BGH Beschluss v. - 4 StR 169/13

Betäubungsmittelhandel: Polizeiliche Observierung des Drogentransports und vollständige Sicherstellung der Drogen als Strafmilderungsgrund; Prüfung der Unterbringung eines Kokainsüchtigen in einer Entziehungsanstalt

Gesetze: § 29 BtMG, § 29a BtMG, § 46 Abs 1 StGB, § 64 StGB, § 267 Abs 3 S 1 Halbs 2 StPO

Instanzenzug: LG Essen Az: 71 Js 127/12 - 25 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten Z.   J.   wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen die nicht revidierende Mitangeklagte L.   J.   wurde wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verhängt. Ferner hat das Gericht den gesamtschuldnerischen Verfall von Wertersatz in Höhe von 20.000 € angeordnet.

2Die Revision des Angeklagten Z.   J.   erzielt mit der Sachrüge - gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich der ehemaligen Mitangeklagten L.   J.   - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

31. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen in den Fällen II. 1 bis II. 4 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

42. Dagegen hat der Einzelstrafausspruch im Fall II. 5 keinen Bestand; dies führt zur Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

5a) Nach den zu Fall II. 5 getroffenen Feststellungen erwarb der Angeklagte Z.   J.   am in V.   (Niederlande) 300 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 98,1 % zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Nachdem er das Rauschgift in seinem Pkw versteckt hatte, trat er die Rückfahrt nach G.       an. Da der Drogentransport durch die Polizei observiert und zugleich die Telekommunikation überwacht wurde, konnte der Angeklagte gegen 18.00 Uhr auf einem Rastplatz in B.    festgenommen werden. Das gekaufte Kokain wurde vollständig sichergestellt. Der Angeklagte Z.   J.   handelte auf Grund eines gemeinsamen Tatplans mit der Mitangeklagten, die von G.       aus die telefonische Verbindung aufrechterhielt und den geplanten Verkauf der Drogen vorbereitete.

6Die Überwachung durch die Polizei und die Sicherstellung der Betäubungsmittel hat die Strafkammer weder bei der Prüfung eines minder schweren Falles noch bei der konkreten Strafzumessung angesprochen.

7b) Dies ist rechtsfehlerhaft.

8Zwar hat der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StPO nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte mitzuteilen. Mit der Überwachung des Drogentransports und der Telekommunikation durch die Polizei sowie der vollständigen Sicherstellung der Betäubungsmittel sind jedoch wesentliche Strafmilderungsgründe unerwähnt geblieben, deren Berücksichtigung sich aufdrängen musste (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 173/04, NStZ 2004, 694; vom - 5 StR 561/08; vom - 5 StR 443/09, Rn. 16; vom - 4 StR 653/11, NStZ-RR 2012, 153; Weber, BtMG, 4. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 965 ff. mwN). Dies führt zur Aufhebung der im Fall II. 5 gegen den Angeklagten Z.   J.   verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie der Gesamtstrafe, auch wenn die Einzelstrafe trotz einer erheblichen Kokainmenge mit einem sehr hohen Wirkstoffgehalt nur wenig über der Strafrahmenuntergrenze des § 30 Abs. 1 BtMG liegt. Denn das Landgericht hat im ebenfalls 300 Gramm Kokain betreffenden Fall II. 3 der Urteilsgründe, in dem weder eine Überwachung noch eine Sicherstellung erfolgt ist, auch eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.

9Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich insoweit nur um einen Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.

10Die Aufhebung des Urteils war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die Mitangeklagte L.   J.   zu erstrecken, da der Wertungsfehler des Landgerichts auch der Strafzumessung hinsichtlich der Nichtrevidentin zugrunde liegt und nicht nur in der Person des Beschwerdeführers vorliegt (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 357 Rn. 15).

113. Das Urteil kann ferner keinen Bestand haben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten Z.   J.   in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist.

12a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte während des Tatzeitraums in nicht unerheblichem Umfang Kokain. Er steigerte seinen Konsum seit dem Jahr 2010 und nahm kurz vor seiner Festnahme nahezu täglich bis zu einem Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von etwa 50 % zu sich. Die Kammer ist davon ausgegangen, dass bei den abgeurteilten monatlichen Einfuhrfahrten jeweils eine Menge von 15 Gramm nahezu reinen Kokains für den Eigenbedarf des Angeklagten bestimmt war. Zu Beginn der Untersuchungshaft litt er unter Entzugssymptomen (Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Schweißausbrüche). Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ihm zugute gehalten, dass er „möglicherweise auch unter einem gewissen Suchtdruck gehandelt haben mag“ (UA S. 13).

13b) Vor diesem Hintergrund hätte sich das Landgericht zu der Prüfung gedrängt sehen müssen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Denn die getroffenen Feststellungen legen nahe, dass der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Betäubungsmittelkonsum hat, die abgeurteilten Taten jedenfalls auch auf seinen Hang zurückgehen und die Gefahr besteht, dass er infolge des Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - 4 StR 173/12; vom - 4 StR 311/12; vom - 4 StR 294/12).

14Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung. Dabei wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB zu beachten sein.

15c) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; , BGHSt 37, 5, 9). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. , BGHSt 38, 362 f.).

16d) Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in den Fällen II. 1 bis II. 4 mildere Einzelstrafen verhängt hätte. Diese Strafaussprüche können deshalb bestehen bleiben.

174. Zu der Verfallsanordnung bemerkt der Senat ergänzend:

18Da die Angeklagten eingeräumt haben, aus den verfahrensgegenständlichen Taten Mindesteinkünfte in Höhe von 20.000 € erzielt zu haben, begegnet die Anordnung des Verfalls von Wertersatz nach § 73a StGB keinen Bedenken. Der erweiterte Verfall nach § 73d StGB musste deshalb nicht in Betracht gezogen werden.

Mutzbauer                         Cierniak                         Franke

                    Quentin                           Reiter

Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 327 Nr. 5
WAAAE-39145