BVerwG Beschluss v. - 7 B 42.12

Instanzenzug:

Gründe

I.

1Der Kläger, ein anerkannter Umwelt- und Naturschutzverein, wendet sich gegen den Vorbescheid zur Errichtung und zum Betrieb des Steinkohlekraftwerks D. Nach Durchführung eines Scoping-Termins im Mai 2005 beantragte das beigeladene Energieversorgungsunternehmen im Januar 2006 den Vorbescheid, der am erteilt wurde. In der Fassung des durch Widerspruchsbescheid vom neu gefassten Tenors umfasst der Vorbescheid das vorläufige positive Gesamturteil für das Vorhaben dahingehend, dass der Errichtung und dem Betrieb des Steinkohlekraftwerks keine unüberwindlichen Hindernisse im Hinblick auf die Genehmigungsvoraussetzungen entgegenstehen. Darüber hinaus erstreckt sich der Vorbescheid unter Berücksichtigung des Gesamtanlagenkonzepts auf folgende Genehmigungsvoraussetzungen:

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Anforderungen der Luftreinhaltung, des Lärm- und Erschütterungsschutzes, der Abfallentsorgung der Energieeffizienz, die sich aus § 5 BImSchG aufgrund von Rechtsvorschriften nach § 7 BImSchG ergeben;

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Zulässigkeit des Eingriffs in Natur und Landschaft hinsichtlich des Eintrags von Luftschadstoffen.

Weitere Feststellungen wurden mit Bescheid vom aufgehoben, nachdem der für den Kraftwerksstandort erlassene Bebauungsplan durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom - 10 D 121.07/NE - (DVBl 2009, 1385; nachfolgend BVerwG 4 BN 66.09 -Buchholz 406.25 § 50 BImSchG Nr. 7) rechtskräftig für unwirksam erklärt worden war.

2Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Vorbescheid, soweit noch Gegenstand des Verfahrens, aufgehoben: Die Klage sei zulässig. Die Vorschriften des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes seien nach der Übergangsvorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 anwendbar, weil das Verfahren mit der Antragstellung erst nach dem eingeleitet worden sei. Die Klage sei auch begründet. Der Vorbescheid verstoße gegen Rechtsvorschriften, die der Kläger rügen könne. Zum einen sei eine vorläufige positive Gesamtbeurteilung, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraussetze, nicht möglich, weil der für die Errichtung des Kraftwerks erforderliche Bebauungsplan fehle. Der Kläger könne den Verstoß gegen das Planungserfordernis jedenfalls deswegen rügen, weil das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz insoweit durch die Vorschriften der unmittelbar anwendbaren Aarhus-Konvention ergänzt werde. Zum anderen sei der Vorbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil keine ordnungsgemäße FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Dieser Mangel betreffe sowohl die Feststellung der Zulässigkeit des Eingriffs in Natur und Landschaft hinsichtlich des Eintrags von Luftschadstoffen, der die Feststellung der FFH-Verträglichkeit des Vorhabens in dieser Hinsicht mit einschließe, als auch das vorläufige positive Gesamturteil. Die von der Beigeladenen mittlerweile vorgelegte FFH-Verträglichkeitsuntersuchung könne nicht herangezogen werden, da die abschließende Bewertung durch die zuständige Behörde noch fehle; diese könne durch eine eigene Feststellung des Senats nicht ersetzt werden.

3Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen.

II

4Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Beschwerden haben keinen Erfolg. Die in Anspruch genommenen Zulassungsgründe sind entweder nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor.

51. Hinsichtlich der Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit der Klage werfen die Beschwerden als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob ein Verfahren bereits mit der Durchführung eines Scoping-Termins oder erst mit dem Eingang des Antrags bei der zuständigen Behörde im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 UmwRG eingeleitet worden ist.

6Diese Frage kann schon deshalb nicht zur Zulassung einer Revision führen, weil sie die Auslegung von Übergangsrecht betrifft. Fragen, die sich nur aufgrund von auslaufendem, ausgelaufenen und insbesondere Übergangsrecht stellen, verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn die Grundsatzrevision soll Fragen zur Auslegung des geltenden Rechts mit Blick auf die Zukunft richtungweisend klären (stRspr, vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 1 B 139.04 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12 und vom - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4). Auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Ausnahmen können die Beschwerdeführer sich nicht berufen. Weder gibt es eine Nachfolgebestimmung, bei der sich die streitigen Fragen in gleicher Weise stellen (siehe dazu BVerwG 7 B 29.12 - [...] Rn. 2 m.w.N.), noch legen die Beschwerdeführer dar, dass die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin von Bedeutung ist (stRspr, Beschlüsse vom - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 und vom - BVerwG 7 B 1.12 - [...] Rn. 8). Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen zeigen die Beschwerdeführer substantiiert nicht auf. Der Hinweis auf den Zulassungsbeschluss des Senats vom im Verfahren BVerwG 7 B 26.09 ersetzt diesen Vortrag nicht. Zwar hat der Senat im anschließenden Revisionsverfahren mit BVerwG 7 C 20.11 - (NVwZ 2012, 448) dem Gerichtshof der Europäischen Union im Vorabentscheidungsverfahren auch eine Frage der Unionsrechtskonformität der Übergangsvorschrift vorgelegt. Die jeweils zugrunde liegenden Fallkonstellationen sind jedoch nicht deckungsgleich; im Übrigen zeichnet sich der vorliegende Fall durch ganz besondere Umstände aus, so dass von einer fallübergreifenden Bedeutung der aufgeworfenen Frage nicht ohne weiteren Vortrag ausgegangen werden kann.

