EuGH Urteil v. - C-39/11

Besteuerung von Erträgen aus "schwarzen" Fonds nach dem AuslInvestmG

Leitsatz

Art. 63 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse oder der von dieser zur Verwaltung ihrer Mittel eingerichteten Veranlagungsgemeinschaft die Veranlagung dieser Mittel in Anteilscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat errichtet ist, nur gestattet, wenn dieser Fonds zum Vertrieb seiner Anteile im Inland zugelassen worden ist.

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften zum freien Kapitalverkehr, insbesondere der Art. 63 AEUV und 65 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der VBV – Vorsorgekasse AG (im Folgenden: VBV) und der Finanzmarktaufsichtsbehörde (im Folgenden: FMA) wegen des Erwerbs von Anteilscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich errichtet ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Die Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte rganismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ( GAW) (ABl. L 375, S. 3) in ihrer durch die Richtlinie 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 41, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/611) sieht in ihrem Art. 1, der zu ihrem Abschnitt I („Allgemeine Bestimmungen und Anwendungsbereich”) gehört, Folgendes vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten unterwerfen die in ihrem Gebiet ansässigen rganismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (GAW) dieser Richtlinie.

(2) Vorbehaltlich des Artikels 2 sind im Sinne dieser Richtlinie als GAW diejenigen rganismen anzusehen,

  • deren ausschließlicher Zweck es ist, beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikostreuung in Wertpapieren und/oder anderen in Artikel 19 Absatz 1 genannten liquiden Finanzanlagen zu investieren, und

  • deren Anteile auf Verlangen der Anteilinhaber unmittelbar oder mittelbar zu Lasten des Vermögens dieser rganismen zurückgenommen oder ausgezahlt werden. Diesen Rücknahmen oder Auszahlungen gleichgestellt sind Handlungen, mit denen ein GAW sicherstellen will, dass der Kurs seiner Anteile nicht erheblich von deren Nettoinventarwert abweicht.

…”

4 Art. 19 der Richtlinie 85/611, der zu deren Abschnitt V („Verpflichtungen betreffend die Anlagepolitik der GAW”) gehört, enthält detaillierte Bestimmungen in Bezug auf die Wertpapiere, in denen ein GAW seine Mittel anlegen darf, sowie die Bedingungen und Beschränkungen für solche Anlagen.

Österreichisches Recht

5 Das Betriebliche Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BGBl. I 100/2002) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (BGBl. I 102/2007, im Folgenden: BMSVG) sieht in seinem § 6 Abs. 1 vor, dass der Arbeitgeber, sofern das Arbeitsverhältnis länger als einen Monat dauert, an den für den Arbeitnehmer zuständigen Träger der Krankenversicherung zur Weiterleitung an die Betriebliche Vorsorgekasse einen laufenden Beitrag in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des monatlichen Entgelts zu überweisen hat. Nach § 14 Abs. 1 BMSVG hat der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen die für ihn zuständige Betriebliche Vorsorgekasse Anspruch auf eine Abfertigung.

6 Gemäß § 18 Abs. 1 und 2 BMSVG muss eine Betriebliche Vorsorgekasse berechtigt sein, die ihr überwiesenen Beiträge hereinzunehmen und zu veranlagen, wozu sie gemäß § 28 Abs. 1 BMSVG eine Veranlagungsgemeinschaft einzurichten hat.

7 § 30 BMSVG („Veranlagungsvorschriften”) bestimmt:

„(1) Die [Betriebliche Vorsorgekasse] hat die [Mitarbeitervorsorge]-Kassengeschäfte im Interesse der Anwartschaftsberechtigten zu führen und hierbei insbesondere auf die Sicherheit, Rentabilität und auf den Bedarf an flüssigen Mitteln sowie auf eine angemessene Mischung und Streuung der Vermögenswerte Bedacht zu nehmen.

(2) Die Veranlagung des einer Veranlagungsgemeinschaft zugeordneten Vermögens darf nur in folgenden Vermögensgegenständen erfolgen:

  1. Guthaben bei Kreditinstituten und Kassenbestände;

  2. Darlehen und Kredite, …

  3. Forderungswertpapiere, …

  4. sonstige Forderungswertpapiere sowie Beteiligungswertpapiere;

  5. Anteilscheine von Kapitalanlagefonds gemäß dem I. und Ia. Abschnitt des InvFG [Investmentfondsgesetz] 1993 sowie Anteilscheine von Kapitalanlagefonds, die gemäß

    1. dem II. Abschnitt des InvFG 1993 oder

    2. dem III. Abschnitt des InvFG 1993

    zum Vertrieb berechtigt sind.

  6. Immobilienfonds …

(3) Die Veranlagungen des Abs. 2 dürfen nur unter den folgenden Voraussetzungen und Beschränkungen erfolgen:

4. Veranlagungen gemäß Abs. 2 Z 5

  1. müssen von einer Kapitalanlagegesellschaft begeben werden, die ihren Sitz in einem EWR-Mitgliedstaat oder OECD-Mitgliedstaat hat …”

8 Nach § 32 Abs. 1 BMSVG hat die Betriebliche Vorsorgekasse mit der Verwahrung der zur Veranlagungsgemeinschaft gehörigen Wertpapiere und mit der Führung der zur Veranlagungsgemeinschaft gehörigen Konten eine Depotbank zu beauftragen. Die Bestellung und der Wechsel der Depotbank bedürfen der Bewilligung der FMA.

9 Nach § 43 BMSVG hat die FMA im Fall einer Überschreitung einer in § 30 BMSVG vorgesehenen Veranlagungsgrenze durch die Betriebliche Vorsorgekasse Zinsen vorzuschreiben.

10 Der II. Abschnitt des InvFG, auf den § 30 Abs. 2 Z 5 lit. a BMSVG verweist, lautet:

„II. Abschnitt

Vorschriften über den Vertrieb von Anteilen ausländischer Kapitalanlagefonds

Geltungsbereich

§ 24

(1) Für ein öffentliches Angebot im Inland von Anteilen an einem ausländischem Recht unterstehenden Vermögen, das nach dem Grundsatz der Risikostreuung (ausländische Kapitalanlagefondsanteile) angelegt ist, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts …

Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines öffentlichen Angebots

§ 25

Das öffentliche Anbieten von ausländischen Kapitalanlagefondsanteilen ist zulässig, wenn

  1. die ausländische Kapitalanlagegesellschaft der FMA ein Kreditinstitut, das die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 erfüllt, als Repräsentanten benennt,

  2. das Fondsvermögen von einer Depotbank oder von einer Institution, die zum Depotgeschäft berechtigt ist, verwahrt wird …

  3. ein oder mehrere Kreditinstitute, die die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 zweiter Satz erfüllen, als Zahlstellen benannt werden, über welche von den Anteilinhabern geleistete oder für sie bestimmte Zahlungen geleitet werden können; …

Repräsentant

§ 29

(1) Der Repräsentant vertritt die ausländische Kapitalanlagegesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Er gilt als zum Empfang der für die Kapitalanlagegesellschaft, die Verwaltungsgesellschaft, die Vertriebsgesellschaft und den öffentlichen Anbieter bestimmten Schriftstücke ermächtigt. Diese Befugnisse können nicht beschränkt werden.

(2) Für Klagen gegen eine ausländische Kapitalanlagegesellschaft, eine Verwaltungsgesellschaft oder eine Vertriebsgesellschaft, die auf den Vertrieb von ausländischen Kapitalanlagefondsanteilen im Inland Bezug haben, und für Klagen gegen den öffentlichen Anbieter ist das für den Repräsentanten örtlich zuständige Gericht zuständig. Dieser Gerichtsstand kann durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden.

Anzeigepflicht

§ 30

(1) Die ausländische Kapitalanlagegesellschaft hat die Absicht, ausländische Kapitalanlagefondsanteile im Inland öffentlich anzubieten, der FMA anzuzeigen.

(2) Der Anzeige sind beizufügen:

[Es folgen sehr detaillierte Ausführungen zu den nterlagen und Angaben, die dieser Anzeige beizufügen sind. Ferner ist für die Bearbeitung der Anzeige die Entrichtung einer Gebühr von 3 700 Euro an die FMA vorgesehen, an die außerdem eine jährliche Gebühr von 1 700 Euro zu entrichten ist. Die nicht fristgerechte Entrichtung der Gebühr ist ein Vertriebsuntersagungsgrund.]

Wartefrist – Vertriebsuntersagung

§ 31

(1) Der Vertrieb von ausländischen Kapitalanlagefondsanteilen darf erst aufgenommen werden, wenn seit dem Eingang der vollständigen Anzeige vier Monate verstrichen sind, ohne dass die FMA die Aufnahme des Vertriebes untersagt hat. Die Aufnahme des Vertriebes ist zu untersagen, wenn die ausländische Kapitalanlagegesellschaft die Voraussetzung nach § 25 nicht erfüllt oder die Anzeige nach § 30 nicht ordnungsgemäß erstattet.

Werbung

§ 32

(1) Werbung mit dem Hinweis auf die Befugnisse der FMA nach diesem Gesetz ist untersagt.

…”

11 Der III. Abschnitt des InvFG enthält die Vorschriften über den Vertrieb von dem Recht eines EWR-Mitgliedstaats unterstehenden Kapitalanlagefonds. Der in diesem Abschnitt enthaltene § 33 („Voraussetzungen”) bestimmt:

„Für das öffentliche Angebot im Sinne des § 24 Abs. 1 von Anteilen an einem dem Recht eines anderen EWR-Mitgliedstaates unterstehenden, nach dem Grundsatz der Risikostreuung angelegten Vermögen aus Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten und sonstigen liquiden Finanzanlagen im Sinne des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 85/611/EWG (EWR-Kapitalanlagefondsanteile) gelten die Vorschriften dieses Abschnitts …, wenn die Anteile von einer Kapitalanlagegesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgegeben werden und die Bestimmungen der Richtlinie 85/611 … erfüllt sind.”

12 Die folgenden Paragrafen des III. Abschnitts des InvFG enthalten Vorschriften, die den oben angeführten Bestimmungen des II. Abschnitts dieses Gesetzes entsprechen; allerdings sind die für die Bearbeitung der Anzeige verlangten Gebühren sowie die jährlich zu entrichtenden Gebühren niedriger, und die Wartefrist beträgt nicht vier, sondern zwei Monate.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

13 VBV ist eine konzessionierte Betriebliche Vorsorgekasse im Sinne von § 18 BMSVG mit Sitz in Wien (Österreich). Sie ist berechtigt, die an sie entrichteten Beiträge hereinzunehmen und zu veranlagen.

14 Zwischen November und Dezember 2009 fand bei VBV eine Vor- rt-Prüfung statt, die insbesondere die Überprüfung der Einhaltung der Veranlagungsbestimmungen des § 30 BMSVG zum Gegenstand hatte. Bei dieser Überprüfung wurde festgestellt, dass VBV am außerhalb Österreichs für 5 000 200 Euro Anteile an einem Fonds mit Sitz in Luxemburg erworben hatte, bei dem es sich um einen Fonds in der Rechtsform einer Investmentgesellschaft mit variablem Kapital (SICAV) handelt. Zum Zeitpunkt des betreffenden Erwerbs war der Fonds nicht zum Vertrieb in Österreich berechtigt. Mit Bescheid der FMA vom wurde VBV gemäß § 43 BMSVG der Betrag von 349 329,04 Euro für die Überschreitung der Grenze gemäß § 30 Abs. 2 Z 5 lit. a BMSVG zur Zahlung vorgeschrieben.

15 VBV focht diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof an und macht geltend, dass die genannte Bestimmung des BMSVG gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, da der mstand, dass die Zulässigkeit des Erwerbs von Anteilen an Kapitalanlagefonds, die in einem anderen Mitgliedstaat errichtet seien, vom Vorliegen der inländischen Vertriebsberechtigung abhängig gemacht werde, die Anlagemöglichkeiten einer Betrieblichen Vorsorgekasse erheblich beschränke. Diese Beschränkung sei unangemessen und zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele nicht erforderlich. Es sei völlig ausreichend, wenn der Gesetzgeber den Erwerb solcher Fonds statt an das formale Kriterium der Vertriebsberechtigung in Österreich an die Erfüllung bestimmter vom Fonds einzuhaltender Veranlagungsgrenzen bzw. Vermögenszusammensetzungen und Investmentstrategien knüpfe. Jedenfalls sei es für einen in einem anderen Mitgliedstaat errichteten Kapitalanlagefonds nicht interessant, sich für einen so kleinen Markt wie den österreichischen einem so zeit- und kostenaufwändigen Zulassungsverfahren zu unterziehen.

16 Nach Ansicht der FMA verfolgt die in Rede stehende Regelung das Ziel, Anleger und Verbraucher zu schützen. Die Verfolgung dieses Ziels liege im Allgemeininteresse, das mit der öffentlichen rdnung gleichzusetzen sei. Da Teile der österreichischen Bevölkerung aufgrund arbeitsgesetzlicher Regelungen gezwungen seien, Beiträge an betriebliche Vorsorgekassen zu entrichten und ihr Vermögen durch diese anlegen zu lassen, sei ein Notifikations- und Zulassungsverfahren für ausländische Kapitalanlagefonds eine unerlässliche Maßnahme zum Schutz nationaler Interessen. Jedenfalls handele es sich um ein standardisiertes Verfahren, und die Formalprüfung setze u. a. die Bestellung eines inländischen Repräsentanten, die Benennung einer inländischen Zahlstelle und die Bestellung einer Depotbank voraus. Dadurch werde für die Betroffenen jede Rechtsunsicherheit ausgeschlossen.

17 Der Verwaltungsgerichtshof teilt zunächst die Ansicht, dass die in Rede stehende Regelung Maßnahmen enthalte, die das Recht auf freien Kapitalverkehr beschränkten. Er fragt sich jedoch, ob diese Maßnahmen nicht aus Gründen der öffentlichen rdnung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AE V gerechtfertigt sein könnten. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen rdnung im Zusammenhang mit der Sicherheit der Veranlagung eines Teils der Arbeitseinkünfte der Bevölkerung sei zu berücksichtigen. Sollte tatsächlich ein derartiges öffentliches Interesse etwa im Hinblick auf eine geregelte Zukunfts- und Pensionsvorsorge als Rechtfertigungsgrund angenommen werden können, müsse weiters geprüft werden, ob solche Maßnahmen im Hinblick auf die verfolgten Ziele als verhältnismäßig gewertet werden könnten.

18 Aufgrund dieser Erwägungen hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist eine Bestimmung, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse die Veranlagung des in einer Veranlagungsgemeinschaft zugeordneten Vermögens nur in Anteilscheinen von Kapitalanlagefonds gestattet, die zum Vertrieb in Österreich zugelassen sind, mit der in Art. 63 ff. AEUV umschriebenen Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar?

Zur Vorlagefrage

Vorbemerkung

19 Aus den Akten, die dem Gerichtshof vorgelegt worden sind, geht nicht hervor, dass es sich bei der Veranlagungsgemeinschaft, die von einer Betrieblichen Vorsorgekasse gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung einzurichten ist, um einen GAW im Sinne der Richtlinie 85/611 handelt. Es ist außerdem nicht ersichtlich, dass die betreffende Veranlagungsgemeinschaft die Voraussetzungen erfüllt, die in der Definition des GAW in Art. 1 Abs. 2, insbesondere zweiter Gedankenstrich, dieser Richtlinie vorgesehen sind. Der Gerichtshof geht daher von der Prämisse aus, dass eine solche Veranlagungsgemeinschaft keinen GAW darstellt.

20 Die Prüfung durch den Gerichtshof wird sich somit im Wesentlichen auf die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr stützen.

Zur Frage

21 Zunächst steht fest, dass der Erwerb von Anteilscheinen eines Kapitalanlagefonds eine Direktinvestition in Form der Beteiligung an einem Finanzunternehmen und folglich Kapitalverkehr im Sinne des Art. 63 AEUV darstellt, wie im Übrigen aus der Rubrik IV der Nomenklatur in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [der durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde] (ABl. L 178, S. 5) und den dortigen Begriffsbestimmungen hervorgeht (vgl. in Bezug auf Aktienbesitz und den Erwerb von Wertpapieren Urteile vom , Kommission/Frankreich, C-483/99, Slg. 2002, I-4781, Randnr. 37, und Kommission/Belgien, C-503/99, Slg. 2002, I-4809, Randnr. 38).

22 Sodann ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung – u. a. § 30 Abs. 2 Z 5 lit. a und b BMSVG mit der Verweisung auf den II. und den III. Abschnitt des InvFG – die Veranlagung des Vermögens von Betrieblichen Vorsorgekassen in Anteilscheinen von Kapitalanlagefonds mit Sitz sowohl in einem Drittstaat als auch in einem Mitgliedstaat von der Bedingung abhängig macht, dass diese Fonds die Zulassung zum Vertrieb ihrer Anteilscheine im Inland erhalten haben, und dass die Vorsorgekassen bei Nichtbeachtung dieser Bedingung Zinsen gemäß § 43 BMSVG zu zahlen haben.

23 Insoweit lässt sich nicht die Auffassung vertreten, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung derartige Fonds keinem Zulassungsverfahren, sondern einem einfachen Notifikationsverfahren unterwerfe.

24 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht selbst dieses Verfahren als „Zulassung” wertet. Außerdem führt die Europäische Kommission zutreffend aus, dass die Notifizierung der FMA ermöglichen soll, zu prüfen, ob die von der betreffenden Regelung vorgesehenen materiellen Voraussetzungen im jeweiligen Fall erfüllt sind, so dass dieses Verfahren rechtlich zwangsläufig als „Genehmigungs”- bzw. „Zulassungsverfahren” anzusehen ist. Zudem gehen, auch wenn dieses Verfahren formell einem Notifikationsverfahren entsprechen mag, die zu erfüllenden Voraussetzungen – insbesondere die administrativen und finanziellen Belastungen, die Bestellung eines inländischen Repräsentanten sowie die Benennung einer inländischen Zahlstelle, bei der es sich um ein Kreditinstitut des betreffenden Mitgliedstaats handeln muss – weit über die Anforderungen hinaus, die normalerweise ein Notifikationsverfahren kennzeichnen.

25 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zum einen Betriebliche Vorsorgekassen davon abhalten und wegen der vorgesehenen finanziellen Sanktion faktisch daran hindern, ihr Vermögen in Kapitalanlagefonds, die in einem anderen Mitgliedstaat errichtet sind, anzulegen, und ist daher als eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne des Art. 63 Abs. 1 AEUV zu werten, die nach dieser Bestimmung grundsätzlich verboten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Kommission/Belgien, C-478/98, Slg. 2000, I-7587, Randnr. 18, sowie vom , Kommission/Portugal, C-171/08, Slg. 2010, I-6813, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26 Zum anderen wirkt sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung auch auf in anderen Mitgliedstaaten errichtete Kapitalanlagefonds insoweit beschränkend aus, als diese Fonds danach im Hinblick auf den Verkauf ihrer Anteilscheine verpflichtet sind, sich dem in der Regelung vorgesehenen Zulassungsverfahren im Inland zu unterziehen.

27 Eine solche Regelung schreibt den in anderen Mitgliedstaaten errichteten Kapitalanlagefonds ein Zulassungsverfahren in Österreich vor, während diese Fonds, die in ihrem Sitzmitgliedstaat ordnungsgemäß errichtet und genehmigt sind, die legitime Erwartung hegen, Kapital aus anderen Mitgliedstaaten anziehen zu können. Dieses Erfordernis stellt daher ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr dar.

28 Was die Rechtfertigung dieses Hindernisses betrifft, hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass der freie Kapitalverkehr durch eine nationale Regelung nur beschränkt werden darf, wenn diese aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Polen, C-271/09, Slg. 2011, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29 Insoweit ist erstens festzustellen, dass sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht mit Gründen der öffentlichen Sicherheit oder rdnung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV rechtfertigen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung können solche Gründe nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt; sie dürfen überdies nicht rein wirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Bouchereau, 30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35, sowie vom , Église de scientologie, C-54/99, Slg. 2000, I-1335, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30 Was zweitens das Argument betrifft, die in Rede stehenden Beschränkungen seien nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. b AEUV gerechtfertigt, dem zufolge „Artikel 63 … nicht das Recht der Mitgliedstaaten [berührt,] die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet … der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern”, genügt die Feststellung, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften zwar möglicherweise den materiellen Inhalt der Aufsichtsregeln festlegen, die für die von den Betrieblichen Vorsorgekassen eingerichteten Veranlagungsgemeinschaften gelten, diese Vorschriften aber andererseits keinesfalls den Zweck haben, Zuwiderhandlungen gegen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Aufsicht über Finanzinstitute zu verhindern. Die genannten Vorschriften können somit nicht unter die in diesem Artikel vorgesehene Ausnahme fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Polen, Randnr. 56).

31 Was drittens die geltend gemachte Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses betrifft, ist anzuerkennen, dass das Interesse, die Stabilität und die Sicherheit des Vermögens, das durch eine von einer Betrieblichen Vorsorgekasse eingerichtete Veranlagungsgemeinschaft verwaltet wird, insbesondere durch den Erlass von Aufsichtsvorschriften, zu gewährleisten, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der geeignet ist, Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs zu rechtfertigen (vgl. entsprechend in Bezug auf Pensionsfonds Urteil Kommission/Polen, Randnr. 57).

32 Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der sich ein Kapitalanlagefonds mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat für den Vertrieb seiner Anteile im Inland einem Zulassungsverfahren unterziehen muss, geht jedoch eindeutig über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Kontrollziels erforderlich ist. Denn zum einen ist – wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervorgeht – eine Betriebliche Vorsorgekasse bereits einer Kontrolle unterzogen worden, um ihre Geschäftstätigkeit ausüben zu dürfen, und unterliegt fortlaufend einer besonderen Aufsicht hinsichtlich ihres Finanzgebarens.

33 Zum anderen ist eine nationale Aufsichtsbehörde wie die FMA berechtigt, von einer Betrieblichen Vorsorgekasse zu verlangen, dass diese – gegebenenfalls in regelmäßigen Abständen – alle erforderlichen Informationen vorlegt, die die Zusammensetzung des Kapitals und die Vermögenswerte eines in einem anderen Mitgliedstaat errichteten Kapitalanlagefonds betreffen, in den diese Vorsorgekasse einen Teil ihrer Mittel investieren will oder bereits investiert hat, wobei diese Informationen im Übrigen in dem Mitgliedstaat, in dem der Kapitalanlagefonds seinen Sitz hat, verfügbar sein müssen.

34 Diese Erwägungen führen zu der Schlussfolgerung, dass eine Regelung wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, Maßnahmen vorsieht, die im Hinblick auf das angestrebte Kontrollziel unverhältnismäßig sind.

35 Dieselben Erwägungen, die zur Feststellung der Unverhältnismäßigkeit einer solchen Regelung führen, gelten viertens, soweit als zwingender Grund des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs geltend gemacht wird, dass die von den Leistungen einer Betrieblichen Vorsorgekasse Begünstigten in ihrer Eigenschaft als Verbraucher geschützt werden müssten.

36 Schließlich gehört das mit dem BMSVG geschaffene System nicht zum österreichischen System der sozialen Sicherheit. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht nämlich hervor, dass es nach dem Kapitalisierungsprinzip funktioniert, wonach die Zahlungen, die der Arbeitgeber in Höhe eines Prozentsatzes des Bruttoentgelts des betreffenden Arbeitnehmers an die Betriebliche Vorsorgekasse entrichtet, der Finanzierung der Abfertigung dienen, die der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnis erhält. Im Rahmen dieses Systems wird der Träger der Krankenversicherung des Arbeitnehmers nur als zwischengeschaltete Stelle tätig. Folglich kann ein solches System trotz seines sozialen Zwecks unionsrechtlich nicht als Bestandteil des Systems der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats gelten (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Polen, Randnr. 40).

37 Es kann daher keine Rede davon sein, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Systems der sozialen Sicherheit kommt, so dass Art. 153 Abs. 4 AEUV nicht als Rechtfertigung für eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geltend gemacht werden kann.

38 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse oder der von dieser zur Verwaltung ihrer Mittel eingerichteten Veranlagungsgemeinschaft die Veranlagung dieser Mittel in Anteilscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat errichtet ist, nur gestattet, wenn dieser Fonds zum Vertrieb seiner Anteile im Inland zugelassen worden ist.

Kosten

39 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 63 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die einer Betrieblichen Vorsorgekasse oder der von dieser zur Verwaltung ihrer Mittel eingerichteten Veranlagungsgemeinschaft die Veranlagung dieser Mittel in Anteilscheinen eines Kapitalanlagefonds, der in einem anderen Mitgliedstaat errichtet ist, nur gestattet, wenn dieser Fonds zum Vertrieb seiner Anteile im Inland zugelassen worden ist.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
RAAAE-48129