BAG Urteil v. - 5 AZR 146/12

Darlegungslast - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay")

Gesetze: § 10 Abs 4 AÜG, § 9 Nr 2 AÜG, § 13 AÜG

Instanzenzug: ArbG Chemnitz Az: 4 Ca 3529/10 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 1 Sa 322/11 Urteilnachgehend Az: 5 AZR 617/13 (F) Beschlussnachgehend Az: 1 BvR 3199/13 Beschluss

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2Der 1963 geborene Kläger war bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und vom 5. März bis zum der K GmbH, vom 2. Juli bis zum der S AG und ab dem wiederum der K GmbH als Produktionshelfer überlassen. Der Kläger erhielt bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 152 Monatsstunden einen Bruttostundenlohn von 5,77 Euro nebst einer Zulage, die im Juli 2007 0,25 Euro brutto, in den Monaten August und September 2007 0,59 Euro brutto und ab Oktober 2007 0,93 Euro brutto je Stunde betrug.

3Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom (im Folgenden: Arbeitsvertrag) zugrunde, in dem es ua. heißt:

4Mit Schreiben vom hat der Kläger von der Beklagten vergeblich die Zahlung von 3.549,36 Euro brutto begehrt.

5Mit der am eingereichten und der Beklagten am zugestellten Klage hat der Kläger für den Zeitraum bis unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiher im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben sollen, verlangt und geltend gemacht, er habe eine Ausschlussfrist nicht einhalten müssen, zumindest habe eine solche erst mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP zu laufen begonnen. Der Kläger hat unter Schilderung seiner Tätigkeit vorgetragen, die Entleiher, denen er überlassen war, gehörten dem Metallgewerbe an. Damit könne er eine Vergütung nach der „Lohngrundtafel der IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg Sachsen“ beanspruchen. Für seinen ersten Einsatz bei der K GmbH stehe ihm die Lohngruppe 1 und damit ein Bruttostundenlohn von mindestens 10,00 Euro zu, für die Tätigkeit bei der S AG und dem zweiten Einsatz bei der K GmbH gehe er von einem Bruttostundenlohn von mindestens 10,62 Euro aus.

6Der Kläger hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, mögliche Ansprüche seien jedenfalls nach § 12 Arbeitsvertrag verfallen. Außerdem hat sie bestritten, dass die Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern die vom Kläger seiner Berechnung zugrunde gelegten Tariflöhne gezahlt hätten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

9Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

10A. Die Revision ist zulässig.

11Der Kläger hat zwar die Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG) versäumt. Auf seinen rechtzeitig (§ 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) gestellten Antrag ist ihm aber nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist zur Einlegung der Revision, die eine Notfrist ist (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 548 ZPO) und die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten. Der Kläger war wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage, rechtzeitig Revision einzulegen und zu begründen (zur Mittellosigkeit als unverschuldete Verhinderung, vgl.  - Rn. 13). Er hat innerhalb der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt, die ihm mit Beschluss vom (- 5 AZA 44/11 -) bewilligt worden ist.

12B. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte war nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die Zeit der Überlassungen an die K GmbH und die S AG das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiher ihren Stammarbeitnehmern gewährten (I.). Der Kläger hat aber die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG nicht substantiiert dargelegt (II.).

13I. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verpflichtet den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt („equal pay“). Von diesem Gebot der Gleichbehandlung erlaubt das AÜG ein Abweichen durch Tarifvertrag, wobei im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbaren können (§ 9 Nr. 2 AÜG) mit der Folge, dass der Entleiher grundsätzlich nur das tariflich vorgesehene Arbeitsentgelt gewähren muss (§ 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG). Eine solche zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. § 1 Nr. 4 Arbeitsvertrag verweist auf unwirksame Tarifverträge. Die CGZP konnte keine wirksamen Tarifverträge schließen.

141. Nach den Entscheidungen des Ersten Senats des - 1 ABR 19/10 - BAGE 136, 302), dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom (- 24 TaBV 1285/11 ua. -) sowie der Zurückweisung der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde ( -) ist rechtskräftig und mit bindender Wirkung gegenüber jedermann festgestellt, dass die CGZP seit ihrer Gründung und jedenfalls bis zum nicht tariffähig war (vgl.  - Rn. 12; - 1 AZB 67/11 - Rn. 7).

152. Fehlt einer Tarifvertragspartei die Tariffähigkeit, kann sie allenfalls eine Kollektivvereinbarung ohne normative Wirkung, aber keinen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG abschließen (zur fehlenden Tarifzuständigkeit:  - Rn. 69). Trotz fehlender Tariffähigkeit abgeschlossene „Tarifverträge“ sind deshalb von Anfang an unwirksam ( - Rn. 21 mwN, BAGE 120, 182; - 1 ABR 13/63 - zu B I der Gründe, BAGE 16, 329; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 2 TVG Rn. 5; Schaub/Treber Arbeitsrechts-Handbuch 14. Aufl. § 198 Rn. 4). Davon geht auch § 97 Abs. 5 ArbGG aus. Die gesetzliche Anordnung, einen Rechtsstreit, der davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder deren Tarifzuständigkeit gegeben ist, bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wäre sinnlos, wenn die fehlende Tariffähigkeit oder die fehlende Tarifzuständigkeit lediglich zu einer Unwirksamkeit des Tarifvertrags ex nunc führen würde. Dementsprechend wird in dem als besonderes Beschlussverfahren ausgestalteten Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG nicht eine ursprünglich bestehende Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit „abgesprochen“, sondern lediglich das Fehlen der Fähigkeit oder der Zuständigkeit zum Abschluss eines Tarifvertrags festgestellt.

