Strafverfahren: Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen
Gesetze: § 247 StPO, § 338 Nr 5 StPO
Instanzenzug: LG Konstanz Az: 2 KLs 41 Js 18354/11
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt; zudem hat es zum Nachteil des Angeklagten eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Wegen eines weiteren Vorwurfs der sexuellen Nötigung hat es den Angeklagten freigesprochen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts; der Teilfreispruch ist erkennbar vom Revisionsangriff ausgenommen.
2Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
31. Mit Recht rügt die Verteidigung die Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO, weil der Angeklagte bei der Entscheidung über die Entlassung der Zeugin B. , der Geschädigten im Fall 1 der Urteilsgründe, nicht im Sitzungssaal anwesend war. Zwar hatte das Landgericht gemäß § 247 Satz 1 StPO angeordnet, dass sich der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen hat. Die Entscheidung über die Entlassung der Zeugin war indes nicht mehr Teil der Vernehmung, sondern bildete einen eigenständigen wesentlichen Bestandteil der Hauptverhandlung (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom - GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 92), während dessen der Angeklagte nicht im Sitzungssaal anwesend war. Besondere Umstände, etwa eine Bild-Ton-Übertragung in einen Nebenraum mit Gegensprechanlage, die dem Angeklagten während seiner Abwesenheit vom Sitzungssaal ermöglicht hätten, entweder seine Zustimmung zur Entlassung der Zeugin zu erklären oder sein Fragerecht weiter auszuüben (vgl. dazu , NStZ 2011, 534), lagen hier nicht vor. Auch ist der Fehler, der vom Landgericht unbemerkt blieb, nicht im Laufe des weiteren Verfahrens geheilt worden (vgl. zur Möglichkeit einer Heilung BGH, Großer Senat für Strafsachen aaO S. 94).
42. Der Rechtsfehler führt - mit Ausnahme zum freisprechenden Teil - zur Aufhebung des Urteils insgesamt, also auch, soweit der Angeklagte in den Fällen 2. und 3. der Urteilsgründe wegen Taten zum Nachteil der Geschädigten C. verurteilt worden ist.
5Zwar darf auch bei einem absoluten Revisionsgrund von einer Urteilsaufhebung abgesehen werden, wenn und soweit ausnahmsweise das Beruhen des Urteils denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 338 Rn. 2 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das Landgericht hat die Zeuginnen B. und C. zwar zu unterschiedlichen Tatvorwürfen vernommen; diese Vorwürfe konnten jedoch nicht völlig isoliert voneinander beurteilt werden. Das zeigt sich hier bereits darin, dass das Landgericht bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben beider Zeuginnen ausdrücklich in den Blick genommen hat, dass deren Aussagen bemerkenswerte Ähnlichkeiten hinsichtlich des Verhaltens des Angeklagten aufwiesen, obwohl sich die Zeuginnen nicht absprechen konnten (UA S.10).
Rothfuß Jäger Cirener
Radtke Zeng
Fundstelle(n):
GAAAE-37069