Strafverfahren: Umfang der von dem neuen Tatrichter nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils zu treffenden Feststellungen
Gesetze: § 353 StPO, § 358 StPO
Instanzenzug: LG Siegen Az: 22 KLs 22 Js 477/08 - 1/12vorgehend Az: 4 StR 71/11 Urteilvorgehend LG Siegen Az: 21 KLs - 22 Js 477/08 - 13/09 - 6 Ss 25/11
Gründe
1Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom vom Vorwurf der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und zur Nötigung in zehn Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die insoweit wirksam beschränkte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat die Entscheidung des mit den zugehörigen Feststellungen auf, soweit der Angeklagte in den Fällen III. 1, III. 9 und III. 16 der Urteilsgründe freigesprochen worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen (Fälle III. 1 und III. 16 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt und ihn im Übrigen (Fall III. 9 der Urteilsgründe) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg und führt zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
31. Das Urteil hat keinen Bestand, weil es zu den Fällen III. 1 und III. 16, die die Grundlage der Verurteilung bilden, keine in sich geschlossene Darstellung eines in der Hauptverhandlung festgestellten Tatgeschehens enthält (vgl. dazu Senatsbeschluss vom – 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 mwN). Eine solche Darstellung des Sachverhalts, die erkennen lassen muss, durch welche bestimmten Tatsachen die einzelnen gesetzlichen Merkmale des äußeren und inneren Tatbestands erfüllt werden, ist für die revisionsrechtliche Prüfung erforderlich. Fehlt diese Darstellung oder ist sie in wesentlichen Teilen unvollständig, so ist dies ein Mangel des Urteils, der auf die Sachrüge zu dessen Aufhebung führt (Senatsbeschluss vom aaO). So verhält es sich hier.
42. Die Strafkammer hat sich hinsichtlich der den Mitangeklagten vorgeworfenen Taten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Anknüpfungspunkte für den dem Angeklagten angelasteten Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung bilden, damit begnügt, das im ersten Durchlauf ergangene und hinsichtlich der Mitangeklagten rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Siegen vom auszugsweise zu verlesen. Lediglich im Hinblick auf das dem Angeklagten vorgeworfene Tatgeschehen hat es eine förmliche Beweisaufnahme durchgeführt und mehrere Zeugen vernommen. So durfte es indes hier nicht verfahren. Nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils hat der neue Tatrichter ohne Bindung an die im ersten Rechtsgang zum Nachteil von früheren Mitangeklagten getroffenen Feststellungen insgesamt neue Feststellungen zu treffen, da der freigesprochene Angeklagte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (Senatsurteil vom – 4 StR 533/03, NStZ 2004, 499; Senatsbeschluss vom – 4 StR 348/07; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN). Das Landgericht hätte daher ohne Bindung an die im ersten Rechtsgang insgesamt getroffenen Feststellungen neue, eigene Feststellungen zum gesamten Tatgeschehen und damit auch zum Verhalten der früheren Mitangeklagten S. , K. und B. treffen müssen. Dies wird der neue Tatrichter nachholen müssen.
Fundstelle(n):
FAAAE-37078