Urteilsabsetzungsfrist in Strafsachen: Handschriftliche Änderungen nach Fristablauf
Gesetze: § 275 Abs 1 S 2 StPO, § 275 Abs 1 S 3 StPO
Instanzenzug: Az: 25 KLs 26/11
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung, räuberischer Erpressung sowie Anstiftung zur versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
21. Eine Entscheidung über die auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO gestützte Rüge, das Urteil sei entgegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht rechtzeitig zu den Akten gebracht worden, ist dem Senat ohne eine freibeweisliche Klärung des Sachverhalts nicht möglich. Sollten die in der Urteilsurkunde vorgenommenen handschriftlichen Änderungen tatsächlich, wie von der Revision behauptet, nach Fristablauf vorgenommen worden sein, wäre das Urteil nicht als rechtzeitig zu den Akten gelangt anzusehen. Denn bei einer Urteilsfassung, die nach dem Willen der Richter noch durchgesehen und korrigiert werden soll, handelt es sich auch dann, wenn sie bereits von allen Richtern unterschrieben ist, nicht um das endgültige Urteil, sondern nur um einen Entwurf (, BGHR StPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Urteilsurkunde 1). Ob das hier der Fall war, vermag der Senat aufgrund des Akteninhalts und der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden indes nicht abschließend zu beurteilen. Es hätte namentlich einer näheren Klärung bedurft, warum sich das unterschriebene und gemäß § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht mehr abänderbare Urteil einem Vermerk der Geschäftsstellenmitarbeiterin zufolge nach dem Eingang auf der Geschäftsstelle am letzten Tag der Frist für mehrere Wochen nicht bei den Akten, sondern bei den Richtern befand. Zudem gäben die vom Beschwerdeführer behaupteten zahlreichen Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung, die ihrerseits offenbar nicht mit den handschriftlichen Änderungen der Urschrift in Zusammenhang stehen, Anlass zu weitergehender Aufklärung durch den Senat.
3Der Senat sieht jedoch von weiteren freibeweislichen Erhebungen ab. Denn auf einen möglichen Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO kommt es im Ergebnis nicht an.
42. Die Revision führt nämlich jedenfalls mit der Rüge eines Verstoßes gegen die Höchstdauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung gemäß § 229 StPO umfassend zum Erfolg.
5a) Die Revision macht, wovon auch der Generalbundesanwalt unter Bezug auf die Senatsrechtsprechung (, NStZ 1992, 550; Beschluss vom – 5 StR 231/93, StV 1994, 5) zutreffend ausgeht, mit Recht geltend, dass die Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 (und 2) StPO überschritten wurde, weil die Strafkammer die Hauptverhandlung nach Unterbrechung am unter Berufung auf eine nur bis andauernde Erkrankung der Vorsitzenden erst am fortgesetzt hat.
6b) Darauf beruht das Urteil. Solches kann nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (, BGHSt 23, 224, 225). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Besondere Umstände, die darauf schließen ließen, dass durch die Überschreitung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO der Eindruck von der mündlichen Verhandlung und die Zuverlässigkeit der Erinnerung an die Vorgänge in der Hauptverhandlung unbeeinträchtigt geblieben wären, sind nicht ersichtlich. Eher deuten gar die Erörterungen zum Zeitpunkt des Kennenlernens des Angeklagten durch den Zeugen W. auf UA S. 42, die – wie von der Revision ebenfalls gerügt wird – in Widerstreit zu der aufgrund eines Beweisantrages als erwiesen behandelten Tatsache stehen, der Zeuge W. habe sich im Jahr 2008 mehrfach abends bei dem Angeklagten aufgehalten, auf das Gegenteil hin.
73. Da die auf die Verletzung des § 229 StPO gestützte Rüge bereits zur umfassenden Aufhebung des Urteils führt, kommt es auf die genannte Beweisantragsrüge, die für sich genommen jedenfalls hinsichtlich der ausgeurteilten schweren räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen W. durchgriffe, ebenso wenig an wie auf die weiteren Verfahrensrügen.
Basdorf Schneider König
Berger Bellay
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JAAAE-48885