BGH Beschluss v. - 2 StR 148/13

Totschlag: Anforderungen an die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz bei gefährlichen Gewalthandlungen

Gesetze: § 15 StGB, § 212 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB

Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/3 KLs 3590 Js 223501/11 (20/11)

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten G.    , H.    und S.     jeweils wegen Totschlags, den Angeklagten S.     darüber hinaus tateinheitlich wegen  Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten G.    hat es eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten und gegen den Angeklagten H.    eine solche von neun Jahren verhängt. Den Angeklagten S.   , der zum Tatzeitpunkt Heranwachsender war, hat es unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer (Einheits-)Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Den Angeklagten B.      hat das Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

2Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Die Revisionen der Angeklagten G.     , H.     und S.      haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Revision des Angeklagten B.       ist unbegründet.

I.

3Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der später Geschädigte He.     am frühen Morgen des in einer Discothek in F.      auf, in der die Angeklagten als Türsteher arbeiteten. Als der Angeklagte G.     versuchte, einen vermeintlich randalierenden Gast von der Theke wegzuziehen, geriet er ins Straucheln, fiel gegen den Geschädigten und schlug ihm sodann mit der Faust ins Gesicht. Als dieser zurückschlug, entwickelte sich ein Gerangel, in dem der Angeklagte G.    den Geschädigten  zu Boden riss. Anschließend versetzte er ihm mehrere nicht todesursächliche Faustschläge ins Gesicht. Der Geschädigte blieb am Boden liegen. Zwischenzeitlich waren die Angeklagten H.    , S.      und B.     informiert worden und hatten sich zum Ort der Auseinandersetzung begeben. Der Angeklagte B.      schirmte das Geschehen am Tatort ab. Der Angeklagte H.     sprang von der Treppe zu dem am Boden liegenden Geschädigten und kniete über diesem. Ihm folgte der Angeklagte S.     , der sich neben den Geschädigten stellte, um gegebenenfalls zu dessen Nachteil eingreifen zu können. Der Angeklagte H.     schlug dem Geschädigten mit der Faust mehrfach wuchtig gegen den Kopf, wobei er sich auf den Bauch des Geschädigten setzte, während der Angeklagte G.      auf den Geschädigten im Bereich des Kopfes, des Oberkörpers und des Bauches eintrat. Einem Gast, der eingreifen wollte, versetzte der Angeklagte S.     zwei Schläge in den Nacken.

4Infolge der Gewalteinwirkungen erlitt der Geschädigte einen Leberriss, der entweder durch die Tritte des Angeklagten G.     gegen den Bauchraumoder durch das Aufsitzen des Angeklagten H.     verursacht wurde. Aufgrund der massiven inneren Blutungen verstarb der Geschädigte.

5Im Zusammenhang mit den Feststellungen zur inneren Tatseite hat das Landgericht im Rahmen einer „umfassenden Würdigung aller maßgeblichen für und gegen einen Tötungsvorsatz“ der Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte einerseits berücksichtigt, dass „vor dem Entschluss zur Tötung eines Menschen eine viel höhere Hemmschwelle steht als vor dem Entschluss, einen Menschen zu gefährden oder zu verletzen“; andererseits hat es ausgeführt, „dass es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen naheliegt, dass der Täter mit dem Tode des Opfers rechnet und einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt“ (UA S. 38). Daran anknüpfend hat das Landgericht den Tötungsvorsatz der Angeklagten G.     und H.    aus deren Gewalthandlungen abge- leitet. Anzeichen, die das Wissens- oder Willenselement des Eventualvorsatzes in Frage stellen könnten, hat es nicht gesehen; auch das Nachtatverhalten des Angeklagten G.    begründe keinen Zweifel am Vorsatz. Zur Begründung für  die Feststellung, dass auch der Angeklagte S.      den Tod des Geschädigten  billigend in Kauf genommen habe, hat das Landgericht angeführt, der Angeklagte habe die Gewalthandlungen zum Nachteil des Geschädigten aus unmittelbarer Nähe wahrgenommen und sei sich daher der Möglichkeit bewusst gewesen, dass der Geschädigte an den Folgen der Gewalthandlungen habe sterben können.

II.

6Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten G.    , H.    und S.     haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

71. Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8a) Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Bei der Prüfung, ob ein bedingter Tötungsvorsatz festzustellen ist, hat das Tatgericht eine umfassende Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 176/13 mwN). Beide Vorsatzelemente müssen zudem durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (, NStZ 2012, 443, 444).

9b) Auch unter Berücksichtigung des bestehenden tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.

10aa) Hinsichtlich des Angeklagten S.    , der selbst keine Gewalthandlungen vorgenommen hat, hat das Landgericht den bedingten Tötungsvorsatz allein aus dem Umstand abgeleitet, dass er die Gewaltanwendung der Angeklagten G.    und H.     wahrgenommen hat. Damit ist indes nur das Wissenselement des Vorsatzes belegt. Denn die Wahrnehmung von Gewalthandlungen allein rechtfertigt nicht ohne weiteres den Schluss auf die zumindest bedingte Inkaufnahme des tödlichen Erfolgs (vgl. , StV 1994, 13, 14; Beschluss vom - 4 StR 30/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54).

11bb) Bezüglich der Angeklagten G.    und H.     fehlt es an einer um- fassenden Gesamtwürdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen ein bedingter Tötungsvorsatz trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen nahe liegt (, NJW 2012, 1524, 1525; Urteil vom - 2 StR 139/13). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Täter - wie hier der Angeklagte G.     - seinen Gegner zu Boden gestreckt hat und anschließend auf das infolgedessen wehrlose Opfer mehrfach im Bereich des Kopfes und der Bauchgegend eintritt (vgl. , NStZ 2007, 639, 640). Der Schluss aus einer besonders gefährlichen Gewalthandlung auf einen (bedingten) Tötungsvorsatz ist aber nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, den Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat (, NStZ-RR 2007, 307). Hieran fehlt es.

12Das Landgericht hat den Angeklagten G.   und H.   im Rahmen der  Strafzumessung zugutegehalten, dass es sich um eine Spontantat gehandelt hat. Dieser Umstand, der einem bedingten Tötungsvorsatz entgegenstehen kann (vgl. , NStZ 2010, 571, 572; Urteil vom - 2 StR 139/13), hätte aber nicht nur im Rahmen der Strafzumessung, sondern bereits bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelements erörtert werden müssen. Es kommt hinzu, dass es an einem einsichtigen Grund dafür fehlt, dass die Angeklagten in der konkreten Tatsituation den Tod des Geschädigten billigend in Kauf genommen haben (vgl. auch , BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom - 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Dies hat die Strafkammer ebenfalls nicht in ihre Gesamtwürdigung einbezogen, obwohl sie festgestellt hat, dass - zumindest aus Sicht des Angeklagten B.    - die Gewalthandlungen der Angeklagten G.     und H.    letztlich den Zweck verfolgten, „den Geschädigten aus der Diskothek zu schaffen“ (UA S. 14).

13Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.

142. Die Revision des Angeklagten B.    ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Fundstelle(n):
FAAAE-49491