163. Die These vom fehlerhaften Tarifvertrag (HWK/Henssler 5. Aufl. § 1 TVG Rn. 21a), die in Anlehnung an die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit vollzogener Tarifverträge ex nunc annimmt, ist bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen gemäß § 9 Nr. 2 AÜG ungeeignet. Denn es geht in diesem Falle nicht um die Rückabwicklung vollzogener Tarifverträge, sondern um die Rechtsfolge des Scheiterns einer vom Gesetz nach § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG eröffneten Gestaltungsmöglichkeit. Dabei muss nichts rückabgewickelt werden. Der Arbeitnehmer behält die bezogene Vergütung aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung und erwirbt darüber hinaus nach § 10 Abs. 4 AÜG einen Anspruch auf die Differenz zu dem Entgelt, das er erhalten hätte, wenn das Gebot der Gleichbehandlung von Anfang an beachtet worden wäre. Dazu räumt § 13 AÜG dem Leiharbeitnehmer einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Entleiher ein.

174. Ein etwaiges Vertrauen der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt.

18Der aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen ( - Rn. 85, BVerfGE 122, 248; vgl. dazu auch  - Rn. 27 mwN). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das Bundesarbeitsgericht noch Instanzgerichte haben in dem dafür nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision angezogenen Entscheidung ( - zu I 2 c cc der Gründe, BAGE 110, 79) hat der Senat bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das Bundesarbeitsgericht werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch SR 2012, 159, 161 mwN).

19Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der Bundesagentur für Arbeit oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der CGZP wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (vgl. Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 107 ff. mwN; Ulber NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch RdA 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbart hat, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ist er ein Risiko eingegangen, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisiert hat.

20II. Der Kläger hat die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG nicht substantiiert dargelegt.

211. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, der mit jeder Überlassung entsteht und jeweils für die Dauer der Überlassung besteht. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs ist deshalb ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen ( - Rn. 35 f., BAGE 137, 249). Darlegungs- und beweispflichtig für die Höhe des Anspruchs ist nach allgemeinen Grundsätzen der Leiharbeitnehmer.

22a) Seiner Darlegungslast kann der Leiharbeitnehmer zunächst dadurch genügen, dass er sich auf eine ihm nach § 13 AÜG erteilte Auskunft beruft und diese in den Prozess einführt. Denn die - ordnungsgemäße - Auskunft des Entleihers über das einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt ist das gesetzlich vorgesehene Mittel, das dem Leiharbeitnehmer ermöglichen soll, die Einhaltung des Gebots der Gleichbehandlung zu überprüfen und die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG zu berechnen (vgl. BT-Drucks. 15/25 S. 39; Brors in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 13 Rn. 1 mwN). Es obliegt sodann im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast dem Verleiher, die maßgeblichen Umstände der Auskunft in erheblicher Art und im Einzelnen zu bestreiten. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt der Inhalt der vom Leiharbeitnehmer vorgetragenen Auskunft als zugestanden. Gelingt es dem Verleiher, die Auskunft des Entleihers zu erschüttern, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss (vgl.  - Rn. 36, BAGE 137, 249).

23b) Stützt sich der Leiharbeitnehmer im Prozess nicht auf eine Auskunft nach § 13 AÜG, muss er zur Darlegung des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt alle für dessen Berechnung erforderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehören vorrangig die Benennung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers und das diesem vom Entleiher gewährte Arbeitsentgelt. Beruft sich der Leiharbeitnehmer - alternativ - auf ein allgemeines Entgeltschema, hat er nicht nur dessen Inhalt, sondern auch darzulegen, dass ein solches im Betrieb des Entleihers im Überlassungszeitraum tatsächlich Anwendung fand und wie er danach fiktiv einzugruppieren gewesen wäre.

242. Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Klägers nicht. Er hat sich zur Darlegung der Höhe einer Differenzvergütung nach § 10 Abs. 4 AÜG für die jeweiligen Überlassungszeiträume weder auf Auskünfte der Entleiher nach § 13 AÜG gestützt, noch für die jeweiligen Einsätze vergleichbare Stammarbeitnehmer konkret benannt und zu deren Arbeitsentgelt substantiiert vorgetragen. Der Kläger hat lediglich ohne nähere Begründung behauptet, die beiden entleihenden Unternehmen gehörten dem Metallgewerbe an und „ausgehend hiervon“ seiner Berechnung eine „Lohngrundtafel der IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg Sachsen“ zugrunde gelegt. Allein die Zugehörigkeit zum Metallgewerbe besagt jedoch noch nicht, dass die entleihenden Unternehmen aufgrund rechtlicher Verpflichtung oder tatsächlicher Handhabung vergleichbare Stammarbeitnehmer „nach Tarif“ vergüten würden. Soweit der Kläger in der Berufungsinstanz hinsichtlich der K GmbH auf deren Entgeltordnung verwiesen hat, hat er deren Inhalt nicht vorgetragen und bar jeden Tatsachenvortrags lediglich ins Blaue hinein behauptet, diese stünde in der Höhe mindestens tarifvertraglichen Regelungen gleich.

25C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1652 Nr. 27
DB 2013 S. 1498 Nr. 26
JAAAE-39077