BAG Urteil v. - 10 AZR 251/12

Tantiemeanspruch - Entstehungsgrund - Auslegung von Leistungsverhalten

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 315 BGB

Instanzenzug: Az: 1 Ca 7858/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 11 Sa 916/11 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Sonderzahlungen für die Jahre 2007 bis 2011.

2Der Kläger war bis zum für die Beklagte als „Leiter IT“ tätig. Der Arbeitsvertrag vom regelt in § 3 (Bezüge) Folgendes:

3Die Beklagte zahlte dem Kläger jährlich eine Tantieme und jedenfalls seit Januar 2001 auch monatliche Vorauszahlungen auf diese, ohne dass es später zu einer Verrechnung kam. In den Jahren 2004 bis 2006 erhielt der Kläger jeweils 34.103,00 Euro brutto ohne Verrechnung auf den monatlich gezahlten Vorschuss iHv. 766,94 Euro.

4Im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Neuregelung der Vergütung schlug der Kläger mit E-Mail vom vor:

5Mit weiterer E-Mail vom ua. an den damaligen Geschäftsführer S gab der Kläger ein gemeinsames Gespräch vom wie folgt wieder:

6Nachfolgend rechnete die Beklagte die Monate Januar bis Oktober 2007 mit dem bisherigen Gehalt iHv. 6.391,15 Euro brutto, einem weiteren Gehalt iHv. 2.108,85 Euro brutto, einem Sachbezug für die Kfz-Nutzung iHv. 423,95 Euro und der bisherigen Tantiemevorauszahlung iHv. 766,94 Euro abzüglich eines Betrags iHv 166,94 Euro ab. Die Abrechnungen für die Monate Januar bis September 2008 weisen ein Gehalt iHv. 8.500,00 Euro brutto, eine Tantiemevorauszahlung iHv. 600,00 Euro brutto und einen Sachbezug für die Kfz-Nutzung von 938,25 Euro aus, ab Oktober 2008 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind einheitlich 9.100,00 Euro brutto abgerechnet worden. Letztmalig mit der Verdienstabrechnung Mai 2008 erhielt der Kläger für das Jahr 2007 einen als „Einmalsonderzahlung“ ausgewiesenen Betrag iHv. 24.103,00 Euro brutto.

7In einer E-Mail des Klägers vom an den Gesellschafter der Beklagten D heißt es:

8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe Anspruch auf eine jährliche Tantieme iHv. 34.103,00 Euro entsprechend der in den Jahren 2004 bis 2006 gezahlten Beträge.

9Der Kläger hat zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

11Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

12Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).

13I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein vertraglicher Anspruch auf eine Tantieme sei nicht begründet worden. Nach § 3 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags sei nur für das erste Jahr eine Tantieme iHv. 10.000,00 DM brutto vereinbart worden. Einem durch betriebliche Übung entstandenen Anspruch stehe entgegen, dass eine Tantieme gewinnabhängig sei; aus der zufälligen Gewährung gleich hoher Tantiemen in den Jahren 2004 bis 2006 habe der Kläger deshalb nicht auf die Zusage der Beklagten zu einer dauerhaften Zahlung in dieser Höhe schließen können.

14II. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

151. Es kann dahinstehen, ob - wegen des Einzelfallcharakters der Zahlungen sowie einer individuellen Vereinbarung über die Zahlung einer festgelegten Tantieme im ersten Jahr - nichttypische Erklärungen auszulegen sind, deren Würdigung durch die Tatsacheninstanzen nur einer eingeschränkten Überprüfung durch den Senat dahin gehend unterliegt, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt, allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder für die Auslegung wesentliche Umstände außer Acht gelassen wurden (vgl.  - Rn. 36), oder ob der Erklärungswert des Verhaltens der Beklagten in vollem Umfang revisionsrechtlich zu überprüfen ist. Bereits einer eingeschränkten Überprüfung hält die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts nicht stand, denn es hat eine mögliche (und naheliegende) Auslegung nicht in Erwägung gezogen und erheblichen Vortrag nicht gewürdigt.

162. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht noch davon ausgegangen, dass der Kläger nicht aus betrieblicher Übung einen Anspruch auf eine Tantieme in einer bestimmten Höhe erworben hat. Eine betriebliche Übung bezieht sich auf eine Vielzahl oder zumindest auf eine abgrenzbare Gruppe von Arbeitnehmern, ohne dass individuelle Besonderheiten die vertraglichen Beziehungen gestalten; das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung enthält ein kollektives Element (vgl.  - Rn. 11; - 9 AZR 500/05 - Rn. 15, BAGE 118, 16). Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass die Beklagte durch kollektive Handhabung Tantiemezahlungen vorgenommen hat; sein Vortrag beschränkt sich auf das ihm gegenüber gezeigte Leistungsverhalten.

173. Das Landesarbeitsgericht hat aber verkannt, dass der Kläger zumindest aufgrund konkludenter Abrede einen vertraglichen Anspruch auf eine Tantieme dem Grunde nach erworben haben kann, über deren Höhe die Beklagte gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. Die Parteien haben in § 3 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags die Zahlung einer festen Tantieme bei erfolgreicher Zusammenarbeit im ersten Jahr vereinbart. Dies lässt für sich genommen eine Auslegung als denkbar erscheinen, dass für die Folgejahre kein Anspruch begründet werden sollte. Im Zusammenhang mit dem nachfolgenden langjährigen Leistungsverhalten der Beklagten ist es aber naheliegend, dass dem Grunde nach ein vertraglicher Anspruch des Klägers auf eine jährliche Tantieme begründet und im Arbeitsvertrag lediglich für das erste Jahr ein bestimmter Betrag festgelegt worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass der Kläger bis einschließlich 2007 eine jährliche Tantieme und diese in drei Jahren sogar in gleicher Höhe erhalten hat. Es hat auch nicht gewürdigt, dass die Beklagte jedenfalls seit 2001 später nicht verrechnete monatliche Vorauszahlungen geleistet und bei keiner Zahlung einen Unverbindlichkeitsvorbehalt erklärt hat. Es greift deshalb zu kurz und verstößt gegen die §§ 133, 157 BGB, einen Anspruch bereits deshalb zu verneinen, weil eine Tantieme nicht in einer bestimmten Höhe zugesagt wurde. Naheliegend (und wahrscheinlich) ist vielmehr, dass nach §§ 133, 157 BGB die Annahme gerechtfertigt ist, die Beklagte habe sich zumindest kraft konkludenter Abrede dem Grunde nach zur Zahlung einer Tantieme verpflichtet und lediglich vorbehalten, nach § 315 BGB jährlich über deren Höhe zu bestimmen (zu einer ähnlichen Auslegung von Leistungsverhalten vgl.  -).

18III. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

191. Ein Anspruch auf eine variable Vergütung ist nicht dadurch untergegangen, dass die Parteien eine Änderung der Bezüge vereinbart haben. Dies ergibt sich bereits aus der E-Mail des Klägers vom , welcher die Beklagte inhaltlich nicht entgegengetreten ist. Danach hat der damalige Geschäftsführer der Beklagten den Kläger aufgefordert, für das Jahr 2008 einen Tantiemevorschlag zu unterbreiten. Daraus folgt, dass beide Parteien von einem fortbestehenden Anspruch auf eine variable Vergütung ausgegangen sind.

202. Da das Landesarbeitsgericht das Leistungsverhalten nur unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung erörtert und gewürdigt hat, ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Ergibt die Auslegung von Arbeitsvertrag und Leistungsverhalten einen Anspruch auf Festsetzung einer Tantieme nach § 315 BGB, ist weiter zu prüfen, ob dieser Anspruch durch eine Neuregelung der Vergütung im Jahr 2007 inhaltlich verändert wurde, auch insoweit ist den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Das Landesarbeitsgericht wird abschließend die Höhe des Anspruchs gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil festsetzen müssen. Dazu hat die Beklagte im Rahmen abgestufter Darlegungs- und Beweislast vorzutragen, nach welchen Kriterien sie in der Vergangenheit - für den Kläger erkennbar - die Tantieme festgelegt hat. Bonusansprüche richten sich häufig nach Geschäftsergebnis und individueller Leistung; die dreimalige Zahlung einer Tantieme in gleicher Höhe kann aber auch den Schluss erlauben, dass sie sich nicht nach dem Geschäftsergebnis gerichtet hat.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1716 Nr. 29
DB 2013 S. 2568 Nr. 45
AAAAE-39080