BGH Urteil v. - IX ZR 332/12

Insolvenzverfahren: Unterbrechung der Zivilgerichtsverfahren bei Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter im Eröffnungsverfahren

Leitsatz

Wird dem Schuldner im Eröffnungsverfahren hinsichtlich der von ihm geführten Aktiv- und Passivprozesse ein Verfügungsverbot auferlegt und der vorläufige Verwalter ermächtigt, Aktiv- und Passivprozesse des Schuldners zu führen, so werden die rechtshängigen Verfahren unterbrochen.

Gesetze: § 240 S 2 ZPO, § 22 Abs 2 S 1 InsO

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 13 S 27/12vorgehend AG Deggendorf Az: 1 C 1359/11

Tatbestand

1Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Reinhold M. GmbH (künftig: Schuldnerin).

2Die Schuldnerin hat einen ihr gehörenden PKW in der Werkstatt der Klägerin reparieren lassen. Hierfür begehrt die Klägerin Werklohn in Höhe von 239,20 €. Der von ihr erwirkte Mahnbescheid wurde der Schuldnerin am zugestellt. Mit Beschluss vom wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Auf den Widerspruch der Schuldnerin wurde das Verfahren am an das Prozessgericht abgegeben. Mit Beschluss vom erlegte das Insolvenzgericht der Schuldnerin hinsichtlich der von ihr geführten Aktiv- und Passivprozesse ein Verfügungsverbot auf und ermächtigte den Beklagten als vorläufigen Insolvenzverwalter, Aktiv- und Passivprozesse der Schuldnerin zu führen. Nachdem am die Anspruchsbegründung beim Amtsgericht eingegangen war, ordnete dieses die Durchführung des vereinfachten Verfahrens an. Die hierauf bezogene Verfügung wurde zunächst den bisherigen Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin zugestellt. Nachdem diese unter Bezugnahme auf den Beschluss des Insolvenzgerichts vom dem Amtsgericht mitgeteilt hatten, sie hätten die Vertretung der Schuldnerin niedergelegt, wurde die Verfügung dem Beklagten zugestellt, der den Erhalt bestätigte, sich zur Sache aber nicht äußerte. Am gab das Amtsgericht der Klage statt und ließ die Berufung zu. Am wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.

3Die Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Aufhebung der ergangenen Urteile.

Gründe

A.

4Die Revision ist zulässig.

5Die Revision ist ungeachtet der fortdauernden Unterbrechung des Verfahrens (§ 240 Satz 1 ZPO) wirksam eingelegt. Dem steht auch § 249 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (, BGHZ 50, 397, 400; Beschluss vom - IVb ZB 43/76, NJW 1977, 717, 718; vom - III ZR 86/86, BGHR ZPO § 249 Abs. 2 - Prozesshandlung 1; Urteil vom - VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563; vom - IX ZR 220/96, WM 1997, 486; vom - XI ZR 519/07, WM 2009, 871, 872) beschränkt sich die durch diese Vorschrift angeordnete Unwirksamkeit auf Prozesshandlungen, die gegenüber dem Gegner vorzunehmen sind. Rechtsmittel sind jedoch gegenüber dem Gericht zu erklären. Im Übrigen stellt die Revision keine "in Ansehung der Hauptsache vorgenommene Rechtshandlung" dar, sondern soll lediglich die Unterbrechung zur Geltung bringen (RGZ 88, 206, 208; 141, 306, 308; , WM 1984, 1170; vom , aaO). Zur Geltendmachung der Unterbrechung ist nicht nur der Insolvenzschuldner, sondern auch der Insolvenzverwalter befugt (vgl. aaO S. 487).

B.

6Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der instanzgerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

7Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision des Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. , BGHZ 37, 79, 81 f).

I.

8Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Rechtsstreit sei infolge des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom nicht unterbrochen. Eine Unterbrechung nach § 240 Satz 2 ZPO setze nach dem Wortlaut dieser Bestimmung voraus, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden sei. Es müsse mithin ein "starker" vorläufiger Verwalter gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2; § 22 Abs. 1 InsO eingesetzt worden sein. Bei Anordnung anderer Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht sei § 240 Satz 2 InsO nicht anwendbar. Das nachträglich mit Beschluss vom der Schuldnerin auferlegte Verfügungsverbot gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO hinsichtlich der von ihr geführten Aktiv- und Passivprozesse und die gleichzeitige Ermächtigung an den vorläufigen Verwalter, diese Prozesse zu führen, sei auch nicht ausreichend, weil hiermit ein Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Verwalter nicht verbunden gewesen sei. Es handele sich hierbei auch nicht um ein gegenständlich beschränktes allgemeines Verfügungsverbot. Der klare Wortlaut des § 240 Satz 2 ZPO setze ein inhaltlich unbeschränktes allgemeines Verfügungsverbot voraus, was nur im Rahmen des § 22 Abs. 1 InsO auferlegt werden könne.

II.

9Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

101. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum hat sich auf das amtsgerichtliche Verfahren nicht mehr ausgewirkt. Das amtsgerichtliche Urteil ist am ergangen; auf die nachfolgende Zustellung des Urteils kommt es nicht an (vgl. § 249 Abs. 3 ZPO).