72. Auch das auf die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage bezogene Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

8a) Das Urteil stützt sich insoweit auf mehrere selbstständig tragende Begründungen. Die Revision kann in dieser Situation nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209, vom - BVerwG 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255 <2256> und vom - BVerwG 9 B 31.08 - Buchholz 110 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 33). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

9b) Das Oberverwaltungsgericht hat den angefochtenen Vorbescheid als rechtswidrig erachtet, weil zum einen der für eine vorläufige positive Gesamtbeurteilung erforderliche Bebauungsplan fehle und weil zum anderen keine ordnungsgemäße FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden sei. Das Fehlen der FFH-Verträglichkeitsprüfung mache sowohl die mit dem Vorbescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit des Eingriffs in Natur und Landschaft hinsichtlich des Eintrags von Luftschadstoffen als auch die vorläufige positive Gesamtbeurteilung rechtswidrig. Auch hinsichtlich der letzteren Ausführungen zu den Rechtsfolgen der fehlenden FFH-Verträglichkeitsprüfung handelt es sich, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, um zwei selbstständig tragende Begründungsstränge, weil sie beide jeweils die Rechtswidrigkeit des gesamten Vorbescheids nach sich ziehen. Eine isolierte Aufhebung allein der abschließenden Feststellung des Vorliegens von Genehmigungsvoraussetzungen kommt nämlich nicht in Betracht, da die vorläufige positive Gesamtbeurteilung als Teil des Regelungsgegenstands des Vorbescheids an die Bejahung der zur Prüfung gestellten Genehmigungsvoraussetzungen anknüpft und auch darauf bezogen ist.

10c) Gegen die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Rechtswidrigkeit der im Vorbescheid getroffenen Feststellung der Zulässigkeit des Eingriffs in Natur und Landschaft hinsichtlich des Eintrags von Luftschadstoffen wenden sich die Beschwerdeführer allein mit einer Verfahrensrüge, um so im erstrebten Revisionsverfahren die von ihnen als zutreffend erachtete Auslegung des Vorbescheids zu erreichen; auf diese Auslegung hat der Senat im Beschwerdeverfahren keinen Zugriff. Mit diesem Vorbringen dringen sie indessen nicht durch, so dass es auf die umfangreichen (Grundsatz- und Divergenz-)Rügen, die sich auf die weiteren tragenden Begründungserwägungen im angefochtenen Urteil beziehen, nicht mehr ankommt.

11Zu Unrecht rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der Garantie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch eine Überraschungsentscheidung. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa - NJW 2012, 2262 Rn. 18 m.w.N.; BVerwG 7 C 3.10 - NVwZ 2011, 696 Rn. 11 und vom - BVerwG 7 C 4.12 - NVwZ-RR 2013, 462 Rn. 20). So liegen die Dinge hier nicht.

12Das Oberverwaltungsgericht hat die im Tenor des Vorbescheids getroffene Feststellung über die Zulässigkeit des Eingriffs in Natur und Landschaft hinsichtlich des Eintrags von Luftschadstoffen so ausgelegt, dass sie insoweit die Feststellung der FFH-Verträglichkeit des Vorhabens mit einschließe. Mit diesem Verständnis des Regelungsgehalts des Vorbescheids hat das Oberverwaltungsgericht den Rahmen der Auslegungsmöglichkeiten, die in den verfahrensgegenständlichen Unterlagen und im Vorbringen der Beteiligten angelegt waren und auf die ein kundiger Prozessbevollmächtigter sich folglich einstellen musste, nicht überschritten. Demnach bedurfte es keines ausdrücklichen vorherigen Hinweises an die Beteiligten.

13Die Beschwerdeführer meinen, dass die Wortwahl im Tenor und auch die Begründung dem vom Oberverwaltungsgericht vertretenen Verständnis entgegenstehe. Der Eingriff in Natur und Landschaft beziehe sich zwingend auf die Eingriffsregelung in §§ 18 f. BNatSchG 2002 (§§ 14 f. BNatSchG 2009), während die FFH-Verträglichkeit in § 34 BNatSchG ohne Bezug auf diese Begrifflichkeit geregelt sei. Die Beschwerdeführer hatten indessen keine Veranlassung, von einer so begründeten Auslegung der betreffenden Feststellung als einzig vertretbarer oder doch allein naheliegender auszugehen.

