nicht verneinen.
16a) Ansprüche aus dem Gesichtspunkt einer Erbauseinandersetzung bestehen allerdings nicht.
17aa) Die verlangte Freistellung und die beanspruchte Zahlung können zwar das Ergebnis einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft der Klägerin mit zunächst den Beklagten und jetzt der Tochter der Beklagten zu 1 sein. Zweifelhaft ist aus den von dem Berufungsgericht aufgezeigten Gründen schon, ob sie vor Durchführung der Auseinandersetzung überhaupt verlangt werden können. Das bedarf keiner Vertiefung. Die Klägerin hat gegen die Beklagten weder einen Anspruch auf Gesamt- noch einen Anspruch auf Teilauseinandersetzung der Erbengemeinschaft geltend gemacht. Sie hat ihre Klage vielmehr auf den restitutionsrechtlichen Freistellungsanspruch des Berechtigten gegen den Verfügungsberechtigten und auf einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung der Pflichten bei der Verwaltung des Anwesens gestützt. Daran hat sich auch im Berufungsrechtszug nichts geändert. Hier hat sich die Klägerin lediglich hilfsweise auf den Standpunkt gestellt, die Ansprüche stünden, wenn nicht ihr allein, dann jedenfalls der Erbengemeinschaft zu, und hilfsweise Leistung an die „Prozessparteien“ verlangt, womit nach der Berufungsbegründung die Erbengemeinschaft gemeint ist.
18bb) Jetzt kann die Klage nicht mehr auf einen Auseinandersetzungsanspruch gestützt werden. Dieser richtete sich nämlich nunmehr allein gegen die Tochter der Beklagten zu 1, weil die Beklagten ihre Anteile auf diese übertragen haben und dadurch aus der Erbengemeinschaft ausgeschieden sind. Daran ändert der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angesprochene Rechtsgedanke des § 265 ZPO nichts, weil Gegenstand des Rechtsstreits, wie ausgeführt, nicht die vollständige oder teilweise Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft war, sondern der restitutionsrechtliche Freistellungsanspruch und der Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung bei der Verwaltung des Anwesens. Dieser Klage ist durch die Übertragung der Erbanteile auf die Tochter der Beklagten zu 1 die Grundlage nicht entzogen worden.
19b) In Betracht kommt indessen, was das Berufungsgericht nicht gesehen hat, ein Anspruch der Erbengemeinschaft gegen die Beklagten als ihre früheren Mitglieder wegen Verletzung der Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit § 2038 Abs. 1 BGB.
20aa) Diesen Anspruch kann die Klägerin als Mitglied der Erbengemeinschaft nach § 2039 Satz 1 BGB selbst geltend machen. Dafür kann im vorliegenden Revisionsverfahren offen bleiben, ob sie auch Leistung an sich verlangen könnte. Das wäre nach der Rechtsprechung des Senats möglich, wenn der Nachlass nur so auseinandergesetzt werden kann oder wenn die anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft der Geltendmachung in dieser Form zustimmen (Senat, Urteile vom - V ZR 208/61, MDR 1963, 578, vom - V ZR 153/04, NJW-RR 2005, 887, 891 sub II 4. und vom - V ZR 191/04, NJW-RR 2005, 1256, 1257 sub II 1. b). Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann offen bleiben, weil die Klägerin, in der Sache hilfsweise Leistung an die Erbengemeinschaft beantragt hat.
21bb) Nach dem Vortrag der Klägerin ist ein Schadensersatzanspruch der Erbengemeinschaft gegen die Beklagten möglich. Denn danach sollen die Beklagten den Nachlass nicht ordnungsmäßig verwaltet haben. Das lässt sich allerdings nicht aus einem Verstoß gegen § 3 Abs. 3 VermG ableiten, weil diese Vorschrift im Verhältnis von Miterben untereinander keine Anwendung findet. Vielmehr kann ein Pflichtenverstoß nur erbengemeinschaftsrechtlich begründet werden. Das hat die Klägerin erkennbar übersehen. Sie hätte hierauf hingewiesen werden und Gelegenheit erhalten müssen, ihren Vortrag dem veränderten rechtlichen Gesichtspunkt anzupassen. Dabei müsste dargelegt werden, inwiefern die Beklagten den Nachlass als Miterben nicht ordnungsgemäß verwaltet und dadurch einen Schaden verursacht haben. Ein Anspruch auf Freistellung ergäbe sich aus § 280 Abs. 1 BGB auch nur, wenn eine ordnungsgemäße Verwaltung die Ablösung der Pfandrechte erfordert hätte.
III.
22Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif, weil die notwendigen Feststellungen fehlen. Sie ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
Weinland Kazele
Fundstelle(n):
OAAAE-50216