112. Das Verfahren wurde durch den Beschluss des Insolvenzgerichts vom unterbrochen.

12a) Ein Zivilrechtsstreit wird gemäß § 240 Satz 2 ZPO nicht dadurch unterbrochen, dass in einem Insolvenzantragsverfahren das Insolvenzgericht dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1; § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), sondern lediglich einen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO) auferlegt. Bei dieser Sicherungsmaßnahme geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht, wie es für § 240 Satz 2 ZPO vorausgesetzt wird, gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über (, NJW 1999, 2822; Beschluss vom - IX ZA 26/04, NJW-RR 2006, 1208 Rn. 3). Wird allerdings die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes verbunden, tritt die Unterbrechungswirkung nach § 240 Satz 2 ZPO mit dieser Anordnung ein (, WM 2005, 345). Diese Auffassung wird von der überwiegenden Ansicht im Schrifttum geteilt (HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 22 Rn. 47; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 1998, § 24 Rn. 9 f; HmbKomm-InsO/Schröder, 4. Aufl., § 22 Rn. 174; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 22 Rn. 8; Sander in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 22 Rn. 53; MünchKomm-InsO/Haarmeyer, 2. Aufl., § 22 Rn. 184; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, 22. Aufl., § 240 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Anders, ZPO, 5. Aufl., § 240 Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 240 Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 240 Rn. 5). Hiervon geht auch das Berufungsgericht zutreffend aus.

13b) Das Berufungsgericht hat allerdings den Sinn und Zweck des § 240 Satz 2 ZPO nicht hinreichend erfasst. Hier hat das Insolvenzgericht der Schuldnerin hinsichtlich der von ihr geführten Aktiv- und Passivprozesse ein Verfügungsverbot auferlegt und den Beklagten als vorläufigen Insolvenzverwalter ermächtigt, Aktiv- und Passivprozesse der Schuldnerin zu führen. Dieses Verbot und die zu Gunsten des Insolvenzverwalters ausgesprochene Ermächtigung hat die ursprünglich der Schuldnerin zustehende Prozessführungsbefugnis uneingeschränkt auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen. Damit ist die nach § 240 Satz 2 ZPO maßgebliche Befugnis auf den Beklagten übergegangen.

14aa) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Verfahrenseröffnung berührt nicht die Partei- und Prozessfähigkeit des Schuldners, jedoch seine Prozessführungsbefugnis. Sie geht, soweit sich der Prozess auf das insolvenzbefangene Vermögen bezieht, auf den Insolvenzverwalter über (RGZ 26, 66, 68; 47, 372, 374; HK-InsO/Kayser, aaO § 80 Rn. 23; Piekenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO § 80 Rn. 18).

15Der damit verbundene Wechsel der Prozessführungsbefugnis bedarf auch einer verfahrensrechtlichen Absicherung, was insbesondere die Prozesssperre durch Unterbrechung des Zivilgerichtsverfahrens gemäß § 240 ZPO gewährleistet (MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO Rn. 1). Diese soll dem infolge der Insolvenzeröffnung eintretenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis Rechnung tragen und sowohl dem Insolvenzverwalter als auch den Parteien Gelegenheit geben, sich auf die durch die Insolvenz veränderte rechtliche und wirtschaftliche Lage einzustellen (, ZIP 1998, 659, 660; vom - VIII ZB 79/11, WM 2012, 1200 Rn. 7; Urteil vom - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 46). Auch soll der Insolvenzverwalter genügend Zeit haben, sich mit dem Gegenstand des Rechtsstreits vertraut zu machen und zu entscheiden, ob es nötig und zweckmäßig ist, das Verfahren zu betreiben (vgl. MünchKomm-ZPO/Gehrlein, aaO).

16bb) Dieser Normzweck kann bereits im Eröffnungsverfahren Bedeutung gewinnen. Dem dient die Regelung des § 240 Satz 2 InsO. Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben, mit der Ergänzung solle sichergestellt werden, dass ein anhängiger Zivilprozess auch bereits im Eröffnungsverfahren unterbrochen werden könne (BT-Drucks. 12/3803, S. 68; abgedruckt auch in Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, 2. Aufl., S. 805). Er hat hierbei in Anlehnung an § 80 InsO auf den Wechsel der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Bezug genommen; dies schließt nicht aus, dass bei einem Wechsel der Prozessführungsbefugnis aufgrund einer wirksamen Einzelermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, wie vorliegend gegeben, ebenfalls die Prozesssperre des § 240 ZPO eingreift. Der zivilprozessuale Normzweck des § 240 ZPO knüpft an die Prozessführungsbefugnis an. Wird diese dem Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren genommen und auf den vorläufigen Verwalter übertragen, kann der vom Gesetzgeber angestrebte Sicherungszweck nur erreicht werden, wenn auch das auf die Prozessführungsbefugnis beschränkte Verfügungsverbot die Rechtsfolge des § 240 ZPO auslöst.

III.

17Das Berufungsurteil sowie das erstinstanzliche Urteil haben keinen Bestand. Nach Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom war das Verfahren unterbrochen. Eine Endentscheidung durfte vor Aufnahme des Rechtsstreits nicht ergehen.

18Ein trotz Unterbrechung des Verfahrens ergangenes Urteil ist allerdings nicht nichtig, sondern mit den statthaften Rechtsmitteln angreifbar (, WM 1984, 1170; vom - VIII ZR 224/94, WM 1995, 1607; Beschluss vom - XII ZR 167/00, ZIP 2004, 1120; vom - X ZR 20/05, BGHZ 172, 250 Rn. 7). Die angefochtenen Urteile sind daher einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben (§ 562 Abs. 1 und 2 ZPO). Die unterbrochene Sache ist - für den Fall der Beendigung der Unterbrechung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Kayser                       Raebel                         Fischer

               Grupp                       Möhring

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1793 Nr. 31
DB 2013 S. 8 Nr. 30
DStR 2013 S. 2124 Nr. 40
NJW-RR 2013 S. 1461 Nr. 23
WM 2013 S. 1472 Nr. 31
ZIP 2013 S. 1493 Nr. 31
ZAAAE-41016