14Die Begründung des Vorbescheids, die nunmehr auf dessen Tenor in der Fassung des Widerspruchsbescheids bezogen ist, lässt nicht erkennen, dass dieser eine solche strikte Unterscheidung zugrunde legt. Unter Ziffer VI.3.2 (S. 30 ff.) wendet sich die Begründung der fachgesetzlichen Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen zu und kommt bei der Behandlung von Einwendungen zum Schluss, dass sonstige öffentliche Belange dem Vorbescheid nicht entgegenstünden, insbesondere seien die Genehmigungsvoraussetzungen im Hinblick auf Emissionen und Immissionen gegeben; vom Vorhaben gingen keine schädlichen Umweltauswirkungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft aus (S. 32). In diesem Zusammenhang führt die Begründung weiter aus, dass die Immissionsbelastung durch Luftschadstoffe im nächstgelegenen FFH-Gebiet "L." durch die Voruntersuchung im Grundsatz geprüft und bewertet worden sei mit dem Ergebnis, dass dieses Gebiet nicht erheblich betroffen sei; Anhaltspunkte für eine erhebliche Betroffenheit anderer FFH-Gebiete gebe es nicht. Abschließend wird festgehalten, dass Belange des Naturschutzes dem Vorhaben nicht entgegenstehen (S. 32 f.). Diese Prüfung erfolgt ohne ausdrückliche Erwähnung der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen im Bundesnaturschutzgesetz. Es liegt hiernach jedenfalls nicht fern, dass die Belange des Naturschutzes bezogen auf die Luftschadstoffe nicht nur die allgemeine naturschutzrechtliche Eingriffsregelung nach §§ 18 f. BNatSchG 2002 (§§ 14 f. BNatSchG 2009), sondern auch die Sonderregelung über die Natura 2000-Gebiete in §§ 31 ff. BNatSchG erfassen. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die durch Bescheid vom aufgehobene Feststellung der "Zulässigkeit des Eingriffes in Natur und Landschaft hinsichtlich baulicher Maßnahmen auf der Grundlage des Bebauungsplanes Nr. 105 der Stadt D." auch ausweislich der Begründung (Ziff. VI.5.2.6.2; S. 109 ff.) mit ihren Erwägungen zu den Kompensationsflächen eindeutig auf die Vorschriften der §§ 18 f. BNatSchG 2002 (§§ 14 ff. BNatSchG 2009) bezogen ist.

15Das vom Oberverwaltungsgericht im angefochtenen Urteil vertretene Verständnis des Vorbescheids hat der Kläger schon in seiner Klagebegründung vom (S. 115 ff., 123 f. <GA S. 141 ff., 149 f.>) zugrunde gelegt. Im Schriftsatz vom ist er darauf nochmals in allgemeiner Form zurückgekommen (S. 5 f. <GA S. 1039 f.>). In der Klageerwiderung des Beklagten vom wird in dieser Hinsicht festgehalten, dass bezüglich des abschließend feststellenden Teils des Vorbescheids eine vollständige und umfassende Prüfung vorzunehmen sei (S. 53 <GA S. 250>). Bei der "Auswirkungsbetrachtung und Bewertung von Luftschadstoffen" wird sodann das FFH-Gebiet in den Blick genommen (S. 64 ff. <GA S. 261 ff.>). Entsprechendes gilt für die Klageerwiderung der Beigeladenen vom (S. 44, S. 53 f. <GA S. 434, 443 f.>). Im Anschluss an den Antrag der Beigeladenen vom auf Änderung des Vorbescheids hat die Beigeladene mit Schriftsatz vom allerdings die Auffassung vertreten, dass "im Vorbescheid in der derzeit aktuellen Fassung (...) die FFH-Verträglichkeit lediglich im Rahmen der positiven vorläufigen Gesamtbeurteilung als gegeben bestätigt, nicht aber verbindlich festgestellt" werde (S. 13 <GA S. 1113>; so auch Schriftsatz vom , S. 2 <GA S. 1340>). Ungeachtet dieser Einlassung war das Oberverwaltungsgericht indessen nicht gehalten, die Frage der Auslegung des Vorbescheids ausdrücklich zum Gegenstand einer gerichtlichen Erörterung zu machen. Denn die nunmehr beantragte verbindliche Feststellung der FFH-Verträglichkeit geht jedenfalls über eine auf die Einwirkungen auf dem Luftpfad bezogene Feststellung hinaus.

16Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
DAAAE-41152