PiR Nr. 9 vom Seite 1

Von der Überregulierung zur Überstandardisierung?

WP/StB Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann | Herausgeber | pir-redaktion@nwb.de

Jeder ist gegen die Überregulierung, doch gegen sie ist offensichtlich kein Kraut gewachsen. Im Vorwort zur 4. Auflage unseres NWB Kommentars Bilanzierung haben wir (die Herausgeber) die Münchner Fahrradabstellplatzsatzung „Fabs” als Aufhänger für die Überregulierung zitiert: Für Friedhöfe wird ein Abstellplatz je 1.500 m² Fläche vorgegeben, bei einem Bordell genügt einer für fünf Zimmer. Der Vergleich sollte auch dem Amüsement der Leser dienen. Viel ernster stellt sich der Fall des Wertpapieranlageberaters einer Bank dar, der nach zwanzigjähriger erfolgreicher Tätigkeit wegen der nicht mehr zu bewältigenden Papierflut und Dokumentationspflicht seine Tätigkeit in diesem Sektor einstellt (FAZ vom ).

Bei der Lektüre der Beiträge in diesem PiR-Heft sind dem Editor solche Gedanken durch den Kopf gegangen. Muss auch bei der Standardisierung der Rechnungslegung bzw. Finanzinformation wirklich alles bis ins kleinste Detail geregelt werden, wenn sich ironischerweise dadurch gerade Regelungslücken auftun? Im Beitrag von Dr. Marco Meyer kann man speziell dazu Bemerkenswertes nachlesen. Es geht um die bilanzielle Trennung hinsichtlich des Ausweises und der Bewertung von langfristigen Vermögenswerten und Geschäftsbereichen, die der Veräußerung gewidmet bzw. zur Aufgabe vorgesehen sind. Der Adressat des Abschlusses soll die Ertragskraft des fortzusetzenden Geschäfts besser beurteilen können – eine an sich stützenswerte Idee. Wenn es dann aber zur praktischen Anwendung des IFRS 5 kommt, werden die Lücken der Regelungen bei aller Detailversessenheit offenbar. Ausgerechnet das „Standardthema” der latenten Steuern wird ausgesprochen stiefmütterlich behandelt. Über Passivlatenzen schweigt sich der Standard aus. Der Praxis sind Auslegungsprobleme anvertraut, denen sich unser Autor in überzeugender Argumentation widmet. Jedenfalls bedarf es keiner geringeren Auslegungskunst als in der prinzipienorientierten HGB-Welt.

Wer nicht unbedingt dem Regulierungsvorbehalt des Editors folgen will, kann die Kompakt-Rubrik von Jens Freiberg als Exerzierfall zur Erfassung tatsächlicher und latenter Steuern nach IAS 12 heranziehen. Was ist höher zu schätzen, die Regelungsdichte des IAS 12, der gleichwohl vieles ungeregelt lässt, oder die „Kurzanweisung” des § 274 HGB? Dabei ist IAS 12 nicht als umfassender Standard zur Behandlung des Ertragsteueraufwands zu verstehen, in einigen anderen Standards muss zusätzlich nachgeforscht werden.

Ein anderes, im HGB-Einzelabschluss unbekanntes Spezifikum der IFRS-Rechnungslegung stellt die Dreiteilung im Ausweis von Ertragsposten direkt im Eigenkapital, sodann im OCI und schließlich in der altvertrauten GuV dar. Das OCI kann man als GuV II bezeichnen, aus der heraus mitunter in die GuV I „recycelt” werden muss. Der Editor erlaubt sich die Frage, ob tatsächlich die Zweiteilung der GuV so furchtbar erhellend auf den Adressaten wirkt. Die OCI-Lösung der neugefassten IAS 19 (z. B.) wirkt eher lobbygetrieben als systematisch fundiert. Welche Probleme die Zweiteilung der Ergebnisdarstellung im Einzelfall aufwerfen kann, zeigt sehr plastisch der weitere Fokusbeitrag zum schlichten Sachverhalt der Bankgebühren bei einem IPO.

Beste Grüße

Wolf-Dieter Hoffmann

Fundstelle(n):
PiR 9/2013 Seite 1
NWB LAAAE-43971