BAG Urteil v. - 5 AZR 428/12

Arbeitszeitkonto - Kürzung von Zeitguthaben - unzulässige Klageänderung in der Revisionsinstanz

Gesetze: § 263 ZPO, § 559 Abs 1 ZPO, § 264 Nr 2 ZPO, § 611 Abs 1 BGB

Instanzenzug: Az: 5 Ca 546 c/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 5 Sa 269/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über den Verfall von Gleitzeitguthaben auf einem Arbeitszeitkonto.

2Der 1947 geborene Kläger war seit November 1980 bei der Beklagten in deren Bundesanstalt Technisches Hilfswerk am Dienstort K beschäftigt, zuletzt seit als Bürosachbearbeiter. Das Arbeitsverhältnis endete wegen Erreichens des Rentenalters im Januar 2012.

3Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom (TVöD) Anwendung. Dieser enthält zur Arbeitszeit ua. folgende Regelungen:

4In der Dienststelle des Klägers galt im Streitzeitraum die „Dienstvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung in der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk“ vom (fortan: DV), in der es auszugsweise heißt:

5Mit E-Mail vom wurden die Beschäftigten darüber informiert, dass „im Einvernehmen mit dem BPR und der Gleichstellungsbeauftragten“ der Abrechnungszeitraum des § 7 Abs. 3 DV bis einschließlich verlängert wurde. Auf eine entsprechende Absicht hatte die Beklagte bereits mit E-Mail vom hingewiesen, und dabei gebeten, „das Gleitzeitkonto unter Anwendung von Zeitausgleich (statt Urlaubsabgeltung) entsprechend rechtzeitig herunter zu fahren und das Gleitzeitkonto unter Anwendung der Flexibilisierungsinstrumente gar nicht erst außerordentlich anwachsen zu lassen“. Angeordnete Überstunden sollten auf dem Überstundenkonto „gesichert“ werden.

6Das Gleitzeitkonto des Klägers wies Ende Mai 2010 ein Guthaben von 80 Stunden auf. Zu diesem Zeitpunkt erkrankte der Kläger und war über den Abrechnungszeitraum hinaus arbeitsunfähig. Mit Ablauf des kürzte die Beklagte unter Berufung auf § 7 Abs. 3 DV auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers das Gleitzeitguthaben von 80 auf 40 Stunden.

7Mit der am eingereichten Klage hat der Kläger die Gutschrift von 40 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto begehrt und geltend gemacht, die Beklagte habe das Guthaben zu Unrecht gekürzt, weil er krankheitsbedingt bis zum Stichtag keinen Freizeitausgleich habe nehmen können. Ihm dürfe nicht die Gegenleistung für erbrachte Arbeit entzogen werden. Es wäre auch widersprüchlich, wenn bei Erkrankung während des Freizeitausgleichs die Krankentage gemäß § 7 Abs. 5 DV gutgeschrieben würden, bei lang andauernder Erkrankung der Freizeitausgleich aber verfallen solle. Letzterem stünde auch die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Nichtverfall von Urlaub bei lang andauernder Erkrankung entgegen.

8Der Kläger hat in den Vorinstanzen beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, § 7 Abs. 3 DV sehe die Kappung eines - bei Vollbeschäftigten - über 40 Stunden hinausgehenden Gleitzeitguthabens am Ende eines Abrechnungszeitraums vor. Die Dienstvereinbarung sei rechtlich nicht zu beanstanden. § 10 TVöD eröffne den Dienststellenpartnern einen weiten Regelungsspielraum. Auch tariflich bewirke nur die Arbeitsunfähigkeit, die „während eines Zeitausgleichs“ eintrete, keine Minderung des Zeitguthabens. Wenn die Beschäftigten selbst entscheiden können, ob und wie lange sie arbeiten, sei es nicht unbillig, ihnen auch die Verantwortung dafür zu übertragen, Guthaben durch Gleittage rechtzeitig abzubauen. Dabei fielen Schicksalsschläge wie eine lang andauernde Erkrankung in den Risikobereich der Beschäftigten.

10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat am die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger die Klage geändert und beantragt, nunmehr unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung,

11Aufgrund seines Ausscheidens im Januar 2012 habe er nunmehr Anspruch auf Abgeltung der dem Arbeitszeitkonto gutzuschreibenden 40 Stunden. Sein Bruttostundenentgelt habe sich zuletzt bei Vergütung nach Entgeltgruppe 8 Stufe 6 TVöD auf 16,26 Euro belaufen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

12I. Die Revision ist zulässig. Der Kläger ist durch das angefochtene Urteil auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beschwert.

13Der Sinn eines Rechtsmittelverfahrens, dem Revisionskläger Gelegenheit zu geben, eine ihm ungünstige vorinstanzliche Entscheidung durch Inanspruchnahme einer weiteren Instanz überprüfen zu lassen, gebietet es, dass der Rechtsmittelkläger durch die angefochtene Entscheidung nicht nur bei der Einlegung, sondern noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel beschwert sein muss ( - Rn. 11 mwN). Das ist vorliegend der Fall. Der Kläger verfolgt zwar in der Revision den in den Vorinstanzen gestellten Sachantrag auf Gutschrift gestrichener Stunden auf dem Gleitzeitkonto nicht mehr weiter. Gleichwohl bleibt er durch das Berufungsurteil beschwert. Dieses steht dem nunmehrigen Klageziel - „Abgeltung“ der von dem Gleitzeitkonto gestrichenen Stunden - entgegen. Dass der Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt hätte erklären können, ist für die Fortdauer der Beschwer ohne Belang.

14II. Die Revision ist unbegründet.

151. Der erstmals in der Revisionsinstanz gestellte Zahlungsantrag ist unzulässig. Insoweit liegt eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung vor.

16a) Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den dort gestellten Antrag (Klageantrag) und dem ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat. Der Streitgegenstand ändert sich dementsprechend iSv. § 263 ZPO, wenn der gestellte Antrag oder der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist ( - Rn. 21 mwN).

17Der Kläger hat in der Revisionsbegründung einen anderen Klageantrag gestellt als in den Tatsacheninstanzen. Zudem liegt dem neuen Klageantrag nicht nur der bisherige, sondern ein erweiterter und damit anderer Lebenssachverhalt zugrunde.

18b) Die Klageänderung ist nach § 559 Abs. 1 ZPO unzulässig. Danach ist in der Revisionsinstanz eine Klageänderung grundsätzlich ausgeschlossen. Der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der Parteien die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht. Hiervon hat das Bundesarbeitsgericht insbesondere aus prozessökonomischen Gründen Ausnahmen in den Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO zugelassen, sowie dann, wenn sich der geänderte Sachantrag auf einen in der Berufungsinstanz festgestellten oder von den Parteien übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt stützen kann, sich das rechtliche Prüfprogramm nicht wesentlich ändert und die Verfahrensrechte der anderen Partei durch eine Sachentscheidung nicht verkürzt werden ( - Rn. 23; - 7 AZR 698/11 - Rn. 60, jeweils mwN).

19Im Streitfall ist eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 559 Abs. 1 ZPO nicht geboten. Ein Fall des § 264 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor. Der Kläger hat nicht lediglich ohne Änderung des Klagegrundes den Klageantrag in der Hauptsache erweitert oder beschränkt, sondern einen völlig neuen Antrag gestellt. Der bisherige und der neue Klageantrag unterliegen unterschiedlichen „Prüfprogrammen“. Während bei dem Antrag auf Gutschrift von Stunden auf dem Gleitzeitkonto (nur) zu prüfen ist, ob die Beklagte nach § 7 Abs. 3 DV am das Guthaben auf dem Gleitzeitkonto auf 40 Stunden reduzieren durfte oder sogar musste (§ 74 Abs. 1 BPersVG), erfordert der neue Klageantrag ein anderes, erweitertes Prüfprogramm. Nunmehr geht es darum, ob sich aus der Dienstvereinbarung, sonstigen Normen oder Rechtsgrundsätzen - gesetzt den Fall, die Beklagte hätte am 40 Stunden zu Unrecht von dem Gleitzeitkonto des Klägers gestrichen - der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergibt.

20Der Antrag kann sich nicht allein auf die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen stützen. Schon der Vortrag des Klägers zu seinem Verdienst ist neu. Zudem normiert die einschlägige Dienstvereinbarung für Gutstunden ausdrücklich keine Zahlungsansprüche. Sollte dem Kläger ein Schadensersatzanspruch vorschweben, wäre dafür neuer Tatsachenvortrag zum Vorliegen eines Schadens bei Nichtgewährung von Freizeitausgleich, dessen Höhe und ggf. zum Verschulden der Beklagten erforderlich. Soweit sich der Kläger auf „neue Rechtsprechung zum Urlaubsrecht“ beruft, ergibt sich aus dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt nicht, wie lange die Arbeitsunfähigkeit des Klägers angedauert hat (vgl. zum Zeitraum von 15 Monaten im Urlaubsrecht  - Rn. 32 ff.).

212. Der in den Vorinstanzen gestellte, nicht wirksam (§ 269 Abs. 1 ZPO) zurückgenommene Antrag, dem Gleitzeitkonto 40 Stunden „gutzuschreiben“, ist zulässig (vgl.  - Rn. 17), weil der Antrag bei interessengerechter Auslegung auf die Korrektur einer von der Beklagten vorgenommenen Buchung gerichtet ist, aber jedenfalls durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbegründet geworden ist. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beklagte am das Gleitzeitkonto zu Recht gekürzt hat und § 7 Abs. 3 DV wirksam ist, kommt es nicht mehr an.

22a) Die Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto setzt voraus, dass der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zum Zeitpunkt der Rechtskraft einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung nicht erfasste oder zu Unrecht gekürzte Arbeitsstunden noch gutgeschrieben werden können. Dies ist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der regelmäßig damit einhergehenden Schließung eines Arbeitszeitkontos nicht mehr der Fall. Damit ist seit dem Ausscheiden des Klägers die ursprüngliche Klage auf eine unmögliche Leistung gerichtet.

23b) Etwas anderes folgt nicht aus der Funktion eines Arbeitszeitkontos. Dieses hält zunächst fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611 Abs. 1 BGB erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste ( - Rn. 20). Die Dokumentationsfunktion gebietet es - jedenfalls bei einem Gleitzeitkonto - nicht, einen Anspruch auf Korrektur des Arbeitszeitkontos auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bejahen. Das Gleitzeitkonto dokumentiert, sofern es im Plus ist, in welchem Umfang der Arbeitnehmer zukünftig noch Freizeitausgleich nehmen kann. Ein solcher ist aber nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers nicht mehr möglich, die Dokumentationsfunktion geht ins Leere. Soweit der Arbeitnehmer für auf dem Arbeitszeitkonto nicht (mehr) dokumentierte Stunden wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses „Abgeltung“ beansprucht, kann er einen entsprechenden Zahlungsanspruch unmittelbar verfolgen. Er braucht hierfür den „Umweg“ über eine Korrektur des Arbeitszeitkontos nicht.

24III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
DB 2013 S. 2933 Nr. 51
NJW 2013 S. 3806 Nr. 52
IAAAE-46470