Schwere Körperverletzung: Absichtliche oder wissentliche Verursachung der Folgen einer schweren Körperverletzung als Qualifikationstatbestand; verfahrensfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages zu einer Indiztatsache wegen Bedeutungslosigkeit; Darlegungerfordernis der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen
Gesetze: § 244 Abs 3 S 2 StPO, § 226 Abs 2 StGB
Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 4 Ks 1/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe angeordnet sowie Adhäsionsentscheidungen zugunsten von S. getroffen. Die Angeklagten K. und M. hat es wegen unterlassener Hilfeleistung zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Angeklagten mit der Sachrüge; die Angeklagten N. und K. haben zudem Verfahrensrügen erhoben. Das Rechtsmittel des Angeklagten N. führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils, soweit es ihn betrifft. Die Rechtsmittel der Angeklagten K. und M. sind dagegen unbegründet.
21. Die Revision des Angeklagten N. hat bereits mit der Sachrüge Erfolg.
3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug und trat der Angeklagte N. auf S. derart ein, dass - neben zahlreichen Frakturen am Kopf und weiteren Verletzungen - dessen "linke Ohrmuschel zerstört" wurde (UA S. 20) und ein "Totalverlust des linken Ohres" eintrat (UA S. 24). Zudem sprühte der Angeklagte mit einem Deospray auf Kopf, Rücken und Beine von S. und zündete die eingesprühten Körperstellen an.
4Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Angeklagte seinem Opfer einen "heftigen Denkzettel verpassen" wollte, er wusste, dass er es durch seine massiven gewalttätigen Handlungen erheblich verletzen könnte, und er wollte dies auch; dass er trotz des Wissens um die Lebensgefährlichkeit seiner Handlungen den Tod des S. billigend in Kauf nahm, hat die Strafkammer nicht festzustellen vermocht (UA S. 23).
5Die Strafkammer sieht hierin eine schwere und eine gefährliche Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und führt - ohne dies näher darzulegen - aus, dass der Angeklagte "wissentlich" die linke Ohrmuschel des S. zerstört habe (UA S. 42). Im Rahmen der Strafzumessung teilt die Strafkammer mit, dass sie die Strafe dem Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB entnommen habe (UA S. 45).
6b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7Bei § 226 Abs. 2 StGB handelt es sich nicht nur um eine Strafzumessungsregel, sondern um eine Qualifikation gegenüber dessen Absatz 1, die durch das "absichtliche" oder "wissentliche" Verursachen der schweren Folge gekennzeichnet ist. Hierfür reicht zwar aus, dass der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht (, NJW 2001, 980, 981; vom - 5 StR 103/02, BGHR StGB § 226 Abs. 2 Schwere Körperverletzung 2; vom - 1 StR 65/05, NStZ-RR 2006, 174, 175). Dies wird durch die - insoweit auch im Rahmen der Beweiswürdigung nicht weiter erläuterten - Feststellungen des Landgerichts aber nicht belegt; insbesondere genügt hierfür nicht, dass der Angeklagte wusste und wollte, dass sein Opfer "erheblich verletzt" wird.
8c) Der Rechtsfehler führt - soweit es den Angeklagten N. betrifft - zur Aufhebung des Urteils sowie der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO). Da nicht ausgeschlossen ist, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer Feststellungen zur absichtlichen oder wissentlichen Herbeiführung der schweren Folgen treffen wird, ist eine Änderung des Schuldspruchs in eine - von den bisherigen Feststellungen getragene - schwere Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 StGB (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) nicht veranlasst.
9Zu der vom Angeklagten N. erhobenen, allein die Brandverletzungen und daher den Strafausspruch betreffenden Verfahrensrüge bemerkt der Senat ergänzend: Bei der Ablehnung des hier nicht lediglich eine Negativtatsache enthaltenden Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung aus tatsächlichen Gründen darf die Beweiserheblichkeit der Indiztatsache nicht nur mit der Begründung, auch wenn der Zeuge die Behauptung bestätige, müsse dies nicht richtig sein, verneint werden (, StraFo 2008, 29, 30). Zudem ist das Ergebnis der Prüfung - soweit es nicht für alle Beteiligten auf der Hand liegt (, NJW 2011, 1299) - mit den hierfür maßgeblichen Erwägungen konkret darzulegen, um dem Antragsteller zu ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten hierauf einzurichten (, NStZ 2013, 352, 353). Die Anforderungen an die Begründung entsprechen dabei grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 29/13; vom - 3 StR 47/12, NStZ-RR 2012, 255; vom - 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85). Diesen Anforderungen genügt der nicht.
10d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S. , bei der für das Landgericht "keine Anhaltspunkte erkennbar waren, die den Geschädigten veranlasst haben könnten, einen der übrigen Beteiligten bewusst zu schützen" (UA S. 34), zu bedenken sein wird, dass dieser - so die Feststellungen im angefochtenen Urteil - den Angeklagten K. auch weiterhin als seinen Freund ansieht und darum bemüht schien, "nichts Schlechtes auf ihn kommen zu lassen" (UA S. 33 f.).
11Im Falle der erneuten Anordnung der Maßregel des § 64 StGB und deren teilweisen Vorwegvollzugs bedarf es zudem der Mitteilung der voraussichtlichen Therapiedauer (vgl. mwN).
12Sollte der Angeklagte N. im Adhäsionsverfahren erneut zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt werden, wird die Strafkammer zu bedenken haben, dass dessen Bemessung regelmäßig die Berücksichtigung auch der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und des Geschädigten erfordert (vgl. , StV 2012, 711, 712 mwN).
132. Die Revisionen der Angeklagten K. und M. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Auch die Beschwerde des Angeklagten M. gegen die Kostenentscheidung hat keinen Erfolg, da diese dem Gesetz entspricht.
14Eine Erstreckung der Aufhebung des Urteils zugunsten des Angeklagten N. gemäß § 357 StPO auf die Angeklagten K. und M. oder auf die nicht revidierende Mitangeklagte Sch. ist nicht geboten, da kein gemeinsamer Revisionsgrund vorliegt. Sollte in der neuen Hauptverhandlung eine Mitwirkung dieser Angeklagten an den Misshandlungen des Zeugen S. oder eine über § 323c StGB hinausgehende Unterlassungstäterschaft festgestellt werden, wäre der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung weiterhin gegeben und könnte lediglich als subsidiär zurücktreten (vgl. SSW-StGB/Schöch, § 323c Rn. 18, 24 mwN). Eine Beschwer der Angeklagten durch die Aufrechterhaltung des Schuldspruchs ist daher ebenso ausgeschlossen (vgl. auch KK-Kuckein, 6. Aufl., § 357 Rn. 16) wie die Verhängung noch milderer Rechtsfolgen; an einer Erhöhung der gegen sie ausgesprochenen Strafen bzw. Ahndung wäre der neue Tatrichter durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO gehindert.
153. Da sich das Verfahren nunmehr nur noch gegen einen erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache nicht an eine Jugendkammer des Landgerichts zurück ( mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 355 Rn. 8 mwN). Jedoch sieht der Senat keinen Anlass, die Sache statt einem Schwurgericht einer allgemeinen Strafkammer zuzuweisen (vgl. KK-Kuckein, aaO, § 354 Rn. 31; Meyer-Goßner, aaO, § 354 Rn. 42).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
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Fundstelle(n):
OAAAE-45820