BGH Urteil v. - 3 StR 115/13

Instanzenzug:

Gründe

1 Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht ankommt.

2 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich die Angeklagte, die Kokain und Alkohol konsumiert hatte, nach einem Gaststättenbesuch gegen 16.00 Uhr zur Straßenbahnhaltestelle, wohin ihr der Geschädigte, den sie zuvor in der Gaststätte kennengelernt hatte, folgte. An der Haltestelle erwarteten beide nebeneinander stehend die Straßenbahn. Als der trotz haltestellenbedingter Bremsung mit "zügigem Tempo" einfahrende Zug noch etwa drei bis fünf Meter entfernt war, nahm die Angeklagte Blickkontakt zum Fahrer auf, ergriff den Geschädigten mit beiden Händen am linken Oberarm und stieß ihn auf das Gleisbett. Dabei nahm sie das Herannahen der Straßenbahn wahr und erkannte, dass der Geschädigte von dieser überrollt und getötet werden könnte, was sie billigend in Kauf nahm. Der Geschädigte, der in die Mitte des Gleisbetts geriet, versuchte zwar, wieder in Richtung des Warteplateaus zu gelangen, konnte der herannahenden Bahn jedoch nicht mehr vollständig ausweichen. Er wurde von dieser erfasst und kam auf der Warteplattform zum Liegen. Dabei zog er sich eine Rippenfraktur und eine Knieverletzung zu und musste drei Tage stationär sowie danach mit Schmerzmitteln behandelt werden. Die Angeklagte war sehr aufgebracht und schrie u.a.: "Warum bist Du nicht verreckt, spring doch von der Brücke".

3 Dass die Angeklagte, die in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, den Geschädigten ins Gleis geschubst zu haben, mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat die Strafkammer wesentlich darauf gestützt, dass die sich trotz des kurz bevorstehenden Haltevorgangs noch mit einer hohen Geschwindigkeit nähernde Straßenbahn im Zeitpunkt des Stoßes bereits auf drei bis fünf Meter herangekommen war. Dies habe die Angeklagte erfasst und damit auch die Gefahr erkannt, dass der Geschädigte von der Straßenbahn überrollt werden könnte.

4 2. Diese Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5 a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2011, 73, 74). Nach diesen revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstäben enthält die Beweiswürdigung auf die Sachrüge zu beachtende Rechtsmängel, weil sie gegen Denkgesetze verstößt.

6 b) Der objektive Geschehensablauf, auf den die Strafkammer maßgeblich die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gründet, kann sich so wie festgestellt nicht abgespielt haben. Danach soll die Straßenbahn, die - nach der Schätzung des Straßenbahnfahrers, zu deren Richtigkeit die Strafkammer nicht Stellung genommen hat - mit ca. 30 km/h heranfuhr, noch drei bis fünf Meter entfernt gewesen sein, als die Angeklagte zu ihrem Angriff auf den Geschädigten ansetzte. Welche Zeit die Straßenbahn benötigte, diese Strecke zu durchfahren, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Geht man nach überschlägiger Berechnung von einem Zeitraum von höchstens einer Sekunde aus, so erscheint es denkgesetzlich nicht möglich, dass sich das mehraktige Geschehen, bei dem die Angeklagte zunächst den Arm des Geschädigten ergriff, ihn dann auf das Gleisbett stieß und es diesem schließlich noch gelang, trotz erheblicher Alkoholisierung den Gleisbereich wieder weitgehend in Richtung der Einsteigeplattform zu verlassen, innerhalb dieses Zeitraums vollzogen haben kann.

7 c) Auf diesem Mangel beruht das Urteil auch. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei Annahme einer größeren Entfernung des Zuges zu Tatbeginn andere Schlüsse zum subjektiven Tatbestand gezogen hätte.

8 Es wird sich empfehlen, in der neuen Hauptverhandlung einen Sachverständigen zu hören.

Fundstelle(n):
EAAAE-41908