Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Schuldfähigkeit trotz der Diagnose einer Schizophrenie
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB
Instanzenzug: LG Gießen Az: 9 KLs 208 Js 16564/12
Gründe
1Das Landgericht hat angeordnet, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
21. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Beschuldigte aufgrund einer zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Körperverletzungsdelikte in einem Zustand, in dem "nicht auszuschließen" sei, dass seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war (§ 20 StGB); "unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes" hat das Landgericht hingegen "gesichert" festgestellt, "dass der Beschuldigte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei (§ 21 StGB)" (UA S. 19). Infolge seines Zustands seien auch in Zukunft von dem Beschuldigten, der aufgrund seines "systematischen Wahns" (UA S. 21) keine Krankheitseinsicht zeige und jede medizinische Behandlung ablehne, "ähnlich gelagerte Gewaltdelikte" (UA S. 20) zu erwarten.
32. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4Allein die Diagnose einer Schizophrenie führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. auch Senatsbeschluss vom – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307 mwN). Erforderlich ist stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. , NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer darauf abstellt, dass "insbesondere der paranoid-halluzinatorische Einschlag der Psychose des Beschuldigten für diesen den Zwang verursacht habe, sich im Rahmen seiner paranoiden Wahrnehmung zu wehren" (UA S. 19), ist eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nicht ausreichend klar dargelegt.
5Bei akuten Schüben einer Schizophrenie ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist, weil bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein wird (vgl. , NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Bei erhaltener Unrechtseinsicht kann zwar auch (allein) die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. etwa Senatsbeschluss vom – 2 StR 278/10). Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist aber erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 304/12 und vom – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen hingegen die Ausnahme dar (vgl. Senat, Urteil vom – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Das Landgericht hat sich erkennbar nicht mit solchen Fallkonstellationen auseinandergesetzt.
6Die Unterbringungsanordnung kann auch nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (vgl. , aaO). Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.
73. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 StPO das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 416 Rn. 5 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hingewiesen.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng
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WAAAE